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Enno Kaufhold

 

Zur offiziellen Verabschiedung von Prof. Dipl. Ing. Gottfried Jäger an der Fachhochschule Bielefeld

Dienstag, den 22. Oktober 2002

Lieber Gottfried, liebe Frau Jäger, liebe Weggefährten, Freundinnen und Freunde von Gottfried Jäger, liebe Angehörige der Fachhochschule Bielefeld

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn dieser Begriff nicht mittlerweile außer Kurs geraten und vielfach diskreditiert wäre, sollte ich sagen, es sei mir eine besondere Ehre, hier und heute in der Fachhochschule Bielefeld anläßlich der offiziellen Verabschiedung von Prof. Gottfried Jäger sprechen zu dürfen. So erscheint es mir eher angebracht zu sagen, und das gefällt mir ohnehin besser, hier zu sprechen ist mir eine besondere Freude, gibt mir das doch die willkommene Gelegenheit, einem Mann meine Referenz zu erweisen, dessen vielfältige Aktivitäten ich mit größtem Respekt sehe. Ich sage das, und es soll hier schon deutlich werden, daß ich durchaus auch persönlich werden möchte, ich sage das als jemand, der sich schon während seiner Studienzeit für die freischaffende Tätigkeit entschieden hat. Die Gründe tun hier nichts zur Sache, ich möchte aber damit deutlich machen, daß ich Gottfried Jägers Tätigkeit als Fachhochschulprofessor nicht als fest angestellter und staatlich besoldeter Fachkollege verfolgt habe, sondern als jemand, der bewusst nur von außen auf die Fachhochschulen, Akademien, Gesamthochschulen etc. geblickt hat. Wenn ich von Respekt spreche, dann beginnt meine Wertschätzung genau an diesem Punkt. Durch langjährige Beobachtungen bestärkt, behaupte ich heute, daß es nur wenigen Professorinnen und Professoren gelingt, ihre fotografischen wie künstlerischen Besonderheiten, um deren Willen sie berufen worden sind, neben und während ihrer Lehrtätigkeit auszubauen. Sie ahnen es, worauf ich hinaus will. Für mich zählt Gottfried Jäger zu den rühmlichen Ausnahmen unter den Lehrenden, weil er über seine Arbeit für die Fachhochschule hinaus, in der Öffentlichkeit mit eigenen kreativen Leistungen präsent geblieben ist und - das füge ich noch hinzu - bei dem ich mir sicher war, dass er seine Lehrverpflichtungen nicht vernachlässigte. Schließlich sind auch solche Konstellationen hinlänglich bekannt, wo die Lehrenden zwar auf dem Markt, aber selten bis nie an den Orten ihrer Lehrstühle anzutreffen sind. Damit ich nicht mißverstanden werde, mir geht es nicht darum, die Lehrkräfte an den akademischen Lehreinrichtungen in Gänze zu diskreditieren. Ich spreche von den künstlerischen Persönlichkeiten, die auf dem besten Wege waren, mit ihrem Werk eine dezidierte Position in der Gesellschaft zu beziehen und deren Schöpferkraft sich dann mit der Lehrtätigkeit verliert.

Dass es mit den Professoren schon in früheren Jahren so eine Sache war, läßt sich bei keinem geringeren als bei Johann Wolfgang von Goethe nachlesen. Er schrieb in seinen Memoiren, also in "Dichtung und Wahrheit", aufgrund seiner Erfahrungen in Leipzig: "Professoren, so gut wie andere in Ämtern angestellte Männer, können nicht alle von e i n e m Alter sein; da aber die jüngeren eigentlich nur lehren, um zu lernen, und noch dazu, wenn sie gute Köpfe sind, dem Zeitalter voreilen, so erwerben sie ihre Bildung durchaus auf Unkosten der Zuhörer, weil diese nicht in dem unterrichtet werden, was sie eigentlich brauchen, sondern in dem, was der Lehrer für sich zu bearbeiten nötig findet. Unter den ältesten Professoren dagegen sind manche schon lange Zeit stationär: sie überliefern im ganzen nur fixe Ansichten und, was das Einzelne betrifft, vieles, was die Zeit schon als unnütz und falsch verurteilt hat. Durch beides entsteht ein trauriger Konflikt, zwischen welchem junge Geister hin und her gezerrt werden, und welcher kaum durch die Lehrer des mittleren Alters, die, obschon genugsam unterrichtet und gebildet, doch immer noch ein tätiges Streben zum Wissen und Nachdenken bei sich empfinden, ins gleiche gebracht werden kann."

