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Aoife Naughton mit Maria Otte
 
William Faulkner in New Orleans
 
 
I decline to accept the end of man. It is easy enough to say that man is immortal simply because he will endure: When the last ding-dong of doom has clanged and faded from the last worthless rock hanging tideless in the last red and dying evening, that even then there will still be one more sound: that of his puny, inexhaustible voice, still talking. I refuse to accept this. I believe that man will not merely endure: he will prevail. He is immortal, not because he alone among creatures has an inexhaustible voice, but because he has a soul, a spirit capable of compassion and sacrifice and endurance.
 
William Faulkner, 1950
 
And I believe we will all agree that we failed. That what we made never quite matched and never will match the shape, the dream of perfection which we inherited and which drove us and will continue to drive us, even after each failure, until anguish frees us and the hand falls stiff at last.
 
William Faulkner, 1955
 
Als Fotografin "vor Ort" gilt nur das, was ich vor der Linse habe. Der schöpferische Prozess spielt sich auf der Mattscheibe ab. Wenn ich die Kamera beiseite lasse, erfahre ich mich als Teil der Szenerie; als Fotografin muss ich für beide Seiten eine Strategie entwickeln, für die Choreographie des Bildes und für den Umgang mit der realen Situation.
 
Wir treffen William Faulkner beim Iberville Projekt in New Orleans. Das Iberville Projekt liegt zwischen dem French Quarter und der I -10 Basin Street und besteht aus mehreren Reihenhäusern, die von der Straße aus gesehen etwas zurückgesetzt sind. Es ist Vormittag an einem heißen Donnerstag Anfang Mai und Basin Street gleicht einem Trockengebiet in Arizona. Die Anlage liegt wie betäubt in der Hitze, staubig, mit verdichtetem Boden und erinnert an ein Elendsviertel auf einem alten viktorianischen Foto. Eisengitter umgeben die Balkons. Zwischen den Reihen der Häuser liegen breite Höfe. Das Gras ist hier wie ein festgetrampelter Spielplatz. Kahle Flecken von brauner Erde scheinen durch das Gras.
 
Aus Irland eingewandert und jetzt in New Orleans wohnhaft, bin ich von der deutschen Fotografin Maria Otte gebeten worden, ihr einige Stellen in New Orleans außerhalb der Touristen Viertel zu zeigen. Ich habe entschieden, sie zum Iberville Projekt mitzunehmen, wegen seiner Nähe zum French Quarter (französisches Viertel) und zur historischen Tremé Nachbarschaft. Das Iberville wurde als eine Anlage subventionierter Regierungshäuser nach dem New Deal in den 40er Jahren gebaut, und ist seit dem so genannten ‘Flug von der Stadt' in den 1960er Jahren zum größten Teil ein Gebiet für Leute mit niedrigem Einkommen geworden. Das Projekt liegt auf vermeintlich lukrativem Land direkt neben dem French Quarter und Canal Street und ist vor kurzem von Stadtplanungsberatern zum Abrissgebiet erklärt worden. Als ein komplexer Ort zur Studie und Analyse der Rassenproblematik, der sozialen Schichtung und der Immobilienentwicklung in New Orleans, ist es meiner Meinung nach für Maria wichtig, das Projekt zu fotografieren, bevor es verschwindet.
 
Wir nähern uns dem Iberville Projekt von der I-10 Unterführung aus und kommen auf die Basin Street. Drei Schwarze auf dem Balkon vom ersten Reihenhaus schauen auf uns hinab, während wir darunter vorbeigehen. Der Mann in der Mitte der Gruppe sitzt auf einem Stuhl mit Louisiana- Lotterie-Karten in der Hand. Er hat Falten im Gesicht und am Hals und graues Haar. Links und rechts von ihm stehen zwei Männer und schauen die Karten in seiner Hand an. Der eine trägt ein graues bauschiges T-Shirt und Blue-Jeans. Der andere, ein dünner Mann in den mittleren Jahren mit abgetönter Sonnenbrille, hält eine Dose Bier in der Hand, die teilweise in eine braune Papiertüte gewickelt ist.
 
