Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Prof. Jörg Boström

Eröffnung "Leere & Vision" am 9.10.2002

Die eigenartige Situation, die Herr Brinckmann geschildert hat, mit den Gläsern Wein, hat noch eine Zugabe, es war nämlich ein Abschiedsessen. Wir hatten uns lange nicht gesehen, wir sehen uns immer wieder im Treppenhaus, wir hören uns, wir sind freundlich zueinander, aber erst, als wir beschlossen hatten, es auch schon organisiert war, dass meine Frau und ich aus Herford weggehen, haben wir dieses Gespräch geführt und haben uns einen schönen Abend gemacht. And ausgerechnet bei diesem Abschiedsgespräch entstand diese Idee, Leere & Vision, und die gemeinsame Zusammenarbeit. Ich muss sagen, da ist auch mir die Kunst wieder als ein Instrument, als ein kommunikatives Instrument, wieder ins Bewusstsein gekommen, denn ich habe in diesem halben Jahr der Arbeit an unserem Projekt mehr Menschen in Herford aus der Nähe kennen gelernt und Zusammenhänge dieser Stadt Herford gesehen, als in den 30 Jahren vorher, wo ich in Herford wohnte, aber in Bielefeld arbeitete. Zwar freundliche Begegnungen hatte ich, aber keine direkte Verbindung, keine direkten Gespräche, keine direkte Kommunikation, natürlich auch mit den damit verbundenen Schwierigkeiten, die man dann bekommt, wenn man ein solches Projekt durchzieht. Also, die Kunst hat hier eine kommunikative, eine verbindende Funktion auch für mich gehabt, in einer ganz erstaunlichen Weise. Ich überlege mir: während wir dieses Projekt angingen, hatte ich mir vorgestellt, dass wir ungefähr 15 befreundete Künstler fragen, ob sie in irgendwelchen Leerständen, die hier sind, Bilder zeigen wollen.
Entwickelt hat sich aber etwas ganz Neues, die Künstler, es blieb nicht bei 15, es wurden mehr als 40. Fast alle, die, wir angeschrieben hatten, kamen mit eigenen, neuen Projekten und viele kamen noch hinzu, es war eine Art Schneeball-Effekt, dass immer mehr Leute sich für diesen Stadtteil plötzlich zu interessieren begannen. Es war nicht so, dass die Kunstwerke hier nur herangeschafft wurden, sondern Radewig selbst wurde zum Gegenstand neuer Werke. Das meiste, was Sie hier sehen in den nächsten Tagen, ist erst entstanden aufgrund dieses Projekts, so dass man sagen kann, die Künstler selber haben in der Radewig, oder dem Radewig, wie immer man das nennt- "die" oder "der" ist noch immer umstritten, historisch-, ganz neue Werke, ganz neue Impulse empfangen. Dazu auch Anregungen von den Menschen, die hier leben. Es hat sich ergeben, dass dieses Projekt nur realisierbar ist, wenn die Radewiger selber sagen, wir sind Gastgeber, wenn die Radewiger sagen, wir sponsern dieses oder jenes, wenn Radewiger sagen, wir stellen unseren einen Raum als Arbeitsraum zur Verfügung, wir stellen unsere Aufmerksamkeit zur Verfügung. Wenn ich jetzt durch diesen Stadtteil gehe, dann habe ich natürlich einen ganz anderen Blick für alles, für die Einzelheiten, als ich ihn vorher hatte. Und ein zweiter Gedanke ist mir heute gekommen, als ich durch dieses Quartier ging, nämlich der Gedanke "Wieviel Kunst kann ein Stadtteil vertragen?" Wenn ich das Ergebnis betrachte meine ich, eine ganze Menge.