 

 

Was nun im Vergleich Gottfried Jägers Lehrtätigkeit betrifft, so dürfen wir ihn nach meiner Einschätzung zu den "Lehrern des mittleren Alters" zählen, ungeachtet seines jeweiligen Alters, denn neben dem "tätigen Streben zum Wissen und Nachdenken", das sowieso, hat er sich gerade durch seine fortwährende Wachheit gegenüber den sich verändernden medialen Bedingungen ausgewiesen. Er hat aus dem früh Erkannten, vor allem den Veränderungen in den Medien, die jeweiligen Konsequenzen für die studentische Ausbildung gezogen, um sicher zu stellen, dass die Studentinnen und Studenten für die in Zukunft auf sie zukommenden Anforderungen fachlich so gut es geht gerüstet sind. Mit Recht wurde er bereits in früheren Jahren wegen seiner Bedeutung als Fotopädagoge geehrt. Diese, seine pädagogischen Leistungen wären gerade zum heutigen Anlass ein weiteres Mal näher zu würdigen. Da ich jedoch davon ausgehe, dass Sie darüber bestens und allemal besser als ich informiert sind, sei nur kurz in Erinnerung gerufen, dass er nach seinem abgeschlossenem Studium an der Staatlichen Höheren Fachschule für Photographie in Köln seine Lehrtätigkeit 1960 in Bielefeld begann, zunächst als Fachlehrer für Fototechnik in der Graphischen Abteilung der Werkkunstschule und danach an der daraus hervorgegangenen Fachhochschule Bielefeld. Weitere Stichworte für sein Wirken und Mitwirken müßten sein die Gründung der Studienrichtung Foto-/Film-Design 1979 und die damit verbundene Etablierung des Design-Begriffs, die Einrichtung des Forschungs- und Entwicklungsschwerpunktes Fotografie 1984 und dessen Erweiterung auf Fotografie und Medien 1990, die personelle Diversifikation des Lehrangebots mit Professoren wie Karl Martin Holzhäuser, Jörg Boström und Jürgen Heinemann sowie weiteren Lehrenden, damit ein breites Spektrum der Fotografie abgedeckt werden konnte, die Etablierung wie die kontinuierliche Betreuung der jährlichen Symposien ab 1979, die sich gleichfalls vorausschauend den sich verändernden Verhältnissen widmeten, erwähnt werden sollten die Studien- wie die Forschungs- und Entwicklungsprojekte, seine Zeit als Dekan wie als Prorektor und vieles, vieles mehr, das der näheren Würdigung wert wäre. Die Stichworte können auf seiner Homepage im Detail nachgelesen werden. Ich füge aber, damit die Proportionen nicht verzerrt erscheinen, gerne hinzu, dass er sich nicht als einziger Lehrender an der Fachhochschule für mich erkennbar profiliert hat. Ich erachte die Fachhochschule Bielefeld im Rahmen ihrer fotografiebezogenen Ausbildungen generell für eine der erfolgreichsten Ausbildungsstätten in den deutschen Landen, sehe also sehr wohl die Gesamtleistung aller hier Tätigen, denke aber, dass Professor Schmoll gen. Eisenwerth beizupflichten ist, wenn er meinte, Gottfried Jäger sei für die Fachhochschule "eine Art Gravitationsschwerpunkt".

Ebenso unausgeführt möchte ich Gottfried Jägers Wirken für die Gesellschaft Deutscher Lichtbildner lassen, deren Vorsitz er 1983 übernahm und der er nicht nur binnen kurzer Zeit zum neuen Titel "Fotografische Akademie GDL" sondern mehr noch zu einem neuen Profil mit neuen Gesichtern verhalf. Hinzu kam sein Wirken in der Deutschen Gesellschaft für Photographie, doch auch das werde ich vernachlässigen, denn mir ist es darum zu tun, vor allem Gottfried Jägers publizistische wie künstlerische Tätigkeit in den wenigen mir zur Verfügung stehenden Minuten deutlich werden zu lassen. Das sind meines Erachtens die beiden Bereiche, in denen er über die angedeuteten Aktivitäten hinaus und unabhängig von seiner Lehrtätigkeit, die ihre Früchte in den von ihm unterrichteten Studentinnen und Studenten gefunden hat, am nachhaltigsten über die engeren fotografischen Kreise hinaus wahrzunehmen war und in denen er auch in der weiteren Zukunft Einfluss nehmen wird.

