Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Frank Bauer

“Ich bin kein Mensch, ich bin ein Huhn oder

König Artus Tafelrunde“.

Unter diesem Titel veranstaltete der Kunstverein Schloss Wrodow am 22. Mai 2004 in Mecklenburg ein Kunstfest. Joseph Beuys, der plastische Kreator, hat gesagt “Ich bin kein Mensch, ich bin ein Hase“. Er weist damit auf die mythische Bedeutung der Tiere hin, ohne die der Mensch nicht denkbar wäre. Blicken wir auf die fast zwanzig Jahre seit Beuys’ Tod zurück, auf die Medienentwicklung, die globale Vernetzung, die rasende Zeit, so verführt das Bild des an seinem 50. Geburtstag mit rohen Eiern geschmückten Beuys zu der Behauptung, der synkretistische Denker hätte heute wohl noch viel stärker an einer Entschleunigung der Zeit und einer Strategie zur Wiederentdeckung der Sinne gearbeitet. Die mediale Moderne wird steril, wenn sie keinen Sinn für die damit verbundenen Verluste entwickelt. Ein Blick auf die Tierwelt ist lehrreich, weil deren sinnliche Wahrnehmung noch nicht medial verrückt ist. Windows und RTL haben weder Hase noch Huhn im Griff, den homo sapiens hingegen weit gehend auf Stanzen fokussiert und in Fesseln geschlagen. Beuys hat schon vor der Entfesselung der Medien in den beiden vergangenen Jahrzehnten auf die Notwendigkeit hingewiesen, Gegenbilder zu entwickeln, die nicht nur im Kopf sondern auch m Bauch entstehen, also emotional getragen und von der Ratio nur noch nachträglich legitimiert werden. Nennen wir unser Kunstfest also einen Versuch über die Intuition.

 

Der Kunstverein präsentierte die Mixed Media Installation “LITTLE SISTER-CHECK THE EGG“. Die jungen Weimarer Bauhauskünstler Malte von Dieslo und Meike Schmidt beschäftigen sich mit Fragen der Zeit und der Zeitvernichtung, der Vermischung von Realität und Medien im Spannungsfeld zwischen Natur und Technik. Im Stall des Schlosses Wrodow zeigten sie die Mixed Media Installation “LITTLE SISTER-CHECK THE EGG“. Drei gecastete Hühner und ein Hahn lebten für die Zeitspanne der Installation in einem speziell eingerichteten Gehege, das stark an eine Voliere erinnerte und mit Fernsehern, Kameras, Spiegeln, Neonlichtern und Nestern ausgestattet war. Auf den Bildschirmen waren verschiedene Videoloops zu sehen, die bestimmte Aspekte des Hühnerlebens aufgreifen, der reale Raum wurde um eine mediale Komponente erweitert. Die Hühner kommunizierten in diesem Environment mit imaginären Szenarien und ihrem direkten medialen Abbild, das in ein Kammerkonzert im Schloss übertragen wurde. So pickte ein lebendes Huhn neben einem der Fernseher, auf dem wiederum das Bild eines nach Körnern pickenden Huhnes zu sehen war. Realität und Medienrealität vermischten sich und konkurrierten um die Aufmerksamkeit des Betrachters, dessen Bild wiederum aus einem Raum außerhalb des Geheges auf einem Fernsehschirm zwischen den Hühnern zu sehen war. Realität und Medium stehen gleichwertig nebeneinander und sind als Wirklichkeit präsent. Die Grenzen verschwimmen.

Mixed Media Rauminstallation: Little Sister - Check the Egg Entstehungsjahr: 2004

Die Arbeit setzt sich mit verschiedenen Realitätsebenen auseinander. In einer künstlich geschaffenen Zoo-Situation existieren mediale Bilder auf Fernsehern neben lebendigen Hühnern. Installation: Durch ein Netz wurde ein ca. 30 qm großes Gehege geschaffen, das stark an eine Voliere erinnert. Der Boden ist vollständig mit Sägespänen bedeckt. Im Gehege befindet sich ein Environment aus Fernsehern, Kameras, Spiegeln, Neonlichtern und Nestern. In dieser Umgebung leben drei Hühner und ein Hahn. Auf den Fernsehern sind verschiedene Videoloops zu sehen, die bestimmte Aspekte des Hühnerlebens aufgreifen. Der reale Raum wird hier um eine mediale Komponente erweitert. Die Fernseher als starre Materie und als bespielbares Medium, stellen innerhalb dieser Zoo-Situation ein ähnliches Beobachtungsobjekt dar, wie die lebendigen Hühner. So pickt beispielsweise ein echtes Huhn neben einem der Fernseher, auf dem wiederum das Bild eines nach Körnern pickenden Huhnes zu sehen ist. Das Gehäuse eines Fernsehers, aus dem die gesamte Technik entfernt worden ist, dient als Nest für die Hühner. Auf einem anderen TV ist das Bild eines schwebenden Eies zu sehen, das irgendwann von Innen gegen die (Matt)Scheibe des Fernsehers schleudert. Der Besucher selbst sieht sich als Betrachter auf einem der Fernseher, der ein Live-Kamerabild vom Raum außerhalb des Geheges zeigt. Hierdurch wird er explizit zu einem beobachtbaren, medialen Element innerhalb des Geheges. Realität und Medienrealität werden vermischt. Sie stehen gleichwertig nebeneinander und sind als Wirklichkeit präsent. Die Grenzen verschwimmen, Realität wird in Frage gestellt. Malte von Dieslo

