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Jörg Boström
Alltag und Bewegung in der Kunst Aus der Erinnerung an die 60er Jahre in der BRD
Als "Kunstpäpste" wie Will Grohmann , Werner Haftmann in den westdeutschen Nachkriegswirren bis in die 6oer Jahre hinein den Gegenstand in der Malerei nicht mehr für tragfähig erklärten, als die amerikanische Malerei mit dem abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock, Sam Francis oder Mark Tobey die deutsche Szene beherrschten, war zum Beispiel ein gegenständliches Malwerk wie das meines Professors Bruno Goller eine Randerscheinung. Gegenständliches Zeichnen,Porträt- und Aktzeichnen an der Akademie Düsseldorf fand nur in seiner Klasse statt. In Deutschland musste noch die Pop Art mit ihrer dreisten Design Ausbeute aus London und New York über die heile Bilderwelt von reiner Malerei, über Form, Farbe und Flächenstruktur hereinbrechen, bis ein so beharrlich auf die sichtbare Welt und ihre Zeichen gerichteter Maler bei uns wahrgenommen werden konnte. Es war in der Hochphase der abstrakten Malerei die Fotografie, der man die Bewahrung der Dingwelt im Bild noch zutraute. Porträts - nicht mehr möglich in der Malerei - man nehme die Fotografie, Landschaften - passée, nur noch in Fotobildbänden, Stadtansichten - etwas für die kommunale Selbstdarstellung und den Immobilienmarkt, Stilleben - nur als stills in der Werbefotografie tragbar, als Lebensmittel, Porzellan und Textilien, Szenen - nur für die Presse mega out. Den ganzen sichtbaren Schurrmurr überlassen wir den Niederungen der Vulgärkultur, der Bunten, der Quick und dem sozialistischen Realismus. Die hohe Kunst stellt nicht das Sichtbare dar, nach einem missverstandenen Satz von Paul Klee, sie macht sichtbar, - aber was? In den fünfziger Jahren zu einem skeptischen Verstand (Schelsky, Die skeptische Generation) gekommen, den man uns durch eine rosige, dekorative Nebelschicht von Vergessen und Aufbauglamour ordentlich zu kämmen versuchte, glaubten wir an fast nichts mehr. Im Geschichtsunterricht war das Dritte Reich ausgeklammerter Stoff, er endete mit der Marne Schlacht. Bert Brecht wurde vom deutschen Außenminister Brentano mit Horst Wessel verglichen, den ich kannte, Brecht jedoch damals noch nicht. Arnold Gehlen billigte der Kunst vorwiegend Entlastungsfunktion zu. Die Künste schienen auf bunten Luftballons und seidenen Drachen über uns zu schweben. Das so genannte Leben, die Wirklichkeit oder der alle Tage wiederkehrende Alltag kam nicht vor. Arbeit, ob im Haus, im Straßenbau oder in der Fabrik, gab es nicht im Raum der Kunst. Soziale Schichten und ihre Probleme auch nicht.
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Diese darauf reagierende, noch unbestimmte Unzufriedenheit, dieses Ungenügen am Lebensfernen der offiziellen Kulturszene führte in den 60er Jahren der BRD auch zur Wiederentdeckung der Fotografie für einige Künstler, welche sich dem täglichen, ihrem eigenen Leben und dem anderer auch als Gegenstand zuwandten. Der "reinen" Malerei schien dies damals noch nicht möglich. Wie ein eiserner ideologischer Zaun stand im Rücken der bombastische Müllberg der Nazimalerei und vor uns der staatlich aufgeblasene Realismus der SU und DDR, der zudem im kalten Krieg als feindlich und geortet wurde. Eine differenzierte Sicht gelang uns erst sehr viel später. Für den Kunstunterricht gab es einen gemeinsamen aber kleinen Diakasten mit Nazikunst und sozialistischen Realismus, buchstäblich in einen Topf geworfen. In Düsseldorf artikulierte sich die Opposition einmal als"Kapitalistischer Realismus" von Gerhard Richter, Konrad Fischer-Lueg und Siegmar Polke, die sich demonstrativ in ein Schaufenster setzten als Ansichts- und Konsumartikel. Richter wandte sich der Fotografie als Ausgangspunkt seiner Malerei zu, Fischer dem Bildmaterial von Presse und Konsum, die er zu großflächigen Kompositionen umformte. Als "Politisch-Soziale Realität", PSR, von Manfred Koenig und Jörg Boström ,sollte die gesellschaftliche Wirklichkeit durch Fotografie-, Ton- und Filmmontagen in die "Kunscht" (ein Schmähbegriff von Heinz Edelmann)einbrechen, mit dem Ziel der Veränderung, durchaus im Sinne von Karl Marx. Auf der ganz anderen Seite opponierte die Gruppe ZERO, Otto Piene, Heinz Mack, Günter Ücker u.A. durch rabiate Reduktion, welche die Kunst an Ihren Nullpunkt, Zero, zurückführen sollte, um von da aus weiter,immer weiter zu sehen. Hans Haake entwickelte seine Material- und Informationsinstallationen als provokante