 


Sie alle kennen den Reader, in dem die Ergebnisse der Bielefelder Symposien von 1979 bis 1985 zusammengefaßt worden sind, und der den Titel trägt "Gegen die Indifferenz der Fotografie. Die Bielefelder Symposien über Fotografie 1979-1985. Beiträge zur ästhetischen Theorie und Praxis der Fotografie. Fachhochschule Bielefeld". Sie werden das Cover vor ihrem inneren Auge haben. Es ist für mich schwer abzuschätzen, mit wie viel inhaltlichem Kalkül dieses Cover damals gestaltet worden ist, doch nach meiner Lesart widerspiegelt das anläßlich des 1981er Symposiums entstandene Cover-Foto geradezu programmatisch Gottfried Jägers Wirken und seine Lebensentwicklung: Er steht über der ungeordnet versammelten Zuhörerschar leicht erhöht auf der Treppe, mit offener Weste, die linke Hand in der Hosentasche vergraben und den rechten Arm nach oben angewinkelt und damit Sprache und Gedanken in das Auditorium verlängernd. Am wichtigsten erachte ich aber die grafische Fassung, denn er wird unmittelbar von den beiden Begriffen "Indifferenz" und "Theorie" eingebunden, zwei bipolar exponierten Begriffen, die auch sonst in der Welt des Denkens anzutreffen sind, die aber mit Blick auf Gottfried Jäger als Spannungsfeld all seiner Aktivitäten gesehen werden können und m. E. auch müssen. Kommen doch in dem Begriff der Indifferenz "Unbestimmtheit, Unentschlossenheit, Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit wie Wirkungslosigkeit zusammen, also Verhaltensweisen, denen er in allen Belangen entgegengewirkt hat, indem er nämlich seine Theorien und die mit ihnen verknüpften spezielleren medientheoretischen wie künstlerischen Vorstellungen nach und nach weiter ausformulierte. Als Lehrender sowieso, aber vor allem in seinen diversen Texten und dann in den von ihm allein oder in Kooperation verantworteten Büchern.Sie wissen so gut wie ich, in welchem Maße Gottfried Jägers künstlerische Vorstellungen immer mit seinen publizistischen Aktivitäten verwoben waren und nach wie vor sind.

Das erste und wie ich denke nachhaltigste Stichwort, das in diesem Kontext fallen muß, ist das der "Generativen Fotografie". Neben der Kommentierung aus heutiger Sicht, auf die ich kommen werde, gibt es den ersten Kontakt, den ich selbst vermutlich im Januar 1970 gehabt haben dürfte. In dem Monat behandelte die Zeitschrift ‹foto magazin" experimentelle Fotografie und stellte Gottfried Jäger mit mehreren Lochblenden-Arbeiten und einem von ihm verfaßten Text unter dem Titel "Programmierte Gestaltung. Serielle Fotografie" vor. Dieses vorzugsweise für Amateure gemachte Monats-Magazin, das ich seit 1960 regelmäßig gelesen habe, stellte damals meine Primärquelle für meine Interessen an der Fotografie dar. Einmal davon abgesehen, dass es wie die heutigen Äquivalente darauf angelegt war, zwischen Produzenten und Käufern zu vermitteln, also im Wesentlichen ein Organ der Industrie war, unterlag das foto magazin ganz den Idealen der damaligen Jahre, die bestimmt waren vom human interest. Jenem weltumfassenden fotografischen Ansatz, wie er 1955 mit Edward Steichens "Family of Man"-Ausstellung etabliert und dann in Deutschland 1964 und dann 1968 von Karl Pawek und dem stern in den weiteren Weltausstellungen propagiert worden ist. Nicht dass ich diese Fotografie generell in Misskredit bringen möchte, sie hatte aber, speziell was ihre Perpeduierung in dem besagten foto magazin betrifft - in weiten Teilen Facetten grenzenloser Belanglosigkeit, der ich, wie ich rückschauend nicht ohne Betroffenheit feststellen muß, damals noch kritiklos erlegen bin. Erst viel später sollte ich diese "Kultivierung der Anspruchslosigkeit", wie ich es in einem expliziten Text bezeichnet habe, durchschauen.

