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Jörg Boström

 

Es muss nicht unbedingt ein Sonntag sein.

Notizen zu Edward Hoppers Malerei in der amerikanischen Fotoszene

Dass ein Künstler, der 1967 gestorben, als ein großer der amerikanischen Malerei angesehen, erst 1980 zuerst in Deutschland gezeigt wird, ist schon seltsam genug. Edward Hopper hat noch Seltsameres zu bieten. Als Kunstpäpste wie Will Grohmann , Werner Haftmann in den deutschen Nachkriegswirren bis in die 6oer Jahre hinein den Gegenstand in der Malerei nicht mehr für tragfähig erklärten, als die amerikanische Malerei mit dem abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock, Sam Francis oder Mark Tobey die Dokumenta beherrschten, war Hoppers Werk längst ein moderner Klassiker in den USA. Es musste noch die Pop Art mit ihrer dreisten Design Ausbeute aus London und New York über die heile Bilderwelt von Peinture, Form und Farbe hereinbrechen, bis ein beharrlich auf die sichtbare Welt gerichteter Maler bei uns wahrgenommen werden konnte.

Nun wird das irgendwie schwer verdauliche, weil unübersehbar auf eine "Wahrheit des Sichtbaren" gerichtete Konzept seines Werks durch Zugaben eingängiger gemacht, die ihm eine unverdiente modische Attitüde hinzufügen. Er male, heißt es in vielen Kommentaren, die Einsamkeit des modernen Menschen, die gestörte Kommunikation des Großstädters, die Leere, die Wurzellosigkeit des modernen Lebens.

Ein weiterer Aspekt ist in einem Versuch hinzugekommen, Edward Hoppers Werk nun wieder bei uns vorzustellen: man verkuppelt ihn mit einem anderen Medium: "Edward Hopper und die Fotografie- Die Wahrheit des Sichtbaren", Museum Folkwang Essen 28.Juni - 27. September,1992.

Es war in der Hochphase der abstrakten Malerei die Fotografie, der man die Bewahrung der Dingwelt im Bild noch zutraute. Porträts ? Nicht mehr möglich in der Malerei - man nehme die Fotografie, Landschaften - passée, nur noch in Fotobildbänden, Stadtansichten - etwas für die kommunale Selbstdarstellung, Stilleben - nur als Stills in der Werbung tragbar, Szenenbilder - megaout. Den ganzen sichtbaren Schurrmurr überlassen wir den Niederungen der Vulgärkultur und dem sozialistischen Realismus. Hohe Kunst stellt nicht das Sichtbare dar, nach einem missverstandenen Satz von Paul Klee, sie macht sichtbar. - aber was? Die "Moderne", heute wiederum postmodern abgelegt das gerade noch Hinterletzte mit ihrer rationalen Auffassung einer linearen, das eine aus dem anderen hervorgehenden Kunstentwicklung, konnte dieses quer gestreckte Malereiwerk Hoppers nicht anders einsortieren als irgendwo zwischen Unkunst und außerhalb der Szene gemalter Illustration zum amerikanischen Alltag.

Zur Errettung der physischen Realität sah bereits in den 30ern Siegfried Kracauer nur noch die Fotografie, insbesondere aber den Film aufgerufen. Hier bietet sich an der neue Zugang und das neue Missverständnis: die Errettung der physischen Realität nicht mehr nur durch die Fotografie allein sondern durch die wechselseitige Legitimation der Fotografie und der Malerei als Dokumente des Zeitgeistes, Stichwort Einsamkeit, Unwirtlichkeit unserer Städte- des Landes gleich dazu. Die Ausstellung lädt zu solchen Betrachtungen ein und mehr noch zu einem Wirkungsvergleich der Medien.

Edward Hopper, geb. 1882 in Nyack, New York, erhält seine erste Prägung als Künstler an der New York School of Art. Entscheidende Impulse aber erhält er durch Studienaufenthalte in Paris durch den Realismus und Impressionismus der französischen Malerei: die Entdeckung der unmittelbaren Gegenwart, des aufnehmenden Kamerablickes als Thema der Kunst. Das fotografische Sehen prägt seine Malerei, die Bedeutsamkeit des Zufälligen, die Ausschnitthaftigkeit des Lebens und des Bildes und die Faszination der Bewegungen des Lichts auf Wänden Körpern, Flächen, die Entdeckung der nächtlichen Beleuchtung der Städte und der Bühne, die Monumentalität des Alltäglichen.

