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Jörg Boström

Körper und Mythos

Zu einer Ausstellung von Bärbel Dieckmann, Stella Vlachopoulos und Marco Baré

Projekt Skulpturraum Berlin

Mythos und Moderne. Kunst und Körper. Körper und Raum. Skulpturenraum.

Skulpturraum, das Wort ist auch Programm. Ein neues Konzept in Berlin für die wechselseitige Verbindung von Plastik, Raumgestaltung, Szene und Literatur als Auftritt. In der deutschen Gegenwart liegt die Gesellschaft vielfach wie in einem simulierten Koma, klagt über die Unbeweglichkeit, aber es ist die eigene, sie stöhnt über Belastung, aber lässt nichts los, lässt nichts fallen, lässt sich auch nichts einfallen, wartet auf den Hieb, den Stoß von Außen, von anderen, der beschworene Ruck ist ausgeblieben. Nicht so bei diesen Künstlern. In einer Zeit des Stillstands gestalten sie ihre Figuren, bauen sie ihre Visionen. Aus der immer wieder neu aufbrechenden Leere entsteht für sie Freiraum, Freiraum bedeutet Bewegung, Bewegung setzt Erfindung und Lust zum Raum frei, die Künstler sind in Bewegung. Sie hatten noch niemals mit einer Erschlaffung der Gesellschaft ihre Probleme. Sie antworten auf ihre eigenen Visionen. In diesem Skulpturraum begegnen die Menschen der Kunst in ihrer körperlichsten Form. Menschenkörper treffen auf Kunstkörper. Besucher auf Bewohner der Kunstwelt. Ausgang und Motor der plastischen Gestaltung hier ist das eigene Körpergefühl, das der Künstler, wie es sich in der mühevollen Gestaltung mit Meißel und Hammer, mit Ton und Metall, mit Gitterdraht und Sockel seinen Raum füllt. Die Begegnung mit dem anderen Material, das in künstlerischer Formung zur materiellen Vision wird. Während die Formung unseres Bewusstsein durch materiell immer flachere und körperlosere Medien, durch das dünne Papier der Zeitungen, den flimmernden Hauch des Fernsehens, die nervösen Linienführungen der Börsenkurse, die auflösende Schwerelosigkeit der Musik, die Identität verwischende Raumillusion des Films weiter und weiter entfernt von der körperhaften und Raum bezogenen Empfindung unserer Existenz, führt diese Kunst der Skulptur uns in ihrer Konfrontation mit Material und Volumen, mit Oberfläche und Krümmung, mit Wölbung und Kerbe, mit Raumverdrängung und Gewicht immer wieder zurück auf unsere eigenen Füße, auf die Balance von Kopf und Schulter, auf die Tastqualität unserer Hände, das Umgreifen der Arme, auf die stoffliche Mühe und Lust unserer Existenz. Dabei werden im Raum Dimensionen der Zeit, der Geschichte, des Mythos, des Traums und der organischen Substanz des Bauens sichtbar.

Die Skulptur Architekt von Marco Baré zeigt diese Verbindung. Aus dem gebückten, tragenden Rumpf menschlich-organisch scheinender Figur wächst in kubischen Formen und Quadern die Urform einer Behausung. Der Körper ist der Ursprung des Bauens an seiner Hülle. Ein Torso erscheint wie die gekurvte Form eines Pavillons. Der Kubus wie eine Gussform für menschliche Glieder. Im kleinen Pavillon wiederum lassen gebogene Hohlräume wiederum an Negativformen von Kopf und Hals denken. Die schrägen Schlitze und Fugen geben die Ahnung von Prozessen des Zusammenfügens und Auseinandernehmens.

