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Virtuelles Magazin  -   Ausgabe 21   -   2003  -  Inhaltsverzeichnis

Johannes Farian

Im ewigen Frühling

Der Frühling in Cochabamba, in der "Stadt des ewigen Frühlings", fällt gerade sehr hochsommerlich aus, meine Nase ist schon von der starken Sonne verbrannt und ich weiß schon nicht mehr, wann ich das letzte Mal etwas Langärmliges anhatte. Die Cochabambinos, so nennen sich die Leute hier, mögen die Sonne auch nicht gerade. Wenn sie aus dem Schatten treten, halten sie stets ein Buch, oder was sie sonst dabei haben, in die Luft, um ihr Gesicht zu beschatten. Früher war das nicht so, erzählen die Leute, erst jetzt mit Ozonloch über der Antarktis.

Dabei kann unserer Solarbranche eine hohe Sonneneinstrahlung ja nur recht sein. Dauernd bewölkt? Nebel? Nein dankeschön! Wenn es bei den Solaranlagen wo fehlt, ist es eher die momentane schwierige wirtschaftliche Lage oder die fehlende Bekanntheit dieser Technologie. Somit kommen recht wenig Leute in den Laden von PRO-SOL, wo ich diese Woche mein Praktikum begonnen habe. Wir müssen vielmehr zu den ´campesinos´, zu den Leuten aufs Land gehen und, meistens im Rahmen nationaler oder internationaler Projekte, unsere Solar-Home-Systeme verbreiten.

PRO-SOL ist ein Familienunternehmen im wahrsten Sinn des Wortes. Vater, Mutter, fünf Söhne, Schwiegertochter, alle arbeiten mit. Daneben gibt es nur noch Wagner, einen Techniker, der erstaunt war, als ich ihm die Herkunft seines Namens erzählt habe. Meine Aufgabe wird nun zum einen sein, für einen holländischen Hersteller von Dünnschicht-Solarmodulen einen Marketingplan zu schreiben, nach der sie sich eventuell in den lateinamerikanischen Markt stürzen wollen oder nicht. Zum anderen werde ich mit PRO-SOL ein altes Projekt evaluieren und bei einigen neuen mit aufs Land fahren, um kennenzulernen, wie die Projekte funktionieren. Im ´Idealfall´ kommt es bis Februar zu einem neuen großen Projekt, in dem die preisgünstigeren Dünnschichtsolarzellen eingesetzt werden.

Der Nutzen der Solar-Home-Systeme scheint mir schon hoch zu sein, was ich bisher beurteilen kann. Es wird nicht nur der Fernseher angemacht, sondern in erster Linie das Licht, das den Tag über 18 Uhr hinaus verlängern kann, denn dann wird es in den Tropen ja schnell dunkel. Schulkinder mit Solaranlagen haben angeblich bessere Leistungen, weil sie die Hausaufgaben in Ruhe abends machen können und tagsüber draußen helfen

Neben der Sonne liegen die Hauptgefahren der Stadt in den Eisenstangen, die an den vielen Sonnenschirmen auf meiner Augenhöhe auf mich gerichtet sind und leicht zu übersehen sind, wenn man wo anderes hinschaut. Und zum Schauen gibt es genug. Zum Beispiel das "mit Fahrrädern Eintritt verboten"-Schild an der Eingangstüre der Kirchen, die vielen Geschäfte, der Markt, die verschiedenartigen Menschen. Es sind auch sehr interessante Menschen, die ich bisher kennen gelernt habe. Zum Beispiel den Photographen Omar und den argentinischen Schlagzeuger Carlos, die sich gestern im "obeja negra" herumgetrieben haben - ich habe gleich eine Unterrichtsstunde Bongospielen bekommen und durfte auf der Theke zu Santana mittrommeln.

Ein eigenes Zimmer habe ich auch. Die Suche sollte in Freiburg auch mal so vor sich gehen wie hier! Man läuft einfach durch die Straßen im Univiertel und fragt irgendjemanden, zwei von drei Antworten sind Treffer. So habe ich mein Domizil unter der Weinrebe bei einer älteren Dame mit zwei Hündchen und zwei kleinen Katzen gefunden.

