Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Fotografia Santa

Zu Bildern der Heiligen Woche von Jürgen Heinemann und Hartmut Müller

Ein Spanien der Vermummung, der Düsternis, der dumpfen Religion überfällt mich. Schwarz ist ihre Grundstimmung. Steile Gestalten wanken durch die Fotoflächen wie monströse Dolche. Selten erscheint die christliche Mythologie derart unverblümt als eine Ikonografie des Martyriums, des Mordkomplotts gegen einen Menschen, dessen Ideen zu einer Erneuerung des Denkens führen sollten. André Malreaux´ Wort von der Poesie des Blutes, das er in Bezug auf ein spanisches Element der Kunst Francisco Goyas prägte, auf dessen Bildern die spitzen Ketzerhüte der Opfer von Feuer und Garotte wie eine Maskierung des Wahnsinns erscheinen, dieser Todeskult spielt auch mit bei dieser eigentümlichen, andalusischen Variante des christlichen Dramas, wie es hier einzigartig inszeniert wird. Ein gewaltiges Straßentheater, eine totale, die Zuschauer mit einbeziehende Inszenierung mit vorgezeichneten Ritualen bietet die Prozessionsfolge der Semana Santa in Sevilla.

Ich denke, dass die zahllosen Kruzifixe in Schulen, Krankenhäusern, an Straßen, Gerichtssälen durch die Gewohnheit ihres täglichen Anblicks die Anteilnahme des Gefühls fast abtöten. Es wird nicht immer bewusst, dass unsere Religion die Leiche eines Hingerichteten am Balken in den Mittelpunkt der Verehrung rückt, dass ein Justizmord den Ausgangspunkt dieser Lehre des Heils bildet. In den dumpfen Trommellauten der Prozession, in den Kapuzenmännern, den marschierenden uniformierten Instrumentalisten und kirchlichen Soldaten erwacht der alte Mythos vom öffentlichen, qualvollen Tod eines Sehers. Es blieb nicht der einzige Mord aus religiösem Wahn. Durch die nächtlichen Prozessionen leuchten auch die Feuer der Heiligen Inquisition.

 

Das Zelebrieren des Todes bietet den Hintergrund einer gesteigerten Lebens- und Heilserwartung. In den Straßeninszenierungen wirkt Archetypisches, Blut und Wein, Buße und Bauch. Selten wird in den andalusischen Städten so ausgelassen gegessen, getrunken und getanzt wie in der heiligen Woche des Kreuzes. In großen Skulpturengruppen werden Szenen von der Ankunft des Jesus in Jerusalem, über das letzte gemeinsame Essen bis zur Hinrichtung in der Prozession anscheinend zum Leben erweckt, wobei das wechselnde Licht der Fackeln die Plastiken fast wie in einem Film bewegt erscheinen lässt.

Auf Heinemanns Bildern und in meinem Kopf laufen die Schatten ihres Ursprungs gespenstergleich vor den Menschen her, die versuchen, in ritueller Wiederholung die Vergangenheit zu beschwören und zu überwinden. Foltertod, Prunk und Verhüllung, zelebriert als Bußprozession von Figuren, die durch die Umhüllung in Kutten und grotesken Spitzhaubenmasken wie aufgestiegene Dämonen als feierliche Bande von Henkern vorbei schreiten, die als barfüßige Büßer die Szene bestimmen, sie setzen Signale von Andacht und mit dem Anspruch der Autorität des Geheimnisses. Uns ist nun nicht mehr möglich, solche Inszenierungen als Volksspektakel touristisch wahrzunehmen, wie sie an der Börse des Tourismus farbig gehandelt werden.

 

Seit ihrer Gründung im Zuge der Gegenreformation und damit auch der Heiligen Inquisition organisieren Bruderschaften, cofradías, an Einfluss und Besitz mächtige Männerbünde, die spektakulären Umzüge, zugelassen von Vertretern der Kirche, die hinter den Umzügen herlaufen. So ist dieses als Volksfest angelegte Schaustück unter den Kutten auch eine Demonstration gesellschaftlicher Macht. Diese Regisseure verstehen sich auf die Schauer der Psyche und des Körpers. Unter tiefen Trommelschlägen der Buße erstrahlen demonstrativ Prunk und Reichtum. Gold gefasste Skulpturen, Brokate am Körper der Maria als Königin auf einem Podest, das als Thron unter einem Baldachin gestaltet ist, steigern den Appell an die Empfindungen. Die Namen der Jesusmutter verraten die Gefühle der Verehrenden: "Madonna von den Schmerzen", "von der Hoffnung", "von den Ängsten".

Es ist der Fotografie zuzuschreiben, dass die dunkle Körnigkeit der nebelhaften und scharfen Abstufungen die schwarze Stimmung des spanischen Rituals noch weiter hervorhebt. Auf einigen Bildern lastet der weiße Nebel des Weihrauchs. Seine Helligkeiten bieten keine Aufklärung. Die Fotografie wiederum setzt ihre Bilder dazu, dagegen, darauf. Sie steigert die Szene in grafischen Kontrasten, bringt subjektive Verletzlichkeit und Faszination zum Ausdruck von eigener Ergriffenheit und zur Beschwörung der Vergangenheit. Von zwei Fotografen gestaltet, 1961 und 1991, also im Abstand von 30 Jahren aufgenommen, erscheint die Bildfolge merkwürdig zeitlos und gleichmäßig fremd. Beide Fotografen sind zum Zeitpunkt der Aufnahme Studenten, Jürgen Heinemann bei Otto Steinert, Hartmut Müller bei Jürgen Heinemann.