Wie montiert erscheint der Kubus, wie zusammengefügt aus Formteilen von einem lange zurückliegenden Guss. Marco Baré schafft eine Formenwelt, welche die Anmutung des Architektonischen mit dem organischen Gefühl der Körperlichkeit des Künstlers und des Betrachters verbindet. Ein von ihm verehrter und für ihn anregender Bildhauer ist unter anderen der kürzlich verstorbene spanische Bildhauer Eduardo Chillida. Es gibt aber auch in der architektonischen Kunst der unmittelbaren Gegenwart vergleichbare Tendenzen, wie sie etwa in dem Werk von Daniel Libeskind, insbesondere im Jüdischen Museum Berlin und in der Architektur von Frank O.Gehry in seinen Museumsbauten zuletzt und aktuell im MARTa in Herford sichtbar werden. Die Verbindung von menschlicher Figur, von körperlicher Anmutung mit Quaderhaften, schweren Bauten wird auch in der Arbeit Großes Tor thematisiert. Ausgehend von den frühen Plastiken, welche eher eine Architektonisierung der menschliche Figur betrieben, kehrt Baré die Gestaltung um in eine organische Verschränkung beider Elemente zu einer neuen plastischen Realität, der fast etwas Programmatisches anhaftet, die Hoffnung auf eine von der Technik gestalteten Welt mit menschlichen Zügen. Die Wertung bleibt offen, ob die eine Formgebung die andere sich unterwirft, oder ob eine Balance möglich bleibt. Dieses labile Gleichgewicht des Formalen und Thematischen gibt den Skulpturen von Marco Baré eine vibrierenden Dynamik.

Während die Materialien von Marco Baré seinem inneren Bild und Thema entsprechend meist hart sind, Beton, Granit, Bronze, Steinguss, bearbeitet mit entsprechenden Werkzeugen und Maschinen, bevorzugt Stella Vlachopoulos in den letzten Jahren vorwiegend Holz für ihre Skulpturen, die sie oft aus einem Stamm herausarbeitet. Eiche, Hickory, Pappel. Daraus ergibt sich als Vorgabe eine zylindrische Form. Die Holzmaserung gibt in ihrem organischen Verlauf dazu so etwas wie eine Stufenfolge von Höhenlinien. Immer wieder sind wir bei ihren Arbeiten mit einer Folge von Kopfformen konfrontiert. Es beginnt ein Dialog von Schädel zu Schädel. Man spürt die eigene Form von Stirn, Mund und Kinn, wenn man sich bei der Betrachtung länger mit diesen gewölbten, zerschnitten wieder zusammengefügten, seitlich verschobenen und senkrecht gespaltenen, blicklosen Wesen in einen visuellen Dialog einlässt. Sie sind Rätselwesen aus einer zeitlosen Welt, die dem Mythos der Frühgeschichte ebenso zu entstammen scheinen wie dem einer unbekannten Zukunft. Einige Titel weisen auf die Vorgeschichte der Künstlerin hin, die griechischer Abstammung ist, etwa wenn sie im weich wirkenden Marmor einen hellenischen Helm gestaltet. Andere Werktitel: Düsterer Helm, Zwiespalt, Halbierter Helm. Die Formgebung von Stella Vlachopoulos signalisiert zugleich Kampfbereitschaft und Schutzbedürfnis.

Hinter dem kriegerisch anmutenden Panzer der plastisch gestalteten Oberflächen scheinen sich sensible Empfindungen, Träume, verstummte Sagen und vergessene Szenen zu verbergen. Der Eindruck des Geheimnisses gibt diesen Köpfen und Körpern die immer wiederkehrenden Gedanken an Fernes und Verdecktes. Als Skulptur gehorchen sie abstrakten Regeln.

In Elemente zerteilt, in Richtungen gedreht und verschoben, wird die innere Form nach Außen gedrängt, während die äußere Form in das Innere eindringt.

 

Die Gesamtform wird durch Schnitte und Torsionen geteilt. Richtungen wechseln, konkave und konvexe Flächen stehen zueinander, positive und negative Formen bestimmen ein Auf und Ab. Wenn Marco Baré in seinem Werk auf Organisch-architektonisches verweist, gibt Stella Vlachopoulos den Verbindungsweg für die Gedanken des Betrachters zum Mythos frei und zu einem urtümlichen Waffenschutz.

