Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Anton Weidinger

 

100 Unnütze Gedanken

Teil 2: 26 - 50

 

26. Ironie, Parodie und Sarkasmus kommen in intellektuellen Kreisen zwar gut an, sind aber in falscher Dosierung ungesund und letztlich Zeichen von Hilflosigkeit gegenüber der Realität.

27. Zu den weniger reizvollen Nebenwirkungen des Alterns gehört die Beobachtung, dass diejenigen, die über dich zu bestimmen haben, immer jünger werden als du. Früher gehörten die entsprechenden Würdenträger deiner Eltern- oder gar Großelterngeneration an und konnten so leicht ignoriert werden, wie junge Leute es eben gern mit den Älteren tun. Womit sich der Kreis zu schließen scheint ...

28. Die liebe alte Dame, die mir vor bald fünf Jahrzehnten das Legen von Patiencen beigebracht hat, war für mein Unterscheidungsvermögen von "Das darfst du!" und "Das darfst du nicht!" entscheidender als der Katechismus der katholischen Kirche.

29. Das Patience-Spiel hat etwas ungemein Ermunterndes: Verlierst du, ist nichts verloren. Gewinnst du, freust du dich wie ein Kind.

30. Wer das himmlisch-traurige Schicksal hat, sich anhand des geläufigen Opernrepertoires zu sozialisieren, vermag zwar zu hören, wie schön die Engel singen, ist aber mit irdischen Lauten eher wenig vertraut.

31. Ein katholischer Priester verriet mir mit resignativem Ton, dass das Studium der Theologie zu den besten Methoden gehöre, den Glauben zu verlieren.

32. In den französischen Kirchen gefiel mir außerordentlich das Fehlen der bei uns oft so wuchtigen Kirchenbänke. Die zudem eleganten Stühle belasten diese Räume kaum und suggerieren so die Vision der himmlischen Vorhalle, wie sie die Baumeister einst erträumt haben mögen.

33. Die Floskel "meiner Meinung nach" gehört meiner Meinung nach auf den Index. Wenn ich etwas verkünde, ohne dabei jemanden anderen zu zitieren, wessen Meinung soll das dann wohl sein, wenn nicht die eigene?

34. Weil wir beim Index sind: Auch der Konjunktiv ist ein Kandidat! Stellen wir uns doch einmal ein therapeutisches Gespräch ohne ihn vor. Ein heilsames Schweigen träte an die Stelle manchen Blablas.

35. Die Wirkung der Werke großer Komponisten auf mich wird im Lauf der Jahre immer gewaltiger. Höre ich etwa Haydn, bemächtigt sich meiner ein Gefühl großer Sicherheit und Zuversicht. Lausche ich Mahler, spüre ich überdeutlich alle Risse meiner Seele. Bei Mozart aber lösen sich all diese Begriffe in der Vollkommenheit seiner Kompositionen auf.

36. Wenn meine Mutter und ich Menschen begegneten, die einen grotesken, verwahrlosten oder sonst wie befremdlichen Eindruck machten, pflegte sie mir zu erklären: "Die leben auch gerne ..."

37. Zwischen den letzten Worten von Eichendorffs "Taugenichts" (1826)

" ... und es war alles, alles gut!" und der Abschiedsformel einer allseits bekannten Klatsch-Moderatorin unserer Tage: "Alles wird gut." liegen weit mehr als hundertfünfzig kalendarische Jahre. Wie schnell verkommt Sprache, wenn man nicht auf sie aufpasst.

38. Bei mittelmäßigen Kriminalromanen muss sich der Leser auf den letzten Seiten all das anhören, was der Autor zu Beginn seiner Arbeit an Verwicklungen erdachte. Bei den Perlen dieser Literatur verbirgt sich solches Knirschen im Gebälk hinter der Meisterschaft des Erzählenden.

39. Im Bielefelder Schallplattenkatalog fand ich einst einen Tonträger verzeichnet, auf dem ein Werk Beethovens (WoO 96) zu hören ist: Schauspielmusik zu Dunckers Schauspiel "Leonore Prohaska". Man stelle sich vor, des Bonner Meisters einzige Oper hätte dieser jungen Dame aus den deutschen Freiheitskriegen gegolten: "Leonore, was hast du für mich getan?" "Nichts, mein Prohaska, nichts ..."

40. Ein ehemaliger Mitschüler, enorm klavierbegabt und seit früher Jugend aussehend wie ein verkanntes Genie, pflegte vor wichtigen Prüfungen zu Beethoven zu beten. Und es soll geholfen haben.

41. Ich kenne jemanden, der bezog seine sexuelle Aufklärung aus Meyers Konversationslexikon in einer zwanzigbändigen Ausgabe vom Ende des 19. Jahrhundert. Jener Unselige nennt den Penis bis heute "männliche Rute" und kennt nur eine Stellung, die a tergo.

42. Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz" hat mich weit mehr erschüttert als seine "Verwandlung". Denn damals, mit 15 Jahren, hat man halt noch den Glauben an die Unverletzbarkeit der menschlichen Würde.

43. Gestern im neuen IKEA-Katalog geblättert. Wäre schön, wenn wir für die Einrichtung unserer seelischen Wohnstube mindestens so viel Eifer aufbrächten wie für die Umgebung unserer Körper.

44. Der Pastor sprach zur Schulklasse: "Werft all eure Sorgen auf den Herrn!" (1. Petrus 5,7) Aus der letzten Bank kam es zurück: "Na, der wird sich schön bedanken!"

45. "Nach dem "X. X. XXXX" wird nichts mehr sein wie zuvor." Ich kann’s nicht mehr hören! War das nicht schon immer so?

46. Wer hätte gedacht, dass Theodor W. Adorno Mozart und dessen lieblichem Geschöpf Zerlina aus "Don Giovanni" so auf den Leim gehen würde, als er in der reizenden Spanierin das Symbol einer neuen Humanität zu sehen und zu hören meinte? Sie ist nur raffniert, das aber in idealisierter Weise. Wohl den Bauerntölpel, der eine solche Frau heiraten dürfen!

47. In Stellenanzeigen (die gab es früher tatsächlich noch en masse!) stand oft anbiedernd: "Sprechen Sie einfach mit unserer Frau Soundso" Abgesehen davon, dass es mir schlicht unmöglich ist, mit jemandem einfach zu sprechen, war auch damals die Leibeigenschaft schon seit ein paar Jahren abgeschafft.

48. Sie kennen doch bestimmt den alten Pfadfinder-Spruch "Jeden Tag eine gute Tat!". Wenn Sie das gleich am Morgen hinter sich bringen, können Sie die übrige Zeit wieder so gemein und rücksichtslos sein, wie Sie wollen.

49. Im Einkaufscenter meines Vertrauens wird ein Obst- und Gemüsestand von einem Jüngling betreut, den ich heimlich zum schönsten Mann der Menschheitsgeschichte ernannt habe. Hoffentlich erfährt er das nie. Er könnte sich dann darauf etwas einbilden.

50. Aus Paul Watzlawicks Buch "Anleitung zum Unglücklichsein" habe ich viel gelernt. Einige meiner langjährigsten Freundschaften endeten damit, dass ich ihm oder ihr zurief: "Dann behalte doch deinen blöden Hammer!"

 

Fortsetzung folgt