Maria ruft in etwas schwerfälligem Englisch, "Excuse me, do you mind if I take your photo?" und zeigt ihnen lächelnd ihre Digitalkamera. Wir sind im Touristenoutfit und tragen die Rucksäcke vorne, um die Kamera zu verstecken, was sich im Fall von Maria als ziemlich unbequem erweist, da der Rucksack sich überdimensional weit über ihren Bauch wölbt. Für einen Moment sagen die drei Männer nichts. Dann bewegt sich der Mann mit der abgetönten Sonnenbrille vorwärts zum eisernen Balkongeländer. Er streckt seine Hand mit der Bierdose aus und sagt, "Sicher, Baby, mach es einfach so, wie Du es willst." Sein junger Freund macht für einen Moment einen Schritt nach vorne, wie ein Fuchs, der neugierig ist, aber sich nicht fangen lassen möchte. Er verschwindet dann wieder im Schatten der Wand. Er vermeidet es, Blickkontakt mit uns aufzunehmen. Der ältere Mann im Stuhl schaut seinen Freund an. Dieser fährt fort, mit uns zu sprechen, und wendet sich dann wieder den Lotteriekarten zu.
Maria macht mit ihrer Digitalkamera eine Serie von Fotos. Ich erkläre dem Mann mit der Sonnenbrille, dass Maria aus Deutschland stammt, und dass sie von Beruf Fotografin ist.
"Das ist gut, Mann, das ist gut", sagt er. Pause. "Ich will, dass die ganze Welt sieht, wie wir Amerikaner leben".
 
Er versteckt die Bierdose hinter sein Gesäß, und sagt, dass er sie nicht auf dem Foto haben möchte. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Straße, um zu sehen, ob wir zwei Ausländer mit einer kostspieligen Kameraausrüstung schon die Aufmerksamkeit auf uns gezogen haben. Eine Frau mit gespritztem Haar schaut uns mit offener Neugier von einem anderen Balkon aus an. Einige Autos fahren auf der Basin Street vorbei.
 
Maria lässt inzwischen den Mann auf dem Balkon wissen, dass sie ihm die entwickelten Fotos von Deutschland aus zuschicken wird. Er lehnt sich über das Balkongeländer und gibt ihr seine Postanschrift. Seine Postleitzahl ist ihm nicht geläufig und er fragt seinen Freund. Es ist die 70112," korrigiert ihn der junge Mann. "Nein, 70110," sagt der ältere Mann. "Schreib halt Basin Street, William Faulkner, New Orleans und es wird ankommen," fügt er hinzu. "Ich werde auf mein Überraschungspaket in der Post warten".
 
Maria legt die Kamera um ihren Hals und wir gehen auf der Basin Street weiter. Plötzlich ruft die Stimme von William hinter uns her. Er möchte zu uns hinunter kommen. Wir warten und er kommt uns mit blauen Lotteriekarten in seiner Hand entgegen. "Für meinen Freund," erklärt er. Maria bittet ihn darum, mit uns in den Hof zu gehen, damit sie einige Fotos von ihm machen kann. "Du willst den Hof fotografieren?" fragt er ein wenig zweifelnd, als er die Kamera sieht. Maria macht einige Fotos von William mit dem Hof im Hintergrund. "Ist sie etwa in mich verliebt oder so etwas?" fragt er und grinst zur Kamera. "Warum will sie mich von allen Seiten fotografieren?"fragt er.
 
Er bewegt sein Gesicht in einer etwas übertriebenen Weise für die Kamera. "Ich habe Hunderte von Ausdrucksmöglichkeiten," sagt er, indem er die Kiefermuskeln seines Gesichtes verzieht.
 
Maria: "Wenn William Faulkner fragt, ob ich in ihn verliebt sei, da ich ihn von allen Seiten fotografieren möchte, dann spürt er in dem Moment emotional die Intensität der Beziehung während des fotografischen Prozesses. Es ist, als wenn ich wünsche, an seine Seele zu kommen."
 
Während Maria noch einige Fotos macht, spricht William über das Iberville Projekt. Er schaut die roten Ziegelsteingebäude an. Er hat genug davon, sagt er, in einer Nachbarschaft zu wohnen, wo das Verbrechen Alltag ist, sagt er. Wo Jugendliche aus den anderen Teilen der Stadt gegen eine Gang aus anderen Teilen kämpfen. "Es gibt Erschießungen am helllichten Tag," erklärt er. "An schönen Tagen wie heute" Zwei junge Afroamerikaner in weißen T-Shirts gehen hinter uns auf der Straße und schauen uns an. Der eine sagt etwas zu seinem Freund und sie lachen sich an. "Die beiden sind gerade solche Typen, die ich meine, sie greifen an. Wenn wir länger hier stehen bleiben, dann braucht es nur einen Anlass und es brechen Dinge auf, die dazu führen..." William schaut sich um. Er ist aus der Hörweite seiner Bekannten. "Oh sie haben Gewehre, das sage ich euch. Große Pistolen, automatische Pistolen, Pistolen mit Munition. Seht ihr die Kinder da drüben, die auf der Treppe sitzen?" fragt William.
 
