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Andreas Beaugrand

Ausstellung "Ornamentales" von Bernhard Sprute

Arabesken, Ornamentales oder diesen Begriffen ähnlich lauten die Bildtitel Bernhard Sprutes, die Ausstellungsbesucher, aber auch intensive Bildbetrachter irritieren können, wenn der Versuch unternommen wird, sie in ihrer Bedeutungstiefe zu verstehen. Zugleich aber ermöglichen diese Titel in verblüffend eindeutiger Weise einen Zugang zur Malerei des in dieser Stadt lebenden und arbeitenden Künstlers, den hier ja eigentlich alle kennen. Ich trage also Eulen nach Athen und versuche dennoch, Ihnen neue Möglichkeiten und Sichtweisen über die Malerei Bernhard Sprutes an die Hand, auf den Weg oder, besser: vor die Augen zu geben - in drei Schritten: Es folgt etwas über die Biographie, etwas mehr über Farbe sehen und Kunst verstehen und dann noch ein wenig über "Ornamentales", wie diese Ausstellung heißt. Ich bitte um etwas Geduld.

Zunächst also zur Person des Künstlers:

Bernhard Sprute wurde 1949 in Detmold geboren, studierte von 1968 bis 1971 Kunst- und Werkerziehung an der Pädagogischen Hochschule Paderborn und von 1974 bis 1978 an der Kunstakademie und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sprute ist seit 1975 auf Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen, er war Meisterschüler Timm Ulrichs, er ist Mitglied des BBK und des Westdeutschen Künstlerbundes, er bekam den Förderpreis für Malerei des Westfälischen Kunstvereins Münster, den "Kulturpreis Bildende Kunst" des Kreises Minden-Lübbecke, den Skulpturpreis der Stadtwerke Minden (mit Ulrich Kügler), - und er kennt sie alle - das "Who is who" der Kunstszene -, so, wie alle "den Sprute" kennen: als Mensch, als Persönlichkeit und als Künstler mit den Schwerpunkten Malerei und Installation.

Sprute malt mit Freude, er hat Lust auf Farbe, er geht mit ihr um, wie nur er es tut. Mit seiner Kunst diskutiert er zutiefst menschliche Gedanken - seien es religiöse, philosophische, kunstgeschichtliche, naturwissenschaftliche oder ganz persönliche -, und diese Auseinandersetzungen mit der Gedankenwelt, der Vorstellungskraft der Phantasie, mit der Leinwand und der Farbe und die daraus entstehenden Bildwerke machen Bernhard Sprute zu einem unverwechselbaren Künstler mit eigener deutlicher Handschrift, dessen Werke jeder sofort als eines "von Sprute" erkennen kann.

 

 

Zum zweiten Punkt: Farbe sehen und Kunstverstehen.

"Um Farbe mit Erfolg anzuwenden, muß man erkennen, dass Farbe fortwährend täuscht." Dieser zentrale Satz über die Eigengesetzlichkeit der Farbe stammt vom Bauhaus-Lehrer Josef Albers, der in seinem Buch Interaction of Color (New Haven / London 1963) zudem forderte, dass jeder Künstler vor dem Studium von Farbsystemen die Wirkung der Farbe praktisch erproben solle, um zu erfahren, wie "ein und dieselbe Farbe unzählige Lesarten" ermöglicht. Die Bilder von Bernhard Sprute mit ihren explodierenden Farben bestätigen Albers. Auch Bernhard Sprute weiß, dass Farbe täuschen kann, dass sie wenig verlässlich ist. Aber er zwingt sie ins Bild, er arbeitet und spielt mit ihr, er formt sie zu seinen Kunstwerken.

Bernhard Sprute hat sich für die Kunst entschieden, für das Engagement zu zeigen, dass Farbe nutzbar und nützlich und mehr als eine "innere, ziellose und inhaltslose Erregung" ist, wie es der amerikanische Kritiker Donald Kuspit einmal formuliert hat. Er hat, was seinen beruflichen Weg betrifft, eindeutige Entscheidungen getroffen - für die Kunst, für die Selbständigkeit als Künstler, inzwischen seit fast 30 Jahren: Farbe ist überall in seinem Atelier, Farbtuben und neue Eimer mit frischer Farbe stapeln sich in Regalen, es riecht nach Farbe - wunderbar einerseits, schwindelerregend andererseits, dennoch ganz rational: Malerisch steht Bernhard Sprute in der archetypischen Tradition der Tafelbildmalerei. Die Grundtextur seiner Bilder ist die imprägnierte Leinwand, die er nach klassischer Manier in immer dichter werdendem Auftrag mit Ölfarben, Beizen und Dispersionsfarben bearbeitet, bis sie den Farbklang haben, den sich der Künstler vorgestellt hat.

 

 

Was Bernhard Sprutes Bilder konsequent vermitteln, sind Vorgänge, die man nicht nur anse-hen, lediglich schnell und oberflächlich anschauen kann, sondern die man beim Sehen selber verspüren und persönlich nachvollziehen muß. Fragment, Bruchstück, Allegorie, Metapher. Langes Sehen, konzentriertes Betrachten. Das Nachvollziehen der verschlungenen Farbwege und -zeichen führt dazu, dass Sprutes Bilder Stück für Stück und immer wieder aufs neue einzelne Elemente preisgeben und eben noch gesehene wieder entschwinden lassen. Eine solche Bildbetrachtung läßt sich analog zur Eigenart der Allegorie und zum Verfahren des Alchimisten verstehen, der eine Vereinigung gegensätzlicher Prinzipien herbeiführen will, die aus dem Bewusstsein gespeist wird, dass die Welt zerfallen wird. Die Romantik hat auf diesen Zustand mit Ironie geantwortet, die Moderne mit Skepsis, Provokation und dem verzweifelten Lachen von Dada, aber auch mit Expressionismus und Konstruktivismus. Bernhard Sprute weiß das und geht seinen eigenen Weg.