Ich führe das deshalb länger aus, weil sich daran ausmachen läßt, wie weit sich Gottfried Jäger und die weiteren Wegbegleiter und Protagonisten der "Generativen Fotografie", wie Pierre Cordier, Kilian Breier, Hein Gravenhorst, Herbert W. Franke Klaus Kammerichs, Karl Martin Holzhäuser und andere, mit ihrem radikalen Ansatz von dem abgesetzt haben, was damals im Profi, wie im Amateurbereich weltweit als mainstream goutiert wurde. Das hatte entschieden mit Vorherrschaft zu tun. Dazu gehörte als Symptom des Wertewandels ein Vorgang am Museum of Modern Art in New York, der deutlich macht, um was es damals ging. Nachdem es 1940 Beaumont und Nancy Newhall unter führender Mithilfe von Ansel Adams gelungen war, ein eigenständiges, der künstlerischen Fotografie zugedachtes Department für Fotografie zu installieren, übrigens das Erste dieser Art, war es Edward Steichen, der an die Stelle dezidiert künstlerischer Interessen seine Politik der Fotografie des human interest setzte. Mit dem Ergebnis, dass die Newhalls die Zusammenarbeit mit ihm am MOMA verweigerten und nach Rochester gingen, und sich Ansel Adams ebenso zurückzog, nachdem er all seine Vorbehalte insofern bestätigt sah, als seine zur Weltausstellung beigesteuerte Fotografie übergroß und schlecht vergrößert in Steichens Ausstellung verwurschtelt worden war. Dazu paßt es, dass dieser weltweit gezeigten Ausstellung später wiederholt Verbindungen zum CIA nachgesagt wurden.

In Deutschland personifiziert diesen Anspruchs- und Wertewechsel keiner mehr als der Hauptpromotor der "subjektiven fotografie", Otto Steinert, der sich in den 60er Jahren von seinen Idealen entfernte und der fürderhin seinerseits der journalistischen Fotografie das Wort redete, zugegebenermaßen mit hohen Ansprüchen. Dieser Kontext läßt die Generative Fotografie als dezidierte Gegenposition und zugleich als erneutes Insistieren auf eine fotokünstlerische Position deutlich werden, nicht von ungefähr wurde das Buch zur Generativen Fotografie Heinz Hajek-Halke und damit jemandem gewidmet, der seine explizit künstlerische Haltung unbeeindruckt beibehalten hatte. Theoretisch nahm man zwar auf Max Benses "Generative Ästhetik" Bezug, die weiterreichenden Implikationen kamen aber interessanterweise ihrerseits vornehmlich aus den USA, wo die Ausformulierungen der Kybernetik, der neuen Informationsästhetik und dann der Semiotik infolge der rasanten Entwicklung der elektronischen Kommunikations-Technologien bereits weiter vorangeschritten waren.

Zeitlich fällt die Etablierung der Generativen Fotografie nicht von ungefähr in die Jahre, als sich die Machtverhältnisse in der Medienhierarchie veränderten. Was oberflächlich betrachtet als Boom des weltweiten Bildjournalismus erscheint, denkt man an die steigenden Auflagen von Stern, Life, Paris Mach etc., muß als Reaktion auf das massive Vordringen des Fernsehens als führendes und damit herrschendes Medium angesehen werden. Genauso wie sich die außerparlamentarische, studentische Opposition, ohne die effektive raumgreifende Präsenz der Informationsvermittlung über das Fernsehgerät so nicht hätte entwickeln können. Ich kann das hier nur andeuten und lasse auch wichtige Komponenten, wie die des Ost-West-Verhältnisses außer Acht, und erwähne es auch nur deshalb, weil ich deutlich machen will, dass die Fotografie bereits in den sechziger Jahren von der Verpflichtung, etwas abbilden zu müssen oder zu sollen befreit war, wenn wir das auch erst heute, angesichts der neuen digitalen Techniken und der an Zahl zunehmenden Fernsehkanäle so einschneidend erleben. Eine der ästhetisch-künstlerischen Antworten auf diesen Machtwechsel in der Medienhierarchie, sehe ich in der Generativen Fotografie, wobei deren Hauptvertreter, und auch das stützt meine Vorstellungen, nicht in angewandten fotografischen Bereichen tätig waren, sondern in gesicherten Positionen als Lehrende. Das sage ich ohne moralisierenden Unterton. Im Gegenteil, das sage ich mit Sympathie, weil hier der Freiraum der gesicherten Existenz zur Erweiterung künstlerischer Positionen genutzt wurde, wie das für die vorausgegangene Entwicklung bereits für László Moholy-Nagy oder Otto Steinert geltend zu machen ist .