Präsentationen von ungeliebten Fakten. Darüber setzte Joseph Beuys seine Zeichen in der sozialen Plastik, welche Politik, anthroposophische Weltensicht und Gruppengefühl zu immer neuen Materialisationen und Lehrveranstaltungen zusammenfügte. Die daraus gewachsene Studentengruppe um Jörg Immendorf und Chris Reinecke agierte in der von ihnen gegründeten LIDL Akademie mit symbolischen Bildmontagen, Szenen und Präsentationen. In Berlin agierten Künstler wie Johannes Grützke und Mathias Koeppel mit der Entwicklung eines Realismus, der in besonderem berlinischen Sinn voller Ironie und Witz steckte, der späteren "Schule der Neuen Prächtigkeit"(1973). In einer ersten gemeinsamen Ausstellung präsentierte sich der neue Berliner Realismus unter dem Titel "Menschen im Sachzwang". Zur Errettung der physischen Realität sah bereits in den 30ern Siegfried Kracauer nur noch die Fotografie, insbesondere aber den Film aufgerufen. Hier bietet sich der neue Zugang und das neue Missverständnis: die Errettung der physischen Realität nicht mehr nur durch die Fotografie allein sondern durch die wechselseitige Legitimation der Fotografie und der Malerei bei der Entdeckung der Monumentalität des Alltäglichen. Die Kunst hat es mit dem Sichtbaren zu tun, diese Ansicht Gustave Courbets spiegelt sich sowohl in der Malerei wie in der Fotografie "Ich bringe die Steine zum Denken ", behauptete dieser Künstler. Mit Fotografie verbundene Bilder werden die Eigenschaften der Medien selbst zur Bildsprache bringen. Wir sehen oft die Dinge erst, nachdem sie fotografiert sind.
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Wir erkennen die Wirklichkeit im Medium wieder, aber erst dann "richtig". Was immer das ist, die Wirklichkeit. Das Foto gewinnt eine größere Bedeutung als die unmittelbare Erfahrung des Sehens. Es bleibt zu fragen, ob uns eine direkte, nicht Medien vermittelte Sicht auf die Dinge überhaupt noch möglich ist. Wir erlebten den Krieg im Irak als Medienereignis Zeit gleich. Ground Zero erstarrte zur Bildikone. Die Malerei, welche sich heute mit der gegenständlichen Welt beschäftigt, kann an dieser Medienvermittlung offenbar nicht mehr vorbei. Es gibt ihn wohl nicht mehr, den naiven, ungesteuerten Blick auf den Menschen, die Dinge, die Landschaft. Im besten Falle setzt sich solche Malerei mit dem Medienproblem selbst genau so wie mit dem durch sie vermittelten Gegenstand auseinander. Gerhard Richter beschreibt das Dilemma an einem einfachen Beispiel: "Ich habe auch versucht, Blumen zu malen, scheiterte auch. Eigentlich müsste ich es wissen, dass es mir fast nie gelang, ein Foto für ein Bild zu machen. Ein Foto macht man für ein Foto und wenn man Glück hat, entdeckt man es später für ein Bild." Dieser Vorgang des Entdeckens von Bildern nicht in der äußeren Erscheinungswelt sondern in den Fotografien kennzeichnet den Umgang mit der gegenwärtigen Wirklichkeit. Die Bilder entwickeln sich aus Bildern. Dies war schon so vor der Entdeckung der Fotografie. Aber damals war es immer eine Reaktion auf Malerei, weiterentwickelnd oder widerlegend, bewundernd oder opponierend. Bei der gegenständlichen Malerei unserer Zeit verarbeitet, bearbeitet, übersetzt, montiert, maskiert und demaskiert der Maler die Vorlagen der Medienwelt. Seht hin und macht euch ein Bild, euer Bild. Es ist dies auch zu einem nicht geringen Teil nur eine ästhetische Aneignung der durch Medien vermittelten Welt, aus deren Bilderknast wir anscheinend nicht mehr ausbrechen können. Bemalen immerhin können wir diese Gefängnis Wände. In die sich schüttelnde, vieles abschüttelnde Kunstszene Ende der 60er Jahre platzte die Studentenbewegung wie ein befreiendes Unwetter. Nun wurden nicht nur ästhetische Vorgaben angegriffen und umgestaltet, die gesellschaftliche Struktur selbst stand anscheinend zur Disposition und damit auch die "herrschende" Kunst als Überrest bürgerlicher Kultur und Selbstbestätigung. In der Kunstszene wurde das Demonstrationsmodell als Ereignis inszeniert, das Teach-in als Diskussionsveranstaltung akzeptiert und viele Ausstellungen selbst als Aufklärungs- und Protestereignisse installiert. Die Anstöße zur Veränderung hatten für kurze Zeit die Kulturszene erreicht, die sich als flexibel genug erwies, sie zu integrieren und sich selbst zu erneuern.
S. Katalog der Ausstellung Moskau Berlin, vom 28.September2003 bis 5. Januar 2004 im Martin-Gropius-Bau Berlin http://www.berlinerfestspiele.de/berlin-moskau/
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