Jetzt merke ich, dass ich mich doch schon recht schnell an das Land angepasst habe und nehme überhaupt nicht so richtig wahr, dass ich in einem der ärmsten Länder der Welt bin. Vielleicht wird es mir bewusster, wenn ich nicht mehr im Internet-Cafe im Stadtzentrum, sondern auf dem Land sein werde, wo die Situation nochmal völlig anders ist.

Und die politische Situation ist in anderen Provinzen gerade angespannt, weil die Cocaleros (Koka-Bauern) von den USA und der eigenen Regierung gezwungen werden, ihre Felder und damit ihre Verdienste aufzugeben und auf mehr oder weniger ertragreiche Ersatzprodukte auszuweichen. US-amerikanischen Tabak dürfen sie weiterhin gerne rauchen und an Lungenkrebs sterben.

Aber Schluss jetzt, lange Mails liest man ja gewöhnlicherweise nicht so gerne. Ich bin ja froh über alle, die bis hier durchgehalten haben. Über Nachrichten aus dem guten Alemania freue ich mich natürlich ganz besonders. Unten steht auch eine Postanschrift, unter der ich ein limitierte Anzahl von Briefen empfangen darf.

Un abrazo fuerte para todos! Tschüß,

Johannes
 
 

Alphornunterricht in Cochabamba?

Die Idee, in Bolivien gleich ein lateinamerikanisches Instrument zu lernen, ist bestimmt nicht schlecht. Doch muss der Wunsch, hier Bongo spielen zu lernen, ähnlich klingen wie derjenige, in Schleswig-Holstein Zitter oder Alphorn lernen zu wollen. Denn die Bongos sind ja schließlich aus Kuba. Vielleicht hätte ich doch besser Charango angefangen. Es gibt ja den guten Schlagzeuger Carlos, der mir Stunden gibt. Aber was für welche: ich habe noch nie so schlechten Musikunterricht genossen.

Der Unterrichtsraum befindet sich in einem Kindergarten, unterrichtet werden zwei Schüler gleichzeitig, aber verschiedene Instrumente und verschiedene Rhythmen. Nein, wenn man sich richtig konzentriert, stört das nicht. Dann schlägt der Lehrer das universelle Übungsbuch auf, fragt, bis zu welcher Übung wir das letzte Mal gekommen sind. Ah, bis zu den Achteln. Dann sind heute die Triolen dran. Jede Zeile bitte viermal wiederholen, wenn fertig bitte sagen. Und geht erst einmal eine rauchen, herumräumen oder vergnügt sich mit den Kindergärtnerinnen (wäre ja sonst kein richtiger Argentinier). So, das warâs dann, wann ist die nächste Stunde? Und eine Bitte: ob ich ihm einmal im Voraus bezahlen könne, denn er müsse noch zum Markt einkaufen gehen (das würde man ihm nicht einmal glauben, wenn er kein Argentinier wäre).


 
 

Wagner und High-speed-Zahnarzt

Zwar bin ich schon einen Monat in Cochabamba, aber ich habe immer noch nicht den Eindruck, im ärmsten Land Südamerikas zu wohnen. Die Stadt hat zum Teil europäische Züge und nicht viele Stadtteile sind überhaupt nicht zu vergleichen mit ländlichen Gegenden. Wie in vielen Ländern außerhalb Mitteleuropas ist der Stadt-Land-Gegensatz stark ausgeprägt. Dass man in Deutschland in einem Dorf wohnen kann, und trotzdem Zugang zu guter Schule, Informationen, Theater hat und nicht einmal in Armut lebt, ist hier schwer vorzustellen.

Die Stadt gibt sich auch alle Mühe, weihnachtlich zu wirken. Lichterketten, Weihnachtsbäume, in den Geschäften ertönende Lieder. Aber irgendwie schafft sie das nicht so recht. Wenn man eher daran denkt, ins Schwimmbad zu gehen als zur Adventfeier, dann kann auch Weihnachten nicht so nahe sein.

Die Umgebung Cochabambas ist waldlos, mit fruchtbaren Tälern und vegetationsarmen Höhen, die mehr als 5000 m erreichen. Fährt man auf den Pass, ist es schon deutlich kühler als unten, Seen mit darüberliegendem Nebel tauchen auf. Weiter Richtung Amazonas quellen dauernd neue Wolken auf, darunter liegt der tropische Teil Boliviens, deren Blitze man abends auch bis Cochabamba sieht. Das Dörfchen, in dem nach gut informierten Freiburger Quellen zwei Bewohner die Vornahmen "Hitler" und "Himmler" tragen sollen, konnte ich noch nicht ausfindig machen. Allerdings sind eigenartige Vornamen schon verbreitet. Zum Beispiel "Wagner" oder "Alemania". Auch bin ich noch am rätseln, wie die Behandlung beim Zahnarzt "Dentista alta velocidad" wohl vor sich gehen mag - davon gibt es viele, sogar auf dem Land.