 

Interessant erscheint mir in dem Zusammenhang ein Selbstporträt von Gottfried Jäger, das schon den Beitrag im foto magazin von 1970 illustrierte und das Sie kennen werden, da es wiederholt publiziert wurde. In diesem Bild wird fast das gesamte Bildformat von einem Lochblendenbild eingenommen, hinter dem Gottfried Jäger steht und der es mit ausgespannten Armen hält. Ansonsten ragt nur sein Kopf mit typischem Bart über den Papierrand und seine Füße darunter hervor. Da die Füße unbedeckt sind, suggerieren sie, dass sich Gottfried Jäger nackt hinter seinem Bild verbirgt. An seinem linken Fuß macht sich ein schwarzer Pudel zu schaffen. Die wiederholte Publizierung gerade dieses Bildes bestärkt mich in der Annahme, es mit einer programmatischen Inszenierung zu tun zu haben. In der Weise wie Gottfried Jäger als Bildautor hinter seiner Arbeit buchstäblich verschwindet, verschwindet er auch als Autor hinter der demonstrativ hingehaltenen großflächigen Lochblendenstruktur. Diese verweist primär auf die physikalisch wie optisch bedingten und damit auf die vorgegebene apparative Konstellation, als wesentlichen Aspekt der Generativen Fotografie. In der, durch die längere Belichtung bedingten Bewegungsunschärfe, mit der der kurze Schwanz des Pudels erscheint, und das ist möglicherweise - um im Bild zu bleiben - des Pudels Kern, läßt sich eine ironische Anspielung auf Otto Steinerts berühmtes und für die Subjektive Fotografie repräsentatives Motiv des "Ein-Fuß-Gängers" festmachen, doch bleibt diese Szene marginal, weil sie außerhalb des zentralen Lochblendenbildes stattfindet.

Rückblickend läßt sich feststellen, dass mit der Generativen Fotografie Vorstellungen entwickelt wurden, denen Gottfried Jäger in den folgenden Jahren, und das gilt uneingeschränkt bis heute, treu geblieben ist und die sich gewissermaßen als roter Faden durch seine Arbeit ziehen. "Erzeugung" und "Programm" unterscheidend formulierte er 1970: "Es wird nicht die Wiedergabe einer vorhandenen, sondern die Erzeugung einer neuen ästhetischen Struktur angestrebt." Und zum Programm notierte er: "Es wird angestrebt, ein Programm als eindeutige Anweisung für die Lösung einer Aufgabe zu definieren." Was den Gedanken der "Erzeugung einer neuen ästhetischen Struktur" betrifft, so hat niemand , das meine ich in dieser Absolutheit, neben ihm so nachhaltig und detailliert an der substantiellen Verifikation dieses Ansatzes in der Geschichte wie in der Gegenwart der Fotografie gearbeitet wie Gottfried Jäger.

Die herausragenden Publikationen und Ausstellungen, in denen sich das materiell niederschlug, seien kurz in Erinnerung gerufen. Nach ersten kürzeren Textveröffentlichungen im Kontext der Generativen Fotografie setzte die von ihm und Herbert W. Franke verfaßte Publikation "Apparative Kunst. Vom Kaleidoskop zum Computer", 1973 den ersten markanten Punkt, dem dann zwei Jahre später als ultimative Festschreibung das zusammen mit Karl Martin Holzhäuser herausgebrachte Buch mit dem Titel "Generative Fotografie" folgte. Standen die frühen Schriften noch deutlich im Einfluß des Technischen gerieten in der Folge die historischen Aspekte mehr und mehr mit in den Fokus und damit die Idee der "bildschaffenden" Produktion, am deutlichsten exponiert in dem 1988 allein von Gottfried Jäger verantworteten Buch mit dem Titel ‹Bildgebende Fotografie". In ihm deklinierte er die methodischen wie technischen Varianten der bildgebenden, im Unterschied zur bildnehmenden Fotografie begrifflich wie in repräsentativen Werkbeispielen in beispielloser Differenzierung durch. In Zusammenarbeit mit Jutta Hülsewig-Johnen und Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth bekam dann die historische Dimension in der von einem Katalog begleiteten Ausstellung über "Das Foto als autonomes Bild" deutlich mehr Gewicht, erarbeitet 1989 anläßlich des 150. Geburtstags der Fotografie. Vertieft wurde der historische Aspekt exemplarisch 1995 an den Arbeiten von László Moholy-Nagy, wiederum in Kooperation mit Jutta Hülsewig-Johnen und als Ausstellung, Symposium und Buch. Für die dann vor zwei Jahren von Thomas Kellein und Angela Lampe in der Bielefelder Kunsthalle eingerichtete Ausstellung zur ‹Abstrakten Fotografie" gab er wichtige Impulse. Als daraus folgendes Resümee und als Ergebnis eines weiteren Symposiums der Fachhochschule Bielefeld liegt nun als jüngstes-und ich denke sicher nicht letztes Druckerzeugnis-sein als Autor und Herausgeber verantwortetes Buch "Die Kunst der Abstrakten Fotografie" vor, das, so bin ich mir schon jetzt sicher, als Standardwerk in die Geschichte der Fotopublizistik eingehen wird. Fasst es doch sowohl textlich als auch in der Auswahl der historischen wie zeitgenössischen Fotokünstler wesentliche Aspekte der Geschichte der abstrakten Fotografie zusammen.

