Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Walser will nicht.

In den Bilderkrieg. Immer neue Diskussionen mit dem Nichtwollen. Wegschauen war es schon einmal. Bei seiner Rede in Frankfurt. Auch im Buch "Der springende Brunnen“ habe er die Untaten an den Juden nicht erwähnt. Es war auf persönlicher Erinnerung gegründet, und da kam bei vielen dieses nicht vor. Ein Autor muss es nicht nachträglich hinein erinnern, um der politischen Korrektheit zu genügen. Korrekturen sollte auch der Leser machen dürfen. Anderes schreiben, als er denkt und dulden kann, will er nicht. Sollte ein Autor nicht. Auch ich erinnere keine Untaten an Juden, keine beschmierten Ladenfenster in unserer Kleinstadt. Keinen Transport. War da allerdings noch Kind, 10 Jahre jünger als er. An Toten nach dem Bombebangriff habe ich wohl vorbei gesehen. Keine Erinnerung. Die Eltern meine ersten mir sichtbaren Toten. Sie habe ich fotografiert. Friedlich und unter Blumen.

Aber nun die Folterbilder aus dem Irak.

Dazu schreibt Martin Walser im SPIEGEL Nr. 21, 2004, S. 190/91: Wer im Bild festhält, wie einem Menschen Gewalt angetan wird, hat die selbe Strafe verdient wie der, welcher Gewalt verübte. Zugleich zitiert er textliche Berichte über amerikanische Folterungen schon 1971. John F. Kerry in Washington vor einem Senatsausschuss. Ohren und Köpfe abgeschnitten, Drähte mit Strom um Geschlechtsteile, Glieder abgeschnitten ...Ohne Wirkung. Auch nicht die schriftlichen Berichte des Beobachter im Irak zu Beginn dieses Jahres. Ebenfalls ohne Wirkung. Wenn er Hanns Martin Schleyer als RAF Gefangenen anschaut, das Fernsehbild, hätte er, damals, als politisch Verantwortlicher jede Bedingung angenommen. Ich meinte schon früher, nach der Lektüre eines Amnesty Jahrbuchs, wären Bilder dabei, gäbe es weniger Folter. Ist das so? Gäbe es ohne die verbrecherischen Fotos von Verbrechen im Irak eine Debatte, eine Reaktion, eine Hoffnung auf Veränderung? Die wichtigen Politiker in den USA wussten es. Berichte lagen vor. Texte eben. Erst der Medienblick und die Öffentlichkeit haben Entschuldigungen ausgelöst. Sogar Entlassung für einige Gefangene. Über hundert. Von Guantanamo erscheint immer das gleiche Bild durch den Zaun gesehen auf die rot uniformierten am Kopf verhüllten Knienden. Andere gibt es wohl nicht? Auch davon ist wieder die Rede seit dem Erscheinen der Bilder von Abu Ghurreib. Gäbe es sie nicht?

Rumsfeld lässt nun die Veröffentlichung weiterer Bilder der Folter verbieten. Es sollen etwa 1600 sein.

Mir fällt zur Fotografie noch vieles ein, von dem ich nur noch hinzufüge, dass ein Herr Friedrich ein Museum für den Frieden aufgebaut hat, mit Kriegsfotos. Dabei auch Fotos von verstümmelten Gesichtern. Er war Kommunist und wollte keinen weiteren Krieg. Es waren die Nazis, die konservativ bürgerlichen Deutschen, welche das Museum rasch wieder schlossen. Sie brauchten neuen Kampfesmut und nationalen Stolz. Tapfere Erinnerungen an die verlorenen Schlachten und Menschen. No dead bodies, befahl und verbot der englische King George seinen Fotografen zum Ersten. Man sieht nur tapfere Recken sich recken und strammstehen. Wenn sie umfallen, verhüllt man der Kamera die Linse. Töten soviel wie möglich, foltern ja - fotografieren - nein.

Antikriegsmuseum 1924, Berlin, Parochialstr. 29

gegründet von Ernst Friedrich

 

Bilder einer Ausstellung, zu sehen im Antikriegsmuseum 1924 bis 1933, im Buch Weimarer Republik, Verlag ELEFANTEN PRESS

Vom letzten, hoffentlich letzten Weltkrieg gibt es auf deutscher, offizieller Seite fast nur Heldenfotos, auch wenn die tapferen Jungs darauf manchmal angekratzt wirken und verbunden sind. In privaten Alben findet sich das eine oder andere. Begräbnisse, Erschossene, liquidierte Partisanen. Es waren die Amateure, welche die realeren Bilder machten. Sie unterlagen keinem Medienkommando. Das auch im ersten. Auch die Ärzte, keine Berufsfotografen eben, dokumentierten. Walser würde die Fotografen bestrafen. Er möchte wegsehen. Schreibt aber darüber im SPIEGEL und in seinem Text stehen die Bilder. In der Tat ist als erster ein fotografierender Folterer verurteilt worden vom Militärtribunal. Ein Jahr Haft und unehrenhafte Entlassung aus der Armee. Walser schreibt, das Fotografieren vernichte die Menschenwürde. Richtig. Besonders die Würde der amerikanischen Besatzung im Irak. Das verdient zuerst die Strafe. Ohne diese durch Medien verletzte Würde wären die Folterungen weitergegangen. Sie gingen weiter mit Wissen der Vorgesetzten bis hinauf, man weiß es nicht oder sagt es nicht. Spätestens seit Januar wusste man in Militärführung und Regierung davon durch wiederholte Berichte vom Roten Kreuz und von Amnesty International. Man verbot diesen den Zugang, wohl der Menschenwürde wegen, die auch verletzt wird wenn jemand zusieht beim Foltern und dann auch noch darüber berichtet. Eine weitere Frage. Wie steht es hier mit der Gesinnungsfotografie? Mit der verbreiteten Annahme, die Einstellung des Fotografen werde sichtbar in der Einstellung der Kamera. Hier ist es ihr offenbar gleichgültig. Walser will die Fotografen von Folterszenen bestrafen wie die Folterer, weil sie wie diese die Menschenwürde verletzen. Ist aber der Fotograf ein Gegner der Folter, der anklagend dokumentieren will, was dann? Können Richter am Bild die Gesinnung überprüfen. Ungeübte Bildbetrachter. Können Medienexperten die Absicht des Fotografen heraus analysieren? Die Technik stellt sich dumm. Ich weiß nicht, sagt das digitale oder analoge Bild, was sich der Fotograf dabei gedacht hat. Aber die Wirkung ist da. Die Würde des in diesem Falle amerikanischen Militärs ist verletzt, weil sie die Würde der Gefangenen verletzen. Sehr würdevoll gedacht. Sie quälen die Gefangenen bis zum Äußersten und bringen sie fast um. Einige tatsächlich. Nimm mir das Leben, foltere bis zur Bewusstseinsgrenze aber lass mir meine Würde? Die Kanonade von Valmy 1872 war gemütlicher, schreibt Walser. Von den Zerfetzten gibt es keine Bilder. Die Fotografie war noch nicht da und Goethe konnte posieren, "... ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“. Er schaute weg, saß im Zelt bei seinen Texten. In der Tat. Weg von der Tat. Goethe musste als Minister an der Seite seines Fürsten von Weimar in diesen Krieg, vermied aber jede Schlachtennähe und soweit möglich jedes Schlachten. Er schrieb da weiter an seiner Naturlehre und über die Urpflanze. Goethe, ein Wegschauer und Fluchttier. "Ein fliehendes Pferd“. Walser auch. Ende Juli erscheint sein "Augenblick der Liebe“. Ich warte drauf.