Wir schielen in die Richtung und sehen am Rande des Hofes zwei, vielleicht drei junge Männer, die auf verschiedenen Treppen sitzen. "Ich garantiere euch, wenn ein Junge tagsüber auf diesen Treppen sitzt, dann handelt er mit Drogen und wenn er mit Drogen handelt, dann ist es besser, wenn er ein Gewehr hat!" William lächelt uns an. "Na ja, so ist es."
 
Wir gehen über die Straße, um eine Statue auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn anzuschauen, die das French Quarter von Iberville trennt. William bleibt bei uns. Die Statue ist eine große graue statische Figur, die an Monumente des Ostblocks erinnert, mit übertriebener Muskulatur und Gliedmaßen. William blickt nicht auf und fährt fort: "Sie schießen hauptsachlich auf andere Schwarze." Wir stehen auf dem Mittelstreifen und schauen die Statue an.
 
"Wer ist das?" frage ich.
 
"Sie fragen mich nach Geschichte?" William schaut mich ungläubig an. "Ich weiß nicht, will nur weg von diesem Ort." Wir gehen zur Vorderseite der Statue. William bückt sich über die Beschriftung und liest mit einiger Schwierigkeit den Namen eines Generals. "Lasst uns sehen, Juar.. juare..." Wir lesen zusammen den mexikanischen Namen. "Ich weiß nicht, wer der ist," William lächelt wieder. "Ich interessiere mich ja nicht für Geschichte. Sie ist es gerade, die uns hier gehalten hat, in diesen Häusern für Leute mit niedrigem Einkommen." Pause. "Man kann diese Scheiße nicht hübsch reden."
 
Weit aus der Hörweite der Siedlung auf dem Gras des Mittelstreifens der Fahrbahn, also auf "neutralem Boden" beginnt William, uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Als er acht Jahre war, ist er vom Mississippi in diese Siedlung gekommen, um seine Tante zu besuchen, die hier lebte. Er ist hier geblieben und hat sich Arbeit gesucht. Nach einem Unfall, den er bei Jobcorps gehabt hatte, wurde er so verletzt, so dass er arbeitsunfähig wurde. Das Iberville Projekt war alles, was er sich leisten konnte. Er ist jetzt siebenundfünfzig Jahre alt und hat im Iberville Projekt mehr als dreißig Jahre gelebt. Seine Schwestern leben auch in New Orleans. Sie haben ihre eigenen Wohnungen. Eine ist Krankenschwester. Sie hat gut für sich selbst gesorgt; er will ihnen aber nicht zur Last fallen. In den vielen Jahren hat sich im Iberville Projekt nichts geändert. Alles, was sie machten, war, einige Buchenbäume und einige Blumenbeete im Hof zu bepflanzen. William zeigt auf einige Dreiecke frischer Erde mit Pflanzen neben dem Straßenpflaster. "Das ist das ganze Geld, das sie hier ausgegeben haben. Buchenbäume und Blumenbeete. Wisst ihr, was ich meine?" William möchte in eine "gemischte Nachbarschaft, wo Leute stolz auf ihre Häuser sind. "Mit meinen Nachbarn hier habe ich in zu großer Nähe und zu lange gelebt". "Wisst ihr, was ich meine?" fragt er lachend und schaut uns über dem Rand seiner Sonnenbrille an.
 
Wir fragen ihn, was er von den örtlichen Politikern hält. "Oh, New Orleans ist voll von schwarzen Politikern und sie stehlen das Geld."Pause "Aber die versuchen nur, flott zu bleiben". Pause. "Was sollen sie denn machen, da wir den Ku Klux Klan in der Regierung haben - wie ist sein Name - David Duke, unser Gouverneur. Der Weiße, der muss die Schwarzen nicht mehr hängen. Er gibt ihnen nur Gewehre und Drogen. Gewehre und Drogen. Und wir gehen über von einer Diskriminierung zur Selbst-Eliminierung. Der Weiße, der sagt zum Schwarzen, entweder ihr bildet euch gut aus und werdet dann vielleicht $125 pro Tag verdienen oder ihr verdient hier besser $500 pro Tag mit dem Drogenhandel."
 
Über die Mütter, die im Projekt leben, sagt er: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ihr wisst, was ich meine? Einige von diesen Müttern haben keine Erziehung oder Ausbildung erhalten, wie können sie ihre eigene Kinder erziehen? Neunzig Prozent der Jugendlichen machen keinen Schulabschluss - Neunzig Prozent"
 
New Orleans ist eine Stadt des Jazz.
 