 

 

 

Die herausragenden Publikationen und Ausstellungen, in denen sich das materiell niederschlug, seien kurz in Erinnerung gerufen. Nach ersten kürzeren Textveröffentlichungen im Kontext der Generativen Fotografie setzte die von ihm und Herbert W. Franke verfaßte Publikation "Apparative Kunst. Vom Kaleidoskop zum Computer", 1973 den ersten markanten Punkt, dem dann zwei Jahre später als ultimative Festschreibung das zusammen mit Karl Martin Holzhäuser herausgebrachte Buch mit dem Titel "Generative Fotografie" folgte. Standen die frühen Schriften noch deutlich im Einfluß des Technischen gerieten in der Folge die historischen Aspekte mehr und mehr mit in den Fokus und damit die Idee der "bildschaffenden" Produktion, am deutlichsten exponiert in dem 1988 allein von Gottfried Jäger verantworteten Buch mit dem Titel "Bildgebende Fotografie". In ihm deklinierte er die methodischen wie technischen Varianten der bildgebenden, im Unterschied zur bildnehmenden Fotografie begrifflich wie in repräsentativen Werkbeispielen in beispielloser Differenzierung durch. In Zusammenarbeit mit Jutta Hülsewig-Johnen und Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth bekam dann die historische Dimension in der von einem Katalog begleiteten Ausstellung über "Das Foto als autonomes Bild" deutlich mehr Gewicht, erarbeitet 1989 anläßlich des 150. Geburtstags der Fotografie. Vertieft wurde der historische Aspekt exemplarisch 1995 an den Arbeiten von László Moholy-Nagy, wiederum in Kooperation mit Jutta Hülsewig-Johnen und als Ausstellung, Symposium und Buch. Für die dann vor zwei Jahren von Thomas Kellein und Angela Lampe in der Bielefelder Kunsthalle eingerichtete Ausstellung zur "Abstrakten Fotografie" gab er wichtige Impulse. Als daraus folgendes Resümee und als Ergebnis eines weiteren Symposiums der Fachhochschule Bielefeld liegt nun als jüngstes - und ich denke sicher nicht letztes Druckerzeugnis - sein als Autor und Herausgeber verantwortetes Buch "Die Kunst der Abstrakten Fotografie" vor, das, so bin ich mir schon jetzt sicher, als Standardwerk in die Geschichte der Fotopublizistik eingehen wird. Fasst es doch sowohl textlich als auch in der Auswahl der historischen wie zeitgenössischen Fotokünstler wesentliche Aspekte der Geschichte der abstrakten Fotografie zusammen.

 

Wenn ich hier allein schon aus Zeitgründen nicht auf die Einzelheiten dieser Publikationen eingehen kann - gar nicht zu reden von den bereits erwähnten verstreuten Texten -, so lässt sich zusammenfassend eine Entwicklung in seinem publizistischen Werk beobachten, die vereinfachend und zugespitzt formuliert von den Ingenieurs- zu den Kunst- und Geisteswissenschaften geführt hat, mit zuletzt prägenden Kontakten wie dem sicherlich einflussreichsten zu Vilém Flusser. Dem einen wie dem anderen Ansatz kann ich sehr viel abgewinnen und ich habe fraglos davon reichlich profitiert. Gleichwohl möchte ich jedoch nicht verhehlen, dass ich mich in meinem Denken weniger den vermeintlich definierten Begrifflichkeiten und Systematiken verbunden fühle als vielmehr dem diskursiven Denken, dem primär historische und gesellschaftliche Implikationen zugrundeliegen, die insbesondere Macht und Herrschaft einschließen, und damit jene Faktoren, die nach meinem Verständnis konstitutiv für die Mediengeschichte sind und die zugleich die Kunstgeschichte tangieren.