Er stellt in seinen Bildern eine Wirklichkeit dar, die sich dagegen wehrt, dass man etwas durch Identifizieren erkennt. Eine Wirklichkeit, die in der Erfahrung von Bewegung besteht - die des Auges im Bild und die der Betrachter vor dem Bild, die ein immer erneutes Sich-Einstellen erfordert, weil keine feste Einstellung genügt und abschließbar wäre. Wenn wir in Bernhard Sprutes Bildern Farben sehen, oder anders gesagt, wenn diese Farben durch unsere Augen in uns eindringen, dann sehen wir sie als Bewegung und Verwandlung, und eben darin sind sie welthaltig: Sie vermitteln Realität zwischen Vorstellung, Wunsch und Wirklichkeit.

 

 

Es folgt der dritte Punkt und damit der Schluss: Zum Ausstellungsthema "Ornamentales".

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schreibt in seinen Bemerkungen über die Farben aus dem Jahr 1950, ihm würden die Ausdrücke "ein nur leicht bläuliches Gelb" oder "ein nur etwas gelbliches Blau" nichts sagen. Wittgenstein zitiert, sich selbst damit bestätigend, aus Runges Brief an Goethe: "Wenn man sich ein bläuliches Orange, ein rötliches Grün oder ein gelbliches Violett denken will, wird einem so zu Muthe wie bei einem südwestlichen Nordwinde". Dem rationalen, definierenden, feststellenden Denken ist es nicht möglich, was wir hier in den Bildern ständig erfahren. Die Farben bewegen sich über ihre Grenzen hinaus und dringen in andere ein, sie stellen Fragen, äußern Vermutungen und verweigern die Antwort, denn Bernhard Sprutes Kunst steht in einem räumlichen und thematischen Kontext, der sich leicht fassbaren Kategorien entzieht. Einmal scheint eine Formation über den Bildgrund zu schweben, manche der ins Bild gesetzten Zeichen drücken aus dem Bild heraus, und ein anderes Mal erkennt man deutlich, was auch auf den Bildtiteln zu lesen ist: Arabesken, Arabeskennetzwerk, Ornamentales ... und so hilft der Künstler selbst, wie eingangs erwähnt, seine neuen Bilder zu verstehen:

Die Arabeske ist eine (so wörtlich) "ranken- und blattförmige Verzierung", eben ein Ornament, dessen Bedeutung sich aus dem lateinischen Verb ornare = "schmücken" ableitet. Wörtlich übersetzt ist eine Arabeske somit ein Ornament nach arabischem Vorbild. In der Arabeske veranschaulicht sich das Prinzip des Historismus, des Aufgreifens historischer Stile im neuen Zusammenhang: Die Kunst der Pflanzenornamentik nach antikem, römischen oder griechischem Vorbild wurde in erster Linie von den Arabern in Perfektion betrieben und ist in Europa vor allem seit der Renaissance immer mehr verbreitet. Das Ornament dient als Rocaille, Maskeron usw. zum Schmuck, als Lisene oder Maßwerk zur architektonischen Gliederung. Die Hauptformen des Ornaments sind also je nach Kulturkreis und Entstehungszeit das mit Zirkel und Lineal konstruierte geometrische Ornament oder eine Verzierung, die Tiere, Menschen und - in unserem Fall - Pflanzen zeigt, die miteinander verbunden, ineinander verwoben, zueinander in Beziehung stehen.

Einer Applikatur, einer aufgelegten Ornamentik gleich, legt Bernhard Sprute nun diese Arabesken auf seine Malerei. Aufgabe der Betrachter ist es nun, auf die Spur des Künstlers zu kommen, denn die Arbeiten Bernhard Sprutes sind immer Katalysatoren für Bewusstwerdungsprozesse, nicht Mittler eindeutiger Botschaften. Seine Bilder formulieren die klassische Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur, aber auch die Frage nach dem Umgang mit sich selbst - wenn man sie sehen und erkennen kann. Insofern kommt das Aufgreifen der Arabeske in den aktuellen Arbeiten Sprutes nicht von ungefähr: Er reagiert damit auf die aktuell anhaltenden Spannungen zwischen der Nord- und Südhalbkugel unserer Erde, zwischen Orient und Okzident, die sich - visualisiert durch Formen, Zeichen und Muster aus unterschiedlichen Kulturkreisen - zu einem geschlossenen, einheitlichen Ordnungssystem zusammenfügen. Bernhard Sprute hat dafür einen treffenden Begriff gefunden: er nennt das einen "ästhetischen Friedensschluß".

Bernhard Sprute malt somit "Bilder hinter dem Bild", wie Georg Baselitz es einmal formulierte, der damit ein scheinbar absurdes Sprachbild für die Anstrengung verwendete, um das, was man eigentlich zum Ausdruck bringen will, aber so nicht sprachlich ausdrücken kann, wenigstens als Bild deutlich zu machen.

Dies als Betrachter zu erkennen, ist nicht immer einfach, das gebe ich zu, aber da halte ich es mit Manfred Strecker, der vor genau 10 Jahren feststellte: "Wer arm an Geist ist, dem gibt die Kunst wenig." Das gilt auch für die Kunst von Bernhard Sprute.

 

 

Ausstellungseröffnung

"Ornamentales" von Bernhard Sprute in der Galerie der Volkshochschule Bad Oeynhausen am 15. März 2005, 20.00 Uhr