"Oh, sie spielen Musik ganz ohne Zweifel. Wirklich laut auf den Strassen und Plätzen. Sie machen keine Musik, sie spielen nur. Sie sind ungebildet. Wenn man zu lange Zeit zu nah wohnt, ist es Zeit, umzuziehen. Sich wegzubewegen. Der einzige Musiker, den ich hier herum sehe, spielt die Posaune im French Quarter irgendwo, ab und zu kommt er vorbei, um Drogen zu kaufen, ist das alles."
 
In drei Jahren, sagt er, wird es keine Gebäude mehr geben. Das Projekt Iberville wird für Tulanes Medizinstudenten abgerissen. "Seht ihr, das da, was dort gebaut wird"—er zeigt auf ein industrielles Gebäude, auf der anderen Seite von Basin Street nah an Canal Street —"Eigentumswohnanlagen werden da gebaut. Aber nur die, die ein Weißer sich leisten kann,"
 
"Siehst Du das"—er zeigt auf das alte Krauss Gebäude, das einst ein Einkaufszentrum war—"Eigentumswohnanlagen."
 
Er sagt, dass er sich keine Sorgen mache, dass er nur die Zeit abwarte, bis er sich entschließt umzuziehen. Wir möchten uns von ihm verabschieden und schütteln seine Hand. Plötzlich sagt er scheu "Wollt ihr vielleicht meine Wohnung sehen hmm?" Wir schauen einander an und sagen für einen Moment nichts "Es ist nicht sehr ordentlich," gesteht William. "Ehm," sagen wir, und versuchen abzuwägen, was wir tun sollten. "Wartet eine Minute," sagt er schnell, "ich bin gleich zurück."
 
 
 
William lässt uns neben der Statue des mexikanischen Generals stehen und verschwindet hinter einem der Reihenhäuser neben dem Friedhof. Wir sehen uns verlegen an und besprechen, was wir machen sollten. Wir können z.B. sofort über die Strasse gehen und im French Quarter verschwinden. Dies scheint aber feige Es macht uns auch neugierig, über unsere früheren Erwartungen hinaus, in ein Privathaus im Iberville Projekt eingeladen zu werden. Andererseits kennen wir William überhaupt? Die Nachbarschaft ist bekannt für die Zahl der Verbrechen. Mehrere Minuten gehen vorbei. Es ist unerträglich heiß auf dem mittleren Streifen. Wir entscheiden uns schließlich, - wenn William in einem der Häuser an der großen Straße wohnt - hineinzugehen. Wenn er aber innerhalb von einem der Höfe wohnt, wo ein schneller Ausgang nicht möglich wäre, werden wir höflich, aber entschieden seine Einladung ablehnen.
 
Als er zurückkommt, nimmt William mich an die Hand, um uns beide über die Straße in die Siedlung zu führen. Wir versuchen, ihn ein bisschen zurückzuhalten, um ihn zu fragen, wo er wohnt.
 
"Bin ich nicht gerade dabei, euch zu zeigen, wo ich wohne?" Er schaut uns erstaunt an.
 
"Es ist nur," sage ich schnell, "es ist nur, dass wir dachten, du wohnst in einem Haus hier auf der Straße, wenn nicht," Pause, "wollen wir nicht weiter stören."
 
"Ihr denkt, dass ich Euch etwas antue? sagt er lachend, und drückt meine Hand. "Es wird euch nichts geschehen, das schwöre ich."
 
William zeigt auf eine alte Frau in einem himmelblauen Hauskleid. Sie sitzt gekrümmt in ihrer Vorhalle über ein Buch gebeugt, das die Größe eines Telefonverzeichnisses hat. Sie verbringt ihren ganzen Tag mit Bibellesen, erzählt William uns leise. Maria bittet William, sie zu fragen, ob es in Ordnung wäre, ein Foto von ihr zu machen. "Mutter" schreit er "Was machst Du da?" Sie hebt ihre Augen von ihrem Buch und steht auf. Sie ist ungefähr siebzig Jahre und trägt ihr Haar hochgesteckt wie ein unordentliches Handtuch., "Können wir von Dir ein Foto machen?" Sie schaut uns ein bisschen verwirrt an uns und dann schaut über uns hinweg auf die Strasse "Ich weiß nicht," sagt William zu uns. "Kein Problem," sagt Maria. "Kein Foto."
 
