Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Berlin-Moskau, eine Montage aus der Sicht von heute.

Im Martin Gropius Bau Berlin vom 28.September 2003 bis 5. Januar 2004

Hier kommt zusammen, was nicht zusammen wollte.

 

Die Kunst in und aus Russland hat ihre widersprüchliche Geschichte, sie ist schon selbst ein Spagat von künstlerischer Moderne zu stalinistischer Hofkunst und Diktatur. Sie zusammenzufügen mit deutscher Kunst aus BRD und DDR vervollständigt das visuelle Abenteuer der Nachwendezeit in beiden Ländern. Vorschau im Gropiusbau für Künstler, Initiatoren, Sponsoren, Gestalter und Kuratoren aus beiden Ländern. Die Kamera des Berliner Fernsehens tappt die Treppe hinunter auf die Gruppe der Kuratoren zu, im Blick die spiralförmig nach oben aufsteigende Schnecke des Modells von Wladimir Tatlin, Denkmal der III. Internationale, ein Hauptwerk des Konstruktivismus aus der Revolutionszeit 1919/20. Damals lag ein Brennpunkt der politischen und künstlerischen Avantgarde auch in Russland, eine Glut, die unter Stalin ausgetreten wurde.

Kurator Jürgen Harten spricht mit Mitarbeiterinnen und Künstlerinnen bei dieser ersten Präsentation des umfangreichen Ausstellungsprojekts, das zugleich ein Zeichen der Annäherung und Verständigung, des Dialogs zweier Völker und ihrer Kulturen ist, welche geprägt sind durch zwei Weltkriege, einen anschließenden kalten Krieg und doch auch durch eine wechselseitige kulturelle Achtung, welche die staatlich verordneten Mauern immer wieder untergraben konnte.

Es ist angerichtet. Auf einer lang gestreckten Tafel auf rotem Tischtuch liegen sauber sortiert weiße, leere Teller. Als Besteck statt Messer und Gabel hier Hammer und Sichel. An der anderen sonst leeren Längsseite ein einzelnes Gedeck, wohl für einen großen Vorsitzenden Was wird es zu essen geben und wann?

 

Andrej Filipow

Abendmahl, 1989 (2003)

An der Wand darüber ein riesiger Bullenbeißer in offener Schneelandschaft, den ein nackter Mann melkt.Daneben auf einem anderen Bild des gleichen Künstlers wird der Hund den Fahnen schwingenden nackten Mann mit Wucht und Wut in den Hintern beißen.

 

Oleg Kulik, 1999, Das große Melken

Verfinsterung I, aus der Serie: Das Russische

Anselm Kiefer, Innenraum, 1981

Ein expressiv gemalter russischen Soldaten mit erhobener Kalaschnikow, vor dem Sturz, vor der Kapitulation, vor dem Angriff? Im Raum zusammengefügt mit der pathetisch-ironisch grüßenden Holzskulptur des ost und westdeutschen Künstlers Baselitz.

Eugen Schönbeck, Der Rotarmist, 1964

Georg Baselitz, Modell für eine Skulptur, 1980

 

Rote Fahnen in der Hand eines nachdenklichen auch roten Helden und gesenkt vor einem der zerrupften frühen Krieger von Baselitz, die noch nicht auf dem Kopf stehen. Glatzköpfe mit langen Hälsen sehen uns an, die wir am Boden liegen, als Verwundete, Betrunkene oder als Babys. Sie haben Gesichter wie aus dem Klonlabor.

Georg Baselitz, Mit roter Fahne, 1965

Eine heran schwebende Göttin, vermutlich des Sieges, oder der Kunst, angenehm nackt, streichelt dem großen Stalin das Kinn, schräges Kellerlicht wie von Caravaggio, fällt auf den Kopf des Diktators. Sie zeichnet die Linien seines Schattenprofils an die Wand. Schwere Säule mit rotem Vorhang. Wo hört der pathetische Appell auf und wo beginnt die Ironie? Auch die sowjetischen Künstler ließen schon diese Grenze vorsichtig geöffnet. Ja oder nein?

Komar & Melamid, Der Ursprung des Sozialistischen Realismus, 1983

Oberon-1.Orthodoxer Salon 64-E.Neiswestny, 1963/64

Hinter seinen schweren, quaderförmigen Stapeln von Filz, verdeckt und verschraubt mit Kupferplatten ertönt die Stimme von Joseph Beuys. Niemand, der sie zu seinen Lebzeiten etwa in Düsseldorf gehört hat, kann sie vergessen, diese nasale, ironische und zugleich doch missionarische, niederrheinische Diktion: Jaa-jaa-jaa, näh-näh-näh, jaa-jaa-jaa, näh-näh-näh......

 

Was ist sie nun, diese Begegnung der Zeiten und Kulturen, der Hassliebe und der Faszination? Ein dialogisches Projekt, das aus der Sicht von Heute, wie die Kuratoren sagen, zugleich ein konstruktiv-dekonstruktivistischer Rückblick ist auf den Wahnsinn von Ideologie und Völkermord und auf die immer wieder unglaublichen Möglichkeiten der Kunst als Verständigungsmittel, als Rätsel, als Fragezeichen. Ja oder näh, immer beides und ein bisschen mehr.

Moskau-Berlin, eine Montage aus der Sicht von heute.