 

 

Edward Hopper

Kino in New York, 1939

 

Die Kunst hat es mit dem Sichtbaren zu tun, diese Ansicht Gustave Courbets spiegelt sich auch in Hoppers Malerei wieder. "Ich bringe die Steine zum Denken."(Courbet). Hoppers Bilder werden amerikanische Mauern zur Bildsprache bringen. Er erreicht seine neue Qualität erst in den Staaten, als er den Einfluss der Eleganz, der Peinture, der französichen Pinselschrift aufgibt und in gerader, glatter Farbführung seine Flächen gestaltet wie ein Illustrator, als der er in langen Jahren sein Geld verdient. Etwas "Gebrauchsgrafisches" haftet seinen Bildern immer an und gibt ihnen die Kälte und alltägliche Farbigkeit, welche ästhetische Entdeckungen der Vulgärkultur durch die Pop Art ebenso voraus nimmt wie sie von ihr später profitiert. Bei vielen seiner Bilder sucht man nach dem Roman oder Film, für den sie stehen. Kaum einem modernen Künstler ist es wie Hopper gelungen - Andy Warhol sicher - ,ohne dass er es direkt angestrebt hätte, die Popularität einer Posterkultur für sich zu nutzen.

 

Edward Hopper

Room in New York, 1932

Bilder wie "Nighthawks"(1942), "Manhattan Bridge Loop" (1928), "Automat"(1927) gerinnen zu Ikonen einer Zivilisation, erhalten zugleich die Prägekraft eines Zeitstils, wie sie in dieser Zeit nur das Kino besitzt. Er ist selbst ein süchtiger Filmbesucher, der in Schüben über Wochen täglich "Pictures" trinkt, so scheint seine Bildform stärker von der Filmleinwand als von der Malerei oder der Fotografie bestimmt zu sein. Später werden Kriminalfilme der Schwarzen Serie etwa Kameraeinstellungen zeigen, die von Hopper entworfen sein könnten. Diese Ausstellung in Essen zeigte seine Malerei und Grafik in Gegenüberstellung mit Fotografien dieser Zeit. Sie knüpft damit an eine amerikanische Auffassung an, die Medien Fotografie, Grafik, Skulptur etc. selbstverständlich nebeneinander zu präsentieren. Die deutsche Ausstellungspraxis neigt zur Trennung der Bereiche und damit zur Szenebildung. Amerikas Bildkultur empfing wesentliche Impulse aus der New Yorker Galerie "291" des Fotografen Alfred Stieglitz, welcher die moderne Kunst aus Europa in vielen Aspekten, Techniken und Medien in den Staaten bekannt machte.

Die Erwartung, den Einfluss der Fotografie auf Hopper unmittelbar nachlesen zu können, wurde durch die Essener Ausstellung nicht erfüllt, eher widerlegt. Man entdeckt keine fotografischen Vorlagen, Studien oder vor ihm von Fotografen ähnlich gestaltete Motive. Aus Fotografien hat der Maler seine Kompositionen anscheinend nicht gewonnen. Beziehungen der Sicht allerdings sind deutlich, wenn man Thematik und Komposition der schwarz-weißen Städtebilder und Landhäuser etwa von Paul Strand oder Walker Evans mit Hoppers farbigen Raum-Flächenkompositionen vergleicht. Für eine direkte Verwendung fotografischer Skizzen sieht man keine Hinweise. Hopper scheint demnach ausschließlich wie die Impressionisten "sur le motif" gearbeitet zu haben. Hier besteht vielleicht noch eine Forschungslücke. Erst in der letzten Zeit sind fotografische Arbeiten auch von impressionistischen Malern wie Degas, den Hopper sehr schätzt, bekannt geworden. Noch immer haftet der Verwendung fotografischer Studien in der Malerei der Ruch des Kopierens an, so dass vieles an Material anders als bei zeichnerischen Skizzen nicht in das Werk einbezogen wird. Der direkte Einfluss fotografischer Optik auf die Bildgestaltung der Malerei des Realismus in der Moderne ist in vielen Fällen mit großer Verspätung nachgewiesen. Ein solcher Austausch und Abtausch von Wirkungsmöglichkeiten und Chancen von Malerei und Fotografie in ihrer Wechselwirkung wird trotz des Anspruchs, den die Ausstellung auch durch ihren Titel stellt, erst zur Diskussion gestellt. Es verblüfft beim Bild- und Datenvergleich die Tatsache, dass über weite Strecken nur das Bildverständnis der Fotografen sich an der Malerei dieses Meisters orientiert zu haben scheint. Einige Fotografien, etwa von William Eggleston, Stephen Shore, Joel Meyerowitz, erscheinen wie Paraphrasen auf Hoppers Kunst.

 

