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Jörg Boström

Embedded, digital und privat in Bielefeld,

zum 24. Bielefelder Symposium vom 14. bis 15.11.2003

Dr. Klaus Sachs-Hombach,bei der Zusammenfassung der Wege zur Bildwissenschaft. Rückenansichten von links, Dr. Thomas Hensel, Roman Bezjak, Karl Martin Holzhäuser, moderierend Gottfried Jäger.

Wenn das Bielefelder Symposium 2003 über die Krise der Wahrnehmung nachdenkt, wiederholt sich das Spiel mit den Medien zum 2000 und wievielten Mal. Ich krieg die Krise, seufzt die Fotowelt im Dauerstress. Wenn ich wieder einmal dabei bin, nun als angereister Gast, treffe ich nicht nur die lieben alten Fragen sondern auch die lieben Kollegen und einige wenige mir noch bekannte Studenten und angereisten Diplomierte. Wieder ein Zeitsprung. Embedded, eingebettet. Das Referat von Klaus Sachs-Hombach am Schluss fasst zusammen, was Bildwissenschaft werden könnte, parallel zur Sprachwissenschaft, wenn man erst einmal klar käme mit den Definitionen. Was überhaupt und als solches ist ein Bild, was Zeichen, Aussage, Botschaft, Inhalt, Wirkung.

Dieses zu klären reicht die Zeit nicht aus. Aber man sollte. Was hat nun Fotografie mit Wirklichkeit zu tun, was mit Wahrheit. Ja was ist Wahrheit, fragte schon der kluge Pilatus, nachdem er den ihm unbekannten Jesus auf Wunsch der Menge den Mördern übergeben hatte. Was hat Fotografie mit diesen beiden große W zu tun? Ein drittes W kommt hinzu: Wirkung. www.

 

Statt zu grübeln probiere ich mein Geburtstagsgeschenk aus, eine kleine, digitale Minolta. Mal sehn wer da ist und wie der Videoraum beim 24. Symposium sich darstellt. Wie treten die Referenten auf, welche Pullover, welche Jacken und Hemden tragen die Leute? Kenne ich noch mehr von ihnen als ich dachte. Ach ja, da ist ja noch...Am Bildschirm zuhause sehe ich genauer hin als bei der Aufnahme. Fotografie als visuelles Gedächtnis. Das immerhin. Und als Kommunikationsmittel. Eine Studentin neben mir fragt, wie das Ding funktioniert. Ich zeige ihr den passenden Knopf und löse aus. Erst zu Hause staune ich, wie jung sie ist. Werden sie immer jünger, die jungen Studierenden. Sie drückt auf den ihr gezeigten Kopf. Nein. Es ist wohl eher das wir Lehrenden und Exen immer älter werden. Ich überlasse ihr die Kamera für einige Zeit. Ein Spielzeug mit genauer Registrierkasse des Optischen. Nicht mehr.

 

Aber was wäre, wenn es gespeicherte optische Daten von Familie, Hochschule, täglichem Kram, Politik und Krieg nicht gäbe. Das Sichtbare, ein Teil wenigstens des Sichtbaren und auch nur ein Teil aus diesem Moment und dieser Perspektive. Für Sehsüchtige wie mich unverzichtbar. Und der Sinn und Zweck des Ganzen wird mir immer gleichgültiger. Nietzsche lehrte uns die tiefere Bedeutung des Nichtsinns in unserem Leben und wie dieser Nichtsinn verwandelt werden könne in Kunst. Ein Satz von dem Maler Giorgio de Chirico, der mich in meiner Studienzeit überfallen hat und der mir nun wieder in den Kopf kommt. Wenn man jetzt nur noch wüsste, was Kunst ist, hätte man das Problem gelöst und könnte ruhig weiterwursteln. Aber auch diese Definition fällt immer wieder auf die Nase. Sachs-Hombach kämpft noch immer um die Bestimmung, was nun ein Bild sein soll, bevor man dazu übergehen kann, die Bildwissenschaft ins Leben zu rufen.

Die Studentin probiert indessen den schmalen Kasten aus. Ein Blick auf die aufmerksamen Zuhörer, leicht in Aufsicht, denn sie hockt auf der Treppe. Zufall, dass in der Bildachse oberhalb des optischen Mittelpunkts Hermine Oberrück zu sehn ist, die sie sicher nicht kennt, eine früherer Studentin von mir, Fotografin und gute Bekannte mit immer wieder herzlichen Kopien und Kontakten.

Ein Kommilitone ruhig und aufmerksam, skeptische Mundwinkel, eine Kommilitonin, die nach oben schaut, als wollte sie nicht aufs Bild oder als langweile sie der Vortrag. Was die Menschen denken, gibt ein Foto nicht wieder. Wohl aber wird hier die Verspätung der Kamera deutlich, etwa 2 Sekunden nach dem Knopfdruck. Der entscheidende Augenblick immer und regelmäßig verpasst. Cartier-Bresson wäre verärgert und nicht nur er.