Drei Künstler, drei plastische Sichten, und doch eine Gruppe. Marco Baré, Stella Vlachopoulos und Bärbel Dieckmann verbindet in ihren Arbeiten als Grund und Ausgangspunkt der menschliche, auch der eigene Körper. Das Körpergefühl als existentielle Empfindung, Wie im Raum das menschliche Bewusstsein sich an sich selbst vergewissernd vorwärts tastet, wie in ersten Spuren menschlicher Kultur Abdrücke von Körper und Hand den Beginn von Kultur und Identität signalisieren, so gibt in unserer in Abstraktionen und von Sinnlichkeit entleerten, mit technischen Visionen und Fiktionen durchwirkten Zeit diese Kunst im Skulpturraum die Besinnung auf den Körper, auf die Fühlung und formale Orientierung am menschlichem Maß und Stoff immer wieder zurück. Bärbel Dieckmanns Arbeiten sind dem Körperfühlen, der Gestaltung der sinnlichen Oberfläche, der über die ausgestalteten Körperformen gespannte Haut verpflichtet. Ihre Figuren scheinen zu atmen. Diese Körper sind geformt aus Ton oder Gips, mit den Händen, die ihre greifenden Spuren nicht verwischen, mit Spachteln, die ihre gerundeten, ineinander gewischten, porösen Flächen und Kerben lebendig wirken lassen. Das weiche Material lässt organische Volumina entstehen, die wie eine persönliche Schöpfung erscheinen in enger Verbindung zum Körpergefühl.

In vielen Mythen ist der Lehm von Händen des Prometheus oder von Göttenr geformt. Das Material der Erde selbst als Ursprung körperhaften Lebens. In der Kunst von Bärbel Dieckmann ist es vorwiegend der weibliche Körper, dem sie reale und mythische Identität verleiht. Ihre Figuren strahlen sinnliche Präsenz, Individualität und hintergründige Geschichte aus. Sie sind sie selbst und zugleich Vermittlerinnen von Botschaften aus der Welt der Sagen und Mythen. Der Minotaurus erscheint als kräftige, muskelfrohe Männergestalt mit einem Stierkopf, der als Totenschädel ausgeformt ist. Eine weiblich ausgeformte Figur trägt ebenfalls einen Stierkopf, der an das Schicksal der von einem Stier und einer begehrlichen Frau gezeugte Wesen darstellt auch als ein weibliches, einer Minotaura. Bärbel Dieckmann setzt Geschichten um in Wesen. Immer wieder tauchen maritime Mythen auf in den Figuren, Odysseus, Dionysos, Satyr und Silen.

Auch die Figur des Gekreuzigten erhält in diesem Kontext der Körperformen die Dichte einer organisch gestalteten und zugleich mythologischen Figur. Oberflächen, Körperformen werden ausgeformt und aufgebrochen. Immer deutlicher wird der Schöpfungsprozess in Hand- und Werkspuren zum plastischen, formenden Medium, das den Figuren zugleich mit der Sage ihres Ursprungs eine individuelle gegenwärtige Ausstrahlung gibt. Es ist dies eine künstlerische Sprache, die in dieser Ausformung bis zum Porträt weitergeführt wird, bis zur flüchtigen, im vorübergehen festgehaltenen, begegnenden Geste.

Die unterschiedliche gestalterische Ausformung der drei Künstler in diesem Skulpturraum, die ihren Ursprung immer wieder findet in der Figur des Menschen hat ihre gemeinsame Geschichte begonnen im Lehratelier von Professor Richard Hess an der Fachhochschule Bielefeld. Sie entspringt damit einer Bildhauergeschichte der Moderne, welche weiter durch Persönlichkeiten wie Waldemar Grzimek, Bernhard Heiliger, Marino Marini geschrieben ist bis zurück zu Wilhelm Lehmbruck und Auguste Rodin. Über ihre eigene künstlerische Arbeit hinaus hat die Gruppe im Projekt Skulpturraum eine Initiative ergriffen, welche in wechselnden Orten der Stadt Berlin zu immer neuen Ausstellungen, Lesungen und weiteren kulturellen Angeboten führen wird, welche einen neuen Impuls setzt zur Überwindung der Lähmung und der Leere. Ein weiterer Wärmeschub, welcher die auf rein ökonomische Enge eingefrorenen Blicke und Gesten in unserer Gesellschaft auftauen, antoßen und in Bewegung setzen wird.

Berlin, 2002-12-09

Jörg Boström

Verwendete Literatur

Bärbel Dieckmann, Raum im Inneren, Katalog Berlin 2002

Theodor Helmert-Corvey, Mitten im Winter, Zum Plastischen Werk von Bärbel Dieckmann, www.virtuelles-magazin-2000.de, Ausgabe 11

www.skulpturraum.de

Harry Lehmann, Marco Baré, Skulpturarchitektur

Links:

Prof. Richard Heß

Skulpturraum