Maria "Wir erwarten von ihm, dass er uns gut behandelt, und er erwartet von uns, dass er sich auf uns verlassen kann. Für einen Fotografen ist es äußerst wichtig, dass die Regeln der Tätigkeit für beide Seiten schnell verständlich sind. Wenn ich ein Paparazzo wäre, hätte ich sie heimlich fotografiert."
 
William führt uns über den Hof in seine Wohnung. Eine Twix- Verpackung rollt den Boden entlang. Ungefähr fünf Meter entfernt spricht ein junger Mann mit Haarflechten in ein silbernes Handy. Neben uns sitzt ein alter Mann auf den Stufen eines Hauses. Er trägt einen braunen Businessanzug und einen schwarzen Hut. Die Füße stecken ohne Socken in den Schuhen und wippen hin und her. Zwei Türen weiter hält William an. "Hier ist meine Wohnung," sagt er, indem er auf eine Tür mit einem ausgefransten Aufkleber mit der amerikanischen Fahne zeigt. "Vorsicht, es ist nicht aufgeräumt"warnt er uns "Ob ich euch jemals in eurem Haus besuchen kann? Die Vorstellung ist für uns wie für ihn gewöhnungsbedürftig.
Er öffnet die Grillklappe und die Haustür und lässt uns an ihm vorbei. Die Tür schließt sich hinter uns. Wir treten von einem grellen, hellen Licht des Hofes in völlige Dunkelheit. Wir befinden uns in einem rechteckigen Zimmer.
Das erste, was uns auffällt, ist eine fast lebensgroße Skulptur eines schwarzen Panthers auf einem Brett an der Wand. Die Skulptur glänzt im dunklen Licht und hat große Pfoten. An der Wand, der Tür gegenüber, hängen zwei eingerahmte Bilder von Martin Luther King und von einem Adler. "Dies ist mein Leben," verkündet uns William. Ich stehe am Eingang mit einem Fuß in der Tür, um etwas Licht in der Raum zu lassen und den Hof im Auge zu behalten.
William und Maria gehen im Raum umher. Auf der Couch liegen einige zerknitterte Kleider. Daneben steht ein dreieckiges hölzernes Brett mit eingerahmten Fotos. Ein Haufen Papier, ein Telefonverzeichnis, eine Bibel, einige Kunststoffperlen und ein Körbchen mit Kondomen liegen auf dem Tisch neben der Tür. William entschuldigt sich wieder, dass er keine Zeit hatte, aufzuräumen. "Sie wissen, wer das ist?" fragt William, indem er auf das Bild an der Wand zeigt, das hier sicherlich schon dreißig Jahre hängt "Das ist Martin Luther King." Nach einem Moment, sagt er "das Bild ist vergilbt, der Traum ist zerrissen." Maria macht in der Wohnung einige Fotos und von William auf seiner Couch und auf einem braunen drehbaren Stuhl. Sie hat Probleme mit der Beleuchtung. Ich öffne die Tür weit. William schaltet die Deckenbeleuchtung in Gestalt einer Tulpenbirne aus und ein, aber es verbessert die Lage nicht.
Die Kamera surrt, fokussiert aber nicht. Nervös schaltet Maria den Fokus aus und fotografiert beinahe blind. Maria: "Diese Bilder sind die einzigen, die nichts geworden sind. Es war aber für mich das wichtigste Ereignis in New Orleans."
 
Nach 10 Minuten kommt eine junge Frau vorbei um William zu besuchen. Er bittet sie, etwas zu warten. Wir verabschieden uns. William verlässt mit uns seine Wohnung und begleitet uns bis zur Straße. Während wir weggehen, frage ich William, was seine Lieblingstelle in der Bibel ist. "Die Zehn Gebote," antwortet er ohne Pause. "Nicht, dass ich alle Gebote einhalte," lacht er, "aber die meisten von ihnen. Die Wichtigsten." Ehebruch, sagt er, ist das Schwierigste. Was soll ein Mann tun, sagt er lachend, was soll ein Mann tun. Als wir uns das zweites Mal verabschieden, müssen wir ihm versprechen, die Fotos zu schicken. "Vergesst meinen Namen nicht. William Faulkner." Wir gehen zur Rampart Street und zum French Quarter.
 
 
Biografisches:
Aoife Naughton, Juniorprofessorin in Germanistik an der Tulane University, USA
www.tulane.edu/~germruss/anau.html
Maria Otte, Fotokünstlerin, Bildjournalistin, Designerin und Autorin
www.maria-otte.de