Edward Hopper

Aproaching a City, 1946

Stephan Shore

Meeting Street, Charlston, 1975

Gelegentlich gerät die unterschiedliche Wirkungsweise der beiden Künste im Vergleich zum Nachteil der Fotografie. Strahlen die rauhen, materialintensiven, körperhaften , durch die Handschrift subjektiv suggestiven Farbflächen der Malerei auf den Betrachter ein wie farbiges Licht und drängen ihn in eine respektvolle Distanz, so saugen ihn die glatten, technisch anonymen Flächen der Fotografien in sich auf, wenn der Blick nicht bereits vorher an ihnen abgleitet. Nur aus der Nähe gewinnen die Fotografien an Intensität, während sie sich im Kontext mit der raumwirksamen Malerei an den für sie zu großen Wänden verlieren. Immer exakter erscheinen Gegenstand und Oberflächenmaterial in einer ins Detail verliebten Lesbarkeit, wie sie sich in dieser Differenzierung dem "unbewaffneten" Auge im Alltag des Straßenflaneurs nicht darbieten. Die gemalten Bilder wiederum werden, in der Nähe betrachtet, immer abstrakter, der Gegenstand löst sich auf in Flächenkompositionen, in der Farbsubstanz und im malerischen Duktus. Die Fotografie erweist in diesem Zusammenhang ihren Charakter als Printmedium, das aus der Nähe, am Tisch gelesen sein will und mehr noch im Buch. Der Blick in den Katalog bestätigt diese Beobachtung und kehrt das Wirkungsverhältnis um. Hier gewinnen die Fotografien in Wiedergabe und Detailreichtum an Ausstrahlung gegenüber der jetzt auf gleiche Größe gebrachten, durch schlechte Reprofotografie verflachten, weniger differenziert erscheinenden Malerei. Hinzukommt, dass die Wiedergabe der Gemälde besonders an der schlechten Qualität der Farbwiedergabe leidet, welche die Materialwirkung der Farbe weit gehend aufhebt, ganze Farbstimmungen verzerrt und ummodelt. "Sun in an Empty Room"(1963), ein in dieser Konzentration fast programmatisches Bild ohne Figuren, nur Licht- und Schattenflächen mit einem Blick am Rande und ins Freie, fasziniert im Original durch die blaugrüne Kontrastbildung der flächenhaften Schatten gegenüber den warmen hellen Feldern des Sonnenlichts, während die Katalogabbildung ockerbraune Dunkelflächen präsentiert.

Die oft beschriebene "Einsamkeit" der Menschen auf Hoppers Bildern hat eine Ursache auch in seinem Desinteresse. "Ich glaube," sagt er, "das Menschliche ist mir fremd. Ich wollte auch nicht einfach Menschen mit ihren Grimassen und Gesten malen. Was ich wirklich malen wollte, war das Sonnenlicht auf der Seite eines Hauses." Man kann ergänzen: und die Schatten vor ihm. Hopper setzt Menschen, wenn er sie denn malt, an den Rand seiner Flächen und Raumkompositionen. Er legt ihre Gesten und sichtbaren Gemütsbewegungen still. So erscheinen sie oft fremd und unsicher, fragend, wie sie in diese stillen, leeren Bilder geraten sind, ohne ihre psychologische Existenz ganz aufzugeben. Die Faszination des Alltäglichen, auch der Leere, der Stille, der - im Wortsinne - Gleichgültigkeit von Ding, Raum und Figur gibt seinen Bildern ihre Ausstrahlung, nicht so sehr eine wie immer geartete existentielle Not in der Trostlosigkeit der Stadtwüste. Edward Hopper versucht, die Menschen zu malen wie Dinge, er ist aber selbst zu sehr beteiligt und zu sehr Illustrator des Alltags, um sie ganz zu versteinern.

Hier findet in der Umkehrung ein der Fotografie vergleichbarer Prozess statt, wenn etwa Lee Friedländer 1985/86 seine Porträtserie aus Boston gestaltet mit diesem angehaltenen Ausdruck der Personen, welche ihre Gesichter wie Gegenstände in die Fotofläche halten. Auf dem Weg zur Kunstfigur verharren sie als Bestandteil einer Szene, wie in einem angehaltenen Film. Diese halbabgeschlossene Verwendung als Volumen im Raum, diese nicht ganz erledigte Transformation zu Kunstgegenständen erzeugt jenen Ausdruck der Leere und Ratlosigkeit, in welchen der Betrachter seine eigene Weltverlorenheit projizieren kann. Friedländer aber ist im Gegensatz zu Hopper an den Menschen als seinem wesentlichen Gegenstand interessiert. Raum und Fläche dienen ihnen als Rahmen oder Hintergrund, während Hopper die leeren Räume der amerikanischen Zivilisation mit ihren Brechungen des Lichts zum Thema macht und den menschlichen Figuren eine eher verlorene Position zuweist. In seinen stärksten Bildern stehen sie am Rand der gemalten Flächen, sind im Begriff, sie zu verlassen oder treten gar nicht erst auf. Gelegentlich setzen sie sich ins Licht, um ihre Körper den Strahlen auszusetzen und so dem Immateriellen der Beleuchtung ein Volumen zu geben.

Bildkünstler, Fotografen oder Maler einer Zeit und eines Landes sind Teil des kulturellen "Stream of Consciousness"(James Joyce), des kollektiven, bewussten Seins und schaffen ihre Entsprechungen in Bildern. Eine gemeinsame Ausstrahlung ist in dieser Ausstellung an jeder Arbeit spürbar. Sie ist trotz der europäischen Quellen in der französischen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts künstlerische Verkörperung eines kulturell eigenartigen, amerikanischen Selbst Bewusstseins.

 

Edward Hopper

Sun in an empty Room, 1963

Katalog

Die Wahrheit des Sichtbaren,

Edward Hopper und die Fotografie

Museum Folkwang Essen, 1992,

herausgegeben von Georg W. Költzsch

und Heinz Liesbrock