 

Prof. Roman Bezjak moderiert Kai Pfaffenbach, Agentur Reuters und embedded photographer im Marsch auf Bagdad

Embedded in eine Gruppe amerikanischer Soldaten beim Angriff auf Bagdad war Kai Pfaffenbach. Seine Bilder in digitaler Technik, hier aber sekundenschnell mit Profigerät, zeigt unter anderem Soldaten bei Luftsprüngen vor Abendsonne, umgehend gesendet an seine Agentur, sind Zeugnisse der Gemeinsamkeit mit den jungen Amerikanern. Soldaten und Fotograf wissen nicht viel vom Ziel und Sinn ihres Einsatzes, aber sie erfüllen ihren Dienst. Der Realismus der Bilder besteht nun gerade in der Nähe, der Distanz- und Kritiklosigkeit, der Kameraderie der embedded photography. Insofern erfüllt sich dieses Konzept der Militärs im Umgang mit den Medien. Ist das nun die Wirklichkeit des Krieges im Irak? Kann Fotografie unsere Wirklichkeit in Bilder fassen? Man sollte gar nicht mehr fotografieren, sagt meine kluge Nachbarin. Was aber sollen sie sonst tun, die visuellen Suchtkranken?

Man sieht hier in dem Saal vorn links die Studentin Jana Duda, gerötete Haare, im Gespräch mit dem mürrisch, erschöpft oder gedankenvoll wirkenden Martin Deppner, beide sind Organisatoren des Symposiums. Dann sich umwendend Manfred Strecker, Redakteur und Journalist der Neuen Westfälischen. Dahinter meist guten Mutes und auch hier Gottfried Jäger, der auch an dieser Frage arbeitet, ob Fotografie unsere Zeit in Bilder fassen kann. Ihn kann sie in dieser seiner Zeit, die digitale Fotografie, in diesem verzögerten Moment. Aber was ist Wirklichkeit am momentanen Aussehen eines Menschen? Neben ihm Marlene Schnelle-Schneider, die meinte, man solle besser nicht mehr fotografieren. Vielleicht ist dieses Saalbild auch unnötig, aber mir gefällt es in diesem Augenblick, weil es mich erinnert, in diesem Moment der Betrachtung. Fotografie als ein Spiel mit der Erinnerung. Im Hintergrund, über Jägers Kopf der diplomierte Markus Redert, der guckt, was ich mit dem Miniblechstück treibe. Die anderen kenne ich nicht. Immer zahlreicher werden diese Unbekannten für mich im Fachbereich Gestaltung. Sichtbar bleiben sie dennoch, weil ich gerade ausgelöst habe. Sichtbar noch in vielen Jahren, vorausgesetzt, digitale Technik und Internetprogramm sind lange genug lesbar. Aber ist ein digitales Datenwerk noch ein Bild oder wird es erst eins nach dem Ausdrucken? Am Bildschirm bleibt es ein sichtbares Pixelgespinst. Wenn man Fotografie definiert als ein rechteckiges Papier, das von Licht und Chemie abgebildete und festgehaltene Dinge, Räume und Menschen zeigt, dann sicher nicht. Also besser ab ins Papier und dann vielleicht in den universalen Speicher, Archiv oder Papierkorb. Die Frage ist nun nicht, was kann der Fotograf, sondern was kann, nicht was ist, die Fotografie. Diese hier, wenn es denn überhaupt Fotografie ist, kann zeigen, dass dieses Symposium stattgefunden hat, aber nur wenn eine entsprechende Betextung vorliegt. Die digitale Technik datiert automatisch. Sie kann zeigen, wie die Fotografie sonst auch, wer wann dabei war, nicht alle, aber die Abgebildeten. Lothar Kräussl z.B. war da, sagt er mir, ich und die Kamera haben ihn nicht gesehn. Herrn Kellein, Direktor der Bielefelder Kunsthalle, habe ich kurz gesehn, aber nicht fotografiert. Das Bild kann nur zeigen, welche Menschen im Bildausschnitt sind, wie sie zu diesem Zeitpunkt aussehn, wie sie gekleidet sind etc. Nicht was sie denken, nicht einmal was sie reden. Dass einige von ihnen Manuskripte in den Händen halten, sieht man, nicht aber was draufsteht. Von Manfred Streckers Notizen wird einiges und ein wenig mehr wohl in der Neuen Westfälischen abgedruckt. Aber das kann ich nur vermuten und hoffen. Das Bild als Bild gibt das nicht her. Schluss oder nicht Schluss. Kurzschluss. Fotografie, digital oder analog, bildet einiges von dem ab, was im Moment der Auslöse vor der Kamera ist. Insofern ist sie gefesselt an die Wirklichkeit, die optische nur, und an den Moment, also an die Zeit, unsere Zeit. Was dahinter ist, oder darüber, überlassen wir den Engeln und den Spatzen. Diesmal was von Heinrich Heine, der auch den Metaphysikern und den Denkern über Dinge als solche oft eine lange Nase zeigt, bis ihn selbst die Nacht überfällt in seiner, wie er es nennt, Matratzengruft.