 

Bei Betrachtung einzelner Bilder entwickeln sich Unterschiede der Emotion, der Sicht, der Erlebnisweise, die durch die Persönlichkeit der Fotografen und durch den Generationsunterschied begründet sind. Hinzu kommen die stilistischen Prägungen aus ihrer Zeit. Jürgen Heinemann fängt die Szenen ein in einem klassischen Bildstil, der Bildachsen, Diagonalordnung und grafische Ausgewogenheit der Lichtwerte einsetzt, um der sorgfältigen Regie der Umzüge in einer bildhaften Komposition zu entsprechen. Er betont damit das Autoritäre der Szene in kongenialer Einfühlung wie ein guter Theaterfotograf. Hartmut Müller arbeitet mit den Mitteln der Dekomposition. Er wirft die Bildelemente aus den geometrischen Netzen der rechteckigen Bildfläche, er lässt weite Partien im Nebel der Unschärfen abtauchen, um Einzelheiten, Nebenfiguren, Momente und individuelle Regungen umso deutlicher aufscheinen zu lassen. Gegen die Hierarchie der offiziellen Regie setzt er einen pulsierenden, offenen Bildraum.

Diese unterschiedlichen Sprachen der Fotografie sind auch historisch begründet. Sie ermöglichen eine Sicht auf die Bewegung der Verhältnisse, die nicht so bleiben müssen, wie sie sind. Als Jürgen Heinemann fotografiert, regiert der Francismus. Soldatische Figuren, insbesondere aber die der Guardia Civil verbinden sich mit den Kuttenträgern. Aus seinem Bild mit einem Milizionär wird eine Szene von Golgatha. Gegenwart und Geschichte vermischen sich. Der Gardist erscheint gedankenvoll, persönlich betroffen und getroffen, eine Bildform, welche an die Bekehrung des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz erinnert. Nicht nur in der Inszenierung auf der Straße, auch in den Fotobildern ist Geschichte und Kunstgeschichte präsent. Heinemann lässt den nackten Toten sich aufrichten, an Fäden gezogen, der Körper leuchtet wie eine Lampe, er breitet die Arme aus zum ersten Flügelschlag.

Unterdrückung, Tod und Auferstehung, sind Themen der Karwoche, es sind auch Themen der Fotoserie.

Hartmut Müller ist Christ. Für ihn ist der Tote auferstanden. Er vertraut auf das Wunder. Wie Kostbarkeiten blitzen bei ihm die prunkvollen Werkzeuge der Andacht, die glitzernden Fahnen und Kronen. Die dunklen Kuttenfiguren bilden auf seinen Fotografien mehr die Folie, sie sind nicht das Hauptthema. Auf der Suche nach Anteilnahme, die seinem Gefühl entspricht, zeichnet er mit der Kamera beeindruckte aber auch verspielte Kindergesichter. Den Teufel setzt er in einer Skulptur Darstellung hoch ins Bild, um ihn unter dem Fuß des Heiligen Michael umso kläglicher zusammenzustauchen. Kapuzenmänner werden in einem Moment ertappt, wo sie ihren Kopf einen Augenblick, Zipfelmütze ab, entlüften. Er hat eine tiefe Sympathie für diese gläubigen Menschen und die Art, wie sie ihren Glauben im Spiel zum Ausdruck bringen. Fotografieren wird zur Anteilnahme, zum Mitvollzug, zur Beteiligung und Einfühlung. Für Hartmut Müller ist das Fotografieren religiöser Momente selbst religiöse Beteiligung durch eine ekstatische Kamera, welche die Distanz aufhebt.

Rafael Briones Gomez spricht in einer Untersuchung über die Semana Santa von einem möglichen, volksnahen und subversiven Charakter dieses Festes als einer Feier des Volkes, der durch die autoritäre Inszenierung der Mächte am Boden gehalten wird. Hartmut Müller, scheint mir, versucht von diesem Boden aus zu fotografieren, indem er den Empfindungen des Volkes nachspürt, die er zugleich als seine eigenen begreift. Wenn Jürgen Heinemann makabre Aufmärsche zu düsteren Grafiken formt, hat er dabei die Militärmacht in Verbindung mit dem Klerus im Bewusstsein, die spezifisch spanische Variante des Faschismus. Hartmut Müller gestaltet seine Sehnsucht nach Befreiung in einer Verbindung von Sinnlichkeit und Ekstase in einer Religion der Erlösung. In beiden Fällen erhält die Fotografie eine Qualität, die man ihr meist nicht zugesteht, die der Vision.

 

Fotografien 1 bis 3 Jürgen Heinemann, 1961, 4 bis 6 Hartmut Müller 1991