 
 

Besser Mann sein in Cochabamba ?

Karnevalzeit ist angebrochen in Cochabamba. Dies bekommen vor allem die jungen Bewohnerinnen zu spüren, denn jetzt werden sie traditionellerweise mit Wasserbomben aus kleinen, aber auch größeren Gummiballons beworfen. Und nicht zu knapp. An berüchtigten Orten kommen die "chicas" allenfalls mit Regenkleidung einigermaßen unbeschadet durch. Ob auch verheiratete Frauen beworfen werden? Eigentlich nicht, sagt der Taxifahrer mit einem gewissen Grinsen, aber wenn sie einen schönen Körper haben, ist auch ein Kind auf dem Arm kein Hindernis...

Angeblich haben ja schon Touristinnen, die so getroffen wurden, dies als fremdenfeindliche Aktion interpretiert und die Stadt verlassen. Doch die Mädels in Cochabambas können sich wohl noch glücklich nennen, denn in anderen Städten werden angeblich Eier geworfen, mit Wasser gefüllt. Außerdem ist tagsüber bei hoher Sonne eine kleine Erfrischung vielleicht gar nicht so schlecht.

In Oruro, auf dem Altiplano, findet bald der bekannteste Karneval Boliviens statt, seit letztem Jahr ist er sogar Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes. Viele Farben und Tänze, viel Chicha, viele Touristen und überhöhte Preise. Santa Cruz, die Boomstadt im tropischen Teil, ist vielleicht die Alternative, mit seinem fast "brasilianischen" Karneval (wird auffälligerweise hauptsächlich von Männern empfohlen...).

 

Die Taliban Boliviens

Die politische Situation in Cochabamba hat sich seit einigen Tagen zugespitzt. Fast täglich gibt es Straßenschlachten mit der Polizei, die mit Brutalität vorgeht. Die Straßenkreuzungen im Zentrum der Stadt sind regelmäßig mit Stacheldraht versehen, Feuer werden entfacht, um das Tränengas der Polizei zu vertreiben.

Bei dem Konflikt geht es in erster Linie um den Kokaanbau im tropischen Teil Boliviens. Die Regierung hat beschlossen, die Kulturen der Pflanze, die als Heilpflanze, zum Kauen, aber eben auch als Grundstoff für die Kokainherstellung benutzt wird, auszurotten. Demokratisch zweifelhafte Gesetze wurden dafür erlassen, Menschenrechte werden regelmäßig von den Sondereinsatztruppen verletzt.

Bolivien hat eigentlich kein Interesse, die Vernichtung der Kokafelder mit so viel Härte durchzuziehen, schließlich werden dafür bürgerkriegsähnliche Zustände provoziert. Der Hauptgrund hierfür heißt, genau wie oft zuvor in Lateinamerika, als die Landbevölkerung bekämpft wurde, Druck aus den USA. Der neue Präsident Boliviens, Quiroga, hat ausgezeichnete Verhältnisse zum geliebten und gehassten großen Bruder, der wiederum nutzt die relative Schwäche Boliviens, dort seine Drogenproblematik zu lösen, die er im eigenen Land nicht in den Griff bekommt. Ein halbherzig angelegtes Programm für eine Alternativentwicklung ist größtenteils fehlgeschlagen, das Geld dafür hauptsächlich im Regierungsfilz versickert

Eskaliert ist der Konflikt, als Evo Morales, Führer der Cocaleros, aus dem Parlament herausgeworfen wurde, aus Gründen, die wahrscheinlich ausreichen würden, sich der ganzen Regierung mitsamt Staatsapparat zu entledigen. Der unter großen Teilen der Bevölkerung geliebte "Evo" befindet sich jetzt unter Arrest, hat etliche Prozesse wegen Staßenblockaden vor sich und ist in einen Hungerstreik für die Forderungen der Cocaleros getreten.