 

Prima vista lassen sich Gottfried Jägers publizistische Arbeiten sowie die von ihm mitgetragenen oder allein verantworteten Symposien und Ausstellungen immer wieder als Unternehmungen charakterisieren, die seine Vorstellungen von der Generativen Fotografie und damit das eigene Werk in den historischen Kontext einbinden und die es auf diese Weise sowohl in der Vergangenheit verankern als auch mit einer Perspektive für die Zukunft versehen. In diesen Kontext, gleichsam als Fortsetzung der Synthese von Praxis und Theorie, gehört der in den achtziger Jahren vollzogene Wandel zu den reinen Papierarbeiten, in denen Gottfried Jäger sich vom Apparativen wie vom Abbilden im konventionellen Verständnis löste und das in einer Radikalität, die wiederum aufmerken läßt. Hervorheben möchte ich die objekthaften Arbeiten, die er auf der Basis von klassischem Fotopapier in verschiedenen Räumen inszenierte und damit - wie er es selbst nannte - zu "Fotoplastischen Objekten" machte. Gerhard Glüher sah darin "die Befreiung des fotografischen Bildträgers vom Zwang, Medium oder Vermittler ihm originär nicht inhärenter Funktionen zu sein". Angesichts der Beredsamkeit in Wort und Schrift, mit der Gottfried Jäger uns vertraut ist, erscheinen diese puristischen Foto-Objekte geradezu als totale Negation dieser ihn auszeichnenden Qualität. Sie verweigern sich nicht nur dem Abbild, sondern zugleich der Sprache, sie sind bis zur Unerträglichkeit still. In ihnen schlummern aber höchst komplexe Vorstellungen von der Fotografie unserer Tage.

Wie nicht erst das massive Aufkommen der digitalen Bilder und neuen TV-Sender deutlich werden ließ, ich merkte das bereits an, hat die Fotografie in den heute relevanten Anwendungsbereichen visueller Kommunikation nur noch eine nachgeordnete Bedeutung. Mehr denn je ist sie von der Funktion, gewerbliche Aufgaben übernehmen zu müssen, freigestellt und kann sich demzufolge uneingeschränkt von den vorherrschenden Bilder absetzen. Davon hat Gottfried Jäger, der dem Anwendungsdruck dank seines Professorenstatus schon lange nicht mehr unterliegt, reichlich Gebrauch gemacht und - diesen, seinen Freiraum nutzend - der Fotografie damit vollkommen neue Dimensionen eröffnet. Wenn er sich in seinen objektartigen Arbeiten dem Abbilden total verweigert und das Papier zum Objekt und dieses wiederum in der räumlichen Anbringung zur Installation macht, so manifestiert sich darin eine aus der Mediengeschichte abgeleitete Konsequenz des Handelns und zugleich eine dezidierte Haltung, wie jemand, nämlich Gottfried Jäger, zur Realität und wie zu seiner Arbeit steht.

Hatte und hat es schon die Generative Fotografie bislang in der Fotogeschichtsschreibung schwer, angemessene Beachtung zu finden, und nehmen wir die Erfahrungen mit der traditionellen Kunstgeschichte, die bislang noch nicht einmal die Vorläufer der abstrakten Fotografie, wie Alvin Langdon Coburn, geschweige denn all die späteren Fotokünstler zur Kenntnis genommen hat, dann läßt sich leicht prophezeien, dass noch Jahrzehnte ins Land gehen werden, bis einer breiteren Öffentlichkeit die Objekt-Arbeiten von Gottfried Jäger plausibel sein werden. Insofern muß die wahre Bedeutung seiner fotografischen Arbeiten noch entdeckt werden, im Moment sind diese noch der Zeit weit voraus. Das sage ich auch eingedenk meiner vielfach geäußerten Skepsis, was den allgemeinen Umgang mit technisch erzeugten Bildern betrifft, dem in der breiteren Öffentlichkeit weniger bewußtes Wissen als vielmehr widerstandslose Konditionierung von Kindesbein an durch das herrschende Medium Fernsehen zugrundeliegt.

 

Obwohl ich in meiner Würdigung der Arbeit von Gottfried Jäger nur ausschnitthaft und summarisch sein konnte, dürfte allenthalben ersichtlich geworden sein, dass wir es in der Summe, neudeutsch gesprochen, mit einem beachtlichen "Out-Put" zu tun haben; und da ich das Leben gut genug kenne, gehe ich davon aus, dass diese Arbeitsleistung ungeachtet Gottfied Jägers eigener disziplinierter und kontinuierlicher Anstrengungen nur möglich war, weil ihm ­ und damit möchte ich Sie ansprechen, liebe Frau Jäger - weil ihm jemand über lange Jahre ­ wie es euphemistisch heißt - "den Rücken frei gehalten halten hat". Wie umfangreich das war, darüber kann ich nichts aussagen, ich denke aber, das es reichlich genug war, um Ihnen an dieser Stelle mit einem ausdrücklichen Applaus zu danken.

