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Manfred Strecker

Fotografie wird schiere Kunst

Mit dem 25. Bielefelder Symposium über Fotografie und Medien endet die Ära Gottfried Jägers am Fachbereich Gestaltung

aus: Neue Westfälische, 29.11.2004

Bielefeld. Die Botschaften sind widersprüchlich. Während die Zeitschrift "Kunstforum international" in der jüngsten Nummer das Ende der Fotografie ausruft, feiert man am Bielefelder Fachbereich Gestaltung das "Foto im Zenit", wie der Titel des "25. Bielefelder Symposiums über Fotografie und Medien" am Wochenende lautete.

Vielleicht aber liegen höchster Triumph und heilloser Niedergang auch ununterscheidbar dicht beieinander. Jedenfalls beziehen sich beide Diagnosen auf das gleiche Phänomen: die Digitalisierung der Fotografie. Dass Fotografien am Computer durchgehend manipuliert werden können, zerstört ihren Nimbus, der sie seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert umgab: ein glaubwürdig unverfälschtes Bild der Wirklichkeit zu geben. Der Abschied von unverbrüchlicher Abbildungstreue zeitigt Folgen, in den USA haben Fotografien vor Gericht Beweiskraft verloren.

Was als ein schmählicher Funktionsverlust der Fotografie erscheint, ist für Lars Mextorf ein Gewinn. Der Berliner Fotohistoriker eröffnete den Lehrenden und Studierenden der Fotografie auf dem Bielefelder Symposium in einem meisterhaften Hauptvortrag eine leuchtende Zukunft. Wenn Fotografie Wirklichkeit gar nicht mehr beglaubigen muss, ist ihr Weg zur Kunst endgültig frei.

Mextorf führte verschiedene Positionen junger Fotografie vor, die diese neue Freiheit nutzen. Oliver Boberg etwa zeigt architektonische Situationen, unbeachtet von der Architekturfotografie sonst: Schuppen, daneben offene Schütten für Mist und Rüben, oder Fußgängerunterführungen der 60er Jahre. Was er fotografiert, ist nicht städtische Wirklichkeit, sondern sind Modelle, die er detailverliebt und täuschend real aufgebaut hat. Der Finne Miklos Gaá dagegen fotografiert wirkliche städtische Großbaustellen; weil er aber die Platte in seiner Kamera schräg stellt, machen seine Bilder den Eindruck, als wäre die Szene mit Baggern, Lastwagen und Bauarbeitern aus einem Modellbaukasten aufgebaut.

"Die Digitalisierung hat die Fotografie vom Zwang zur Authentizität freigestellt", frohlockt Mextorf. Gegenüber Malerei und Bildhauerei besitzt die Fotografie seiner Ansicht nach noch den Wettbewerbsvorteil, dass wir, die Betrachter, aus Abrichtung und Gewohnheit immer noch automatisch Fotografien als Wirklichkeitsabbildungen wahrnehmen. Diese so genannte Referenzgläubigkeit nutzen die Fotografen, um uns in ein komplexes Spiel ästhetischer Verwirrungen zu verstricken.

Prof. Gottfried Jäger, mehr als 40 Jahre lang Lehrender für Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld, dürfte all das wohlgefällig aufgenommen haben. Noch in den 70er Jahren hatte der damals maßgebliche Fotopublizist Karl Pawek die Ansicht vertreten, Fotografie bilde kein Sein, sondern sie bilde Sein gerade nur ab. Mit Apparaten wie einer Kamera könne man, weil ihr die geistige Dimension mangele, gar keine Kunst hervorbringen. Den Theoretiker wie den Künstler Jäger hat dieses Vorurteil gefuchst. Das 25. Symposium - das wissenschaftliche Treffen hatte er einst ins Leben gerufen - war das letzte, das er vorbereitet hat. Das Jubiläums-Symposium gibt Jäger recht: Fotografie ist Kunst, das Foto steht in seinem Zenit.