Neben den Cocaleros sind Studenten, Arbeiter und Lehrer dabei, die Proteste gegen die Regierung zu unterstützen. Und wenn erst einmal das "movimiento campesino", die gesamte Bewegung der Landbevölkerung, mitmacht, droht Bolivien eine wochenlange Lähmung. Vereinzelt beginnen schon Straßenblockaden im ganzen Land. Und seitdem ein bedeutender Führer der campesinos beim Versuch erwischt wurde, sich vom Ministerium zur Neutralität kaufen zu lassen, spricht vieles dafür, dass auch die anderen Gruppierungen mitmachen und die Konflikte sich auf das ganze Land ausweiten werden. "Evo" sagt: Die armen Menschen Boliviens wurden früher "Kommunisten" genannt, danach "Drogenhändler" und seit dem 11. September "Terroristen". Der US-amerikanische Botschafter in Bolivien hat in seiner Weisheit die Cocaleros als die "Taliban Boliviens" bezeichnet. Die Hugenotten die Taliban Frankreichs? Die Unterfranken die Taliban Deutschlands?

Vielleicht kommt es ja wie im vergangenen Jahr, als Cochabamba einen Monat ohne Zufahrtswege war und die sonst so billigen Bananen einzeln für viel Geld verkauft wurden. Damals im "guerra del agua" wurde so lange blockiert, bis die enormen Preiserhöhungen von Trinkwasser zurückgenommen wurden; das Unternehmen, das dafür verantwortlich war, musste letzten Endes das Land verlassen.

Wo Annika und ich in den nächsten Wochen sein werden, ist noch sehr ungewiss. Vielleicht verlassen wir das Land früher als geplant. Aber keine Sorge, man ist hier als Besucher nicht direkt in Gefahr.

Ich wünsche allen jedenfalls die schönsten Grüße und einen fröhlichen Aschermittwoch,

Johannes

Cochabamba, 3. März 2002
 
 


 

Vom Altiplano nach Patagonien ins Breisgau

Von Bolivien in den Süden Argentiniens ist es ein weiter Weg, von dem es viel zu erzählen gäbe. Jeden Tag eine Rundmail?

Photographisch der Höhepunkt war der Lokomotiv-Friedhof in Uyuni. Pünktlich zum Sonnenuntergang zeigen sich die abgestellten und verrosteten Dampflokomotiven und Eisenbahnwagen in einem wunderbaren Licht in der Weite des Altiplano, wirken deplatziert und unwirklich und lassen den Betrachter in vergangene Zeiten eintauchen. Der darauf folgende Sonnenaufgang gibt ein andersfarbiges Licht, man könnte noch Stunden dort verbringen.

La Paz war diesmal Schauplatz einer Naturkatastrophe. Innerhalb der zwei Stunden, in denen wir die bizarren Erosionsformen des nahe gelegenen Valle de la Luna bewundern, fallen im Zentrum sintflutartige Regen, zum großen Teil als Hagel und verwandeln die Innenstadt in ein Katastrophengebiet. Wir sehen den schwarzen, über die Ufergetretenen Fluss, der sonst ein kleines Rinnsal ist. Etliche Autos werden weggespült, Häuser im Erdgeschoß überflutet. Ein Strick, vom Lenkrad eines Taxis zu einem Baum laufend, "sichert" vermutlich die Lebensgrundlage eines Bolivianers gegen die reißenden Fluten. Es ist das erste mal in Bolivien, dass ich auch Uniformierte etwas Sinnvolles tun sehe.

Valparaiso ist immer noch die beste Stadt Chiles. Es ist sehr schön, alte Freunde wiederzusehen, die Fischerkneipen im verruchten Viertel und die abgefahrenen Architektenhäuser in den Dünen wieder zu besuchen. Gleichzeitig merkt man die sechs Jahre Unterschied seit dem letzten Mal in Chile. Shopping-Malls schießen aus dem Boden, vieles erscheint materieller, neue Straßen, selten hat sich das Stadtbild zum Guten verändert.

Schließlich gehtâs in wenigen Tagen dann ins Breisgau zurück und auf einige Dinge, wie ein gutes klassisches Konzert, das MTB und die teutonischen Freunde, freue ich mich schon sehr. Weniger auf die Wohnungssuche, die Steuererklärung und die deutsche Autobahnen. Gerne zeige ich auch mal einige Bilder zuhause oder erzähle noch mehr. Ab 18 März.

Besitos, Johannes

Santiago, 16. März 2002