Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Die optische Hütte von Marcus Kaiser

Eine Erinnerung für mich. Noch eine. Als Kinder bauten wir uns ein Haus, noch eins. Ins Erdloch, in den Baum, auf das Feld. Aus den Trümmern der großen Häuser der großen Menschen zusammen getragen Balken, Bretter, Scheiben, Stoffe, Teppichreste. Es war drinnen so kuschelig und keiner konnte uns sehen. Wo seid ihr? Und wir sahen auch nur uns. Markus Kaiser ist mit dieser Arbeit wieder zum Kind geworden. Er darf ins Himmelreich. Etwas ist hinzu gekommen. Wie bei einem U Boot schwenkt auf dem Dach ein Rohr mit einer Linse. Sie transportiert das Außen nach Innen. Mit der Außenwelt bleibt man also verbunden. Aber nur Optisch. Nur mit den Augen und das nur über ein Gerät. Wie anders kann es sein bei einem Fotografen. Eine Art von Camera Obscura. Schon einmal verwendete er diese Löcher Schau. Bei seiner Arbeit über und durch die Berliner Mauer. Hier wurden die Löcher zur blinzelnden Fernsicht in ein bis dahin unbekanntes Gelände. Wie mit Spanner Blicken gesehen das Gelände der sich öffnenden DDR. Es wurde ein Plakat zu unserer Ausstellung DDR Bilder. 1989. An noch etwas denke ich bei dieser Arbeit. An die Hütten, an die zusammen geschusterten Objekte der Arte povera, der armen Kunst aus Italien, welche eine Zeit in Penner artigem Kontrast zu den reichen Kunsthallen die Materialflächen wie bittend dem Bürger entgegenstreckten. Auch hier Hütten, die meisten gewölbt wie Eskimo Bauten im Elendsquartier. Kindheit und Kunst. Immer wieder treffen sie sich.
Hier auf einer Brache in Berlin.

Jens Lohwieser

 

Die Stadt in der Hütte. Mitten in Berlin, auf einer Brachfläche hinter dem Nordbahnhof sind weit entfernt die Konturen von Neubauruinen und Kirchen zu sehen. Die Stadt erscheint unbekannt aus dieser Perspektive. Einzig die Spitze des Fernsehturmes wirkt vertraut. Auf der Wiese steht eine kleine Hütte, zusammengebaut aus herumliegenden Materialien. Die Hütte ist innen dunkel, am Boden in der Mitte leuchtet eine helle Fläche, auf der sich nach wenigen Minuten, wenn sich die Augen daran gewöhnt haben, ein Bild abzeichnet: Ein Vogel fliegt vorbei, im Hintergrund das Panorama der Stadt, ein Flugzeug hält Kurs auf ein Hochhaus, eine Skaterin zieht vorbei. Es sind Momentaufnahmen in Echtzeit, die hier projiziert werden. Die Situation ist irreal, die Farben der Projektion sind blass, die Geräusche der Stadt dringen nur gedämpft in die Hütte. Sobald man die Tür öffnet, um zu vergleichen, ob die Realität draußen übereinstimmt mit der Projektion innen, zerstört das einflutende Licht das Bild. Die Hütte funktioniert als Kamera. Das Licht wird durch ein bewegliches Rohr im Dach eingefangen, mit einer Linse gebündelt und über einen Spiegel auf ein weißes Brett im Inneren projiziert. So lässt sich die Hütte gleichzeitig als optischer Apparat und als Skulptur begreifen. Sie bemächtigt sich des Stadtraums, reflektiert ihn und zeigt ein eigenartig entrücktes und unbekanntes Bild Berlins, ruinenhaft, gespenstisch und doch lebendig.