Die Mixed Media Installation blieb dem Besucher des Kunstfestes zunächst verborgen. Der Gast trat in den Festsaal und erwartete ein hochkarätig besetztes Kammerkonzert, wobei er allerdings schon eine kleinformatige Installation “My Bird“ von Dieslo/ Schmidt passierte. Ein kleiner TV-Monitor saß in einem Vogelkäfig auf einer Stange. Der Bildschirm zeigte ein Video: Auf einer leeren Stromleitung landete eine Schwalbe, verweilte und flog wieder aus dem Bild heraus. Es entstand in der Wiederholung ein Wechselspiel zwischen Freiraum und Eingrenzung. Mit Beginn des Kammerkonzertes musste das Publikum dann irritiert feststellen, dass ein neben den Musikern aufgestellter Fernseher pickende Hühner neben Fernsehern mit pickenden Hühnern zeigte.

Während das mediale Ei gelegt wurde, genossen die Gäste ein Kammerkonzert. Das ENSEMBLE GIOCONDO, besetzt mit Orchestersolisten der Neubrandenburger Philharmonie und der Komischen Oper Berlin, spielte Werke von Matthes, Salieri, Telemann, Borné und Persicchetti. Annette Werner-Wildenhain (Querflöte), Andreas Markowski (Oboe), Bodo Werner (Horn), Adi Sharon (Fagott) und Matthias Lange (Klavier) bereiteten den Boden für die intuitiven Gegenbilder, die mit “König Artus Tafelrunde“ angeboten wurden - Zeit nehmen, Zeit lassen, Zeit haben, Zeit hüten, gelassene Gespräche in einem sinnenfrohen Ambiente ohne mediale Absurditäten. Die Solisten überraschten mit einer ungewöhnlich starken und persönlichen Kommunikation untereinander, die ihrem präzisen Spiel eine tiefere Dimension verlieh. Ein Experiment zur Schärfung der Sinne lieferte Bodo Werner, der das Hornsolo von Persicchetti außer Sichtweite des Publikums im Treppenhaus des Schlosses spielte.

 

Während einer zweistündigen Pause am Buffet hatten die Gäste Gelegenheit, eine Ausstellung zu sehen. Arbeiten des Berliner Künstlers Philipp Vogt und seines Vaters, des Berliner Malers und Lyrikers Dieter Tyspe. “Endlose Linien zeichnen, heißt, das Herz auf eine lange Reise mitzunehmen“. Danach konnte man die Mixed Media Installation von Dieslo/Schmidt in ihrer ganzen Dimension betrachten und das Bild dann in ein zweites Kammerkonzert mitnehmen.

Die beiden 16jährigen Nora Markowski (Violine) und Sophie Grundmann (Harfe), die am gleichen Tag und im gleichen Krankenhaus in Neubrandenburg geboren wurden, begeisterten mit Werken von Donizetti, Toussaint, Bartok. Sylvia Wood und Monika Markowski überraschten mit einer eurythmischen Darbietung zu einem Tango von Piazzola. Den musikalische Teil beendete noch einmal das ENSEMBLE GIOCONDO mit zwei Werken von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart. Wie sähe unsere Medien verstellte Welt wohl aus ohne das Miteinander der Generationen?

Im Schloss Wrodow haben sich an diesem Tag Generationen berührt.

Was wäre Wolfgang Amadeus wohl ohne seinen Vater, Entdecker und Förderer Leopold geworden? Philipp Vogt stellt Werke seines verstorbenen Vater Dieter Tyspe aus. Nora Markowski nimmt die musikalischen Impulse ihres Vaters Andreas Markowski auf und beide gemeinsam begleiten ihre Mutter.

 

www.kunstschloss-wrodow.de