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Gabor Wallrabenstein

Drei Jahre und ein Tag - organisiert in Schächten zünftig reisen

 

Schächte sind gewerkschaftsähnliche Vereinigungen, die das zünftige Reisen zur Vervollkommnung der handwerklichen Fähigkeiten organisieren. Das zünftige Reisen von Handwerkern reicht in seinen Wurzeln bis ins Spätmittelalter zurück. Diese Tradition hat nur im Bauhandwerk überlebt und wird mit zeitgemäßen Anpassungen in Gesellschaften gepflegt und lebendig erhalten, die in direkter Nachfolge der alten Zünfte stehen. Es gibt verschiedene Schächte in Deutschland, die sich durch die Art sich zu kleiden und in ihren Riten voneinander unterscheiden. Die reisenden "fremden" Gesellen erkennt und unterscheidet man an der Kluft mit den weiten Hosenbeinen und ihrer schachttypischen "Ehrbarkeit". So eine Ehrbarkeit kann zum Beispiel ein krawattenähnlicher Binder sein, in blau, rot, schwarz oder grau. Ein weiteres Erkennungsmerkmal bei fehlender Ehrbarkeit kann eine besondere Handwerkernadel an der Kluft sein, die der Geselle in Verbindung mit Perlmuttknöpfen an der Hose trägt. Wer auf Wanderschaft gehen will, muss unverheiratet sein, darf keine Schulden haben, darf - je nach Schacht - maximal 25 bis 30 Jahre alt sein und muss einen Gesellenbrief aus dem Bauhauptgewerbe vorweisen können. Die Wanderschaft dauert 3 Jahre und 1 Tag. In der Regel darf der “Fremde" sich seinem Heimatort nicht näher als 60 km nähern. Sogenannte "Gesellschaften" oder auch "ehrbare Gesellschaften" in Städten in ganz Deutschland bieten "Herbergen", in denen die zünftig Reisenden Einkehr halten können. Dabei organisiert jeder Schacht seine Herbergen und das Reisen für seine Fremden völlig autark. Merkmal eines jeden organisiert reisenden Gesellen ist das Wanderbuch der C.C.E.G (Conféderation Compagnonnages Européens / Europäische Gesellenzünfte), worin sich z. B. die offiziellen Stempel von Ämtern befinden. Das Wanderbuch ist ähnlich wie ein Reisepass gestaltet und enthält ein Foto des Fremden zur Identifikation. Wildreisende Gesellen, sog. "Speckjäger" sind niemals im Besitz dieses Wanderbuches. Eine bestimmte Kluft ist allen Schächten gemeinsam: Zunfthose, Zunftweste, Zunftjacke, schwarzer Hut, weiße Staude (kragenloses Hemd). Während der Tippelei sind Übernachtungen in Zunftherbergen, Jugendherbergen, bei Mitgliedern von Zünften, zünftigen Meistern oder auch schon mal im Heuschober, bei "Mutter Grün", auf Baustellen oder unter Brücken ("Platte machen", "Platte reißen") möglich. Die Fremden sind zu Fuß oder per Anhalter unterwegs. Öffentliche Verkehrsmittel werden nur in besonderen Fällen toleriert, oder aber wenn der Heimatkontinent verlassen wird. Ihren Besitz tragen die zünftig Reisenden in einem "Charly" bzw. "Charlottenburger" mit sich. Dabei handelt es sich um ein bunt bedrucktes Tuch von ca. 80 x 80 cm Größe, welches mit Wäsche, Werkzeugen und weiteren wichtigen Habseligkeiten zu einem Bündel in Form eines großen Brotes kunstvoll zusammengebunden wird. Eine Wasserwaage oder der Steg einer Handsäge geht mittendurch. Daran wird ein Trageriemen befestigt. Eine solche Konstruktion kann dann schon mal 25 kg wiegen. Manche Gesellen haben manchmal (selten) auch zwei solcher Charlottenburger, die sie mit sich tragen. Der "Stenz" ist der Wanderstab eines jeden Handwerksgesellen. Er wächst in freier Wildbahn und ist im Grunde ein Ast, den eine besondere Schlingpflanze umwindet und umwürgt. Nachdem die Rinde entfernt wurde, gestaltet der Geselle "seinen" Stenz nach seinen Vorstellungen. Jeder Stenz ist ein Unikat. Das zünftige Reisen dient dem Kennenlernen der Welt, von Land, Leuten und Gebräuchen und vor allem dem stetigen Weiterlernen in seinem Handwerk. Bestimmte Regeln organisieren das Recht und die Möglichkeit zu wandern, zu tippeln und sich an fremden Orten zünftig bei einem "Krauter" (Meister/Arbeitgeber) auf Zeit zu verdingen. Nach drei Jahren und einem Tag ist die zünftige Tippelei beendet und in einem rituellen Rahmen wird das "einheimisch Werden" gebührend gefeiert. Die meisten der Einheimischen besuchen weiterführende Schulen, "machen" ihren Meister oder studieren.