Zum Ende noch ein paar Gedanken zum Alter. Einmal abgesehen davon, dass Alter recht relativ ist, gefällt mir im Zusammenhang mit Gottfried Jäger ein Satz von Thomas Mann, von dem ich denke, er läßt sich ohne Abstriche auf den heute zu Lobenden anwenden. Dieser meinte:

"Man wird alt, gut, daran ändern wir nichts. Aber, worauf es ankommt, ist, dass die Dinge einem neu bleiben und dass man sich eigentlich an nichts gewöhnt."

Aus dem Wenigen, das ich über Gottfried Jägers Wirken gesagt habe, sollte erkennbar geworden sein, dass er in jeder Phase seines Lebens und verknüpft mit seinen Aktivitäten stets recht früh auf die jeweiligen medialen wie ausbildungsbedingten Veränderungen reagiert und diese dann auch inhaltlich begleitet hat. Zuletzt betraf das sein Reagieren und seine Reflektionen auf und über die neue Welt digitaler Bilder, die im Begriff sind, die alten, analogen abzulösen. Insofern ist er bis auf den heutigen Tag jung geblieben und ich habe auch keine Bedenken, daran könne sich in der Zukunft etwas ändern.

 

 

Lieber Gottfried, wenn Du jetzt aufgrund gesetzlich vorgegebener Regelungen, wie man gemein hin sagt, "in den Ruhestand versetzt wirst", respektive versetzt worden bist, so ließe sich dagegen das eine oder andere sagen. In Anlehnung an Jürgen Kuczynski, den Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler und einen der letzten Privatgelehrten der DDR, der 1989 im Alter von 84 Jahren ein Büchlein mit dem Titel "Alte Gelehrte" publizierte, möchte ich auf die positiven Aspekte verweisen, in denen sich Dein Ruhestand von dem der meisten anderen Deines Alters unterscheiden wird. Kuczynski differenzierte noch - seiner marxistischen Sozialisation folgend - zwischen den "Arbeitern" und den "Gelehrten"; und insofern sollten wir hier angesichts doch veränderter Verhältnisse von abhängig Beschäftigten sprechen. Während diese mit dem Übergang in ihr Rentenalter ein neues Leben führen und nicht jeder sich darin hineinfindet und es zum eigenen wie dem Nutzen des Gemeinwohls zu nutzen versteht, so sah Kuczynski den Wechsel des Gelehrten ohne ernsten Einschnitt, da dieser genügend Möglichkeiten hat, sich in seinem vertrauten Metier weiter zu beschäftigen. Er selbst hat davon bis in sein 92. Jahr steten Gebrauch gemacht.

In dem besagten Büchlein schreibt er weiter, gespeist aus eigener Lebenserfahrung wie besagter Gelehrsamkeit: "Jeder alte Gelehrte, der ein kreatives Leben verbracht, der diese und jene kleine oder größere Wahrheit gefunden hat und auf diese Funde zurückblickt, kann sicher sein, dass diese Wahrheiten, ob später mit seinem Namen verbunden oder nicht, niemals eingesargt werden. Mögen sie auch einige Zeit den Scheintod erleiden, sie werden immer wieder lebendig werden und wenn nicht seinen Namen, so doch seinen Geist durch die Geschichte tragen.

Und wer solches von sich, rückblickend auf seine Arbeiten, sagen kann, wird, trotz aller Stürme der Zeiten, in die er vielleicht sogar noch im Alter das Glück hat verwickelt zu sein, eine allen, die ihn kennen, wohltuende Souveränität, auch seinem Leben und seinem Werk gegenüber, ausstrahlen."

In diesem Sinn, lieber Gottfried, wünsche ich Dir, und ich denke, ich spreche da auch im Sinne der hier heute Anwesenden und wohl vieler, die Dich kennen, aber nicht hier vor Ort sind, ich wünsche Dir, nachdem Du aufgrund willkürlicher Festsetzung einer bestimmten Altersgrenze nicht mehr die Bürde des institutionell verankerten Lehrens trägst, dass Du die neue Freiheit weiter für Deine Arbeiten nutzen kannst und weiter an dem wirkst, das Dich schon in den vergangenen Jahrzehnten angetrieben hat.

In einem Satz, ich wünsche Dir weiteres frohes Schaffen, wobei die Betonung auf "froh" liegt.

Ihnen meine Damen und Herren danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

Enno Kaufhold