Ich stelle eine ganz erstaunliche Kommunikation fest zwischen den Orten, den Strassen, den Häusern, den Menschen, den Werken, die jetzt da stehen, so dass ich nur sage, es ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang, die Kunst nimmt Anteil an den Menschen, an den Räumen, Anteil an den Situationen, und sie ist nicht mehr, wie es in der Moderne leider vielfach passiert ist, abgetrennt in Galerien, wo man flüstert, in Museen, wo man durchhuscht, sondern die Kunst ist in den Alltag wieder zurückgekommen, das ist ein Gedanke, der uns ja im Laufe der Arbeit an diesem Projekt immer stärker beschäftigt hat. Sie befinden sich ja gerade in einem Kunstwerk; sie müssen sich nur umschauen. Das war für die Menschen im Mittelalter, die Menschen der Renaissance, des Barock, ganz selbstverständlich, dass der Alltag, auch der kirchliche Alltag ist Alltag, dass der von Kunst eingehüllt und umgeben war. Das hat sich im Laufe der letzten hundert, zweihundert Jahre ein bisschen verändert, Künstler sind etwas ins Abseits geraten, seit dem 19.Jahrhundert, wo man von Künstlern als der Bohème sprach. Oder von den modernen Künstlern, der frühen Moderne, wo ein Künstler wie Paul Klee sagte: "Uns trägt kein Volk"; das Gefühl, dass die Künstler in der Isolation existieren, und dass Vermittler, Kunsthistoriker, Redner usw., im Moment spiele ich ja auch diese Rolle, nötig sind, um die Kunst an heutige Menschen heranzutragen, das aber in der Regel nur für Gebildete, sogenannte Gebildete, möglich ist, dass also im Grunde die Kunst nicht mehr im täglichen, im normalen Leben verankert ist. Ich habe den Eindruck, dass wir in dieser Zeit, in diesen Jahren, Jahrzehnten ist schon zuviel gesagt, einen Umschwung erleben, dass die Kunst eine neue Funktion erhält, eine neue Funktion, die uns auf die Verschränkung mit ihr und die Kommunikation der Menschen untereinander verweist. Wir erleben es ja im Augenblick, dass wir hier zusammen sitzen anlässlich einer Kunstaktion, uns hier treffen und uns begegnen. Es kommt ja noch hinzu, das ist eine Sache, die mir heute noch eingefallen ist, als ich hörte, die Veranstaltung findet in der Kirche statt, dass sogar Kirchen, Geschäftsräume, Plätze usw. in diesen Dialog eintreten, und dass wir jetzt eine Kunst-Eröffnung veranstalten in einem Kirchenraum, ist mir meines Wissens auch noch bisher nicht begegnet, die findet normalerweise im Museum statt. Das sind aber Dinge, die wir bei diesem Projekt immer wieder erleben, wenn wir jetzt durch den Stadtteil gehen werden. Wir werden gleich einen Rundgang machen, Seien Sie nicht erschrocken, da sind nämlich plötzlich Werke, die in irgendeiner Form an Sie herantreten, weil die so verbunden sind mit der Situation. Da finden Sie Sandbänke, im Sinne des Wortes, Bänke, die auf Sand stehen, im Wasser, da finden Sie eine Hexentreppe, die erinnert daran, dass in Herford auch Hexen, Frauen und Mädchen, umgebracht worden sind, da finden Sie in dem ehemaligen Trachtenstübchen eine Gruppe, die damit beschäftigt ist, eine Buchdokumentation herzustellen, die während der Aktion erst entstehen wird, also eine Arbeit, gewissermaßen "live" produziert, und Sie sehen einen Minotaurus, eine Skulptur, da wo bisher keine Skulptur gestanden hat, sie sehen "Reizkörper", plötzlich Dinge, die Sie aus dem Alltag kennen, nämlich Heizungsinstallationen, umgedeutete Heizkörper als Skulpturen. Sie begegnen Fetzen, Stücken, Teilen aus dem Alltag, verändert, in neuer Sicht, in dieser Umgebung, und Sie werden feststellen, dass dieses Ganze visionär in diese Region hineingewirkt hat für die Szenerie, für den Zusammenhang, und für die Menschen, die dort aus- und eingehen. Ich bin mir sehr bewusst, dass dieses eine neue Form der Kommunikation der Kunst ist und dass ich dieses Erlebnis, das muss ich schon sagen, den Herfordern und den Radewigern verdanke, und ich danke ihnen auch für die bisherige Aktivität, und ich bedanke mich bei der Bürgerschaft, bei dem Bürgermeister, und ich bedanke mich bei der Bevölkerung und besonders bei dem Arbeitsteam, ohne das, diese Aktivitäten reine Vision, Phantasie, beim vierten Glas Wein geblieben wäre. Ich danke Ihnen.
Matthias Polster, dem wir die schwierige Organisation vor Ort verdanken, wird uns jetzt noch etwas erzählen über buchstäblich den Fortgang der Ereignisse.