Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Zu Fotografien von Wayne Quilliam

THE REAL STUFF- Die 5. Dimension

So nennt der Fotograf seine Ausstellung in Herford, Quartier Radewig. Realität und fünfte Dimension ? Wie passt das zusammen? So wenig und so viel wie Leere und Vision, das Ausstellungs- und Dialogunternehmen im Quartier Radewig in Herford, in dem fotografische Arbeiten von Wayne Quilliam gezeigt wurden. Sie stammen aus einem Raum, der schon geografisch am weitesten von uns entfernt ist Australien, der Kontinent an der uns gegenüber liegenden Seite der Erde, Down under.

Die Betrachtung dieser Bilder ermöglicht einen Dialog mit einer der Kulturen, die wohl gedanklich und existentiell ebenfalls am weitesten von uns entfernt ist, mit der Kultur und Lebensform der Aborigines, und das mit einer bildnerischen Methode, die aus unserem Kulturkreis und unserer Technik entwickelt wurde, der Fotografie, die seit vielen Jahrzehnten unser visuelles Weltverständnis dominiert.

Es sind fotografische Zeichen einer Kultur, die ihre Visionen aus der Leere entstehen lässt, der Leere eines Kontinents, dessen Fläche im Inneren zu mehr als 80% aus Wüste besteht, aus einer Wüste, die auf vielfältige und uns weit gehend verschlossene Weise belebt ist, die von Menschen durchwandert wird in fast rituell angelegten Walkabouts, welche einen subtilen, partnerschaftlichen Dialog, ein Zusammenspiel mit der Natur ermöglichen, einer Natur, die uns durch unsere technisch montierte Welt und durch die Sperrgitter der Medien immer stärker verloren gegangen ist.

Die Bedrohung der Kulturen und Lebensformen durch die Globalisierung, gegen die immer wieder philosophische Exkurse und Massen Demonstrationen antreten, bietet uns zugleich eine neue Chance der Verständigung, des

Dialogs der Völker und Kulturen, die einzig sinnvolle Alternative zu wechselseitiger Unterdrückung und Vernichtung. Die kritisierte und oft bekämpfte Globalisierung, welche bisher fast nur westlicher,

ökonomischer Strategie folgt, bietet uns als Gegenbild die Möglichkeit zu einem Dialog der Kulturen, welcher die lebendige Gegenseite zur wechselseitigen Zerstörung darstellt.

Quilliam zeigt Fotografien von Menschen, die von uns noch und immer wieder herablassend als Naturvölker bezeichnet werden, womit wir ihnen indirekt zugleich den Status der Kulturvölker absprechen. Es war diese Haltung, welche dem Kolonialismus die ideologische Grundlage gab und die in Verbindung mit kirchlichem, missionarischem Eifer vieles an andersartigem Menschentum und Kultur vernichtet hat. Diese historisch überholte und zerstörerische Haltung wollen wir ersetzen durch Respekt, Neugier und wechselseitiges Lernen. Der Künstler, Lehrer und Fotograf Wayne Quilliam, von dessen Arbeit wir hier einiges zeigen dürfen, hat sich dieses gewaltige Gespräch zur Lebensaufgabe gemacht.

Wir können bei diesem Gespräch das Staunen wieder lernen und den Zweifel an der naiven und gefährlichen Selbstverständlichkeit unseres Bildes der Welt.

Die Fixierung auf Technik, Wirtschaft und Kapital unseres westlichen Denkens hat unsere Verbindung zur Natur, zu unseren organischen, elementaren Gründen weit gehend zerstört. Durch den wechselseitigen Dialog der Kulturen kann dieser Zerstörungsprozess an Leben und Lebensraum vielleicht noch aufgehalten und in einen neuen Aufbau umgekehrt werden.

Die Kultur der Aborigines hat sich auch geografisch abgetrennt von den anderen Weltteilen und Kulturen seit über 50 000 Jahren entwickelt. Die Sprache dieser Kultur zu hören und wenigstens in Ansätzen zu verstehen bietet uns eine einzigartige Möglichkeit der Erweiterung unsersBewusstseins und unseres Handelns.

Dies sind nur einige Beispiele der subtilen und uns fremden kulturellen Entwicklungen:

Die Gestaltung der Songlines, einer Verbindung von Musik, Dichtung, Gesang mit der Erfassung und Strukturierung des Raumes, des fast unendlichen Raumes australischer Leere.

Die Verständigung durch eine Art von Telepathie über weite Strecken in einer Kultur des Hinhorchens und der Stille. Diese telegrafische Sprache funktioniert nur in vollständiger Offenheit und Harmonie der Menschen untereinander.

Eine wechselseitige, in unseren erstarrten Formen des Umgangs schon fast abgestorbene Verbindung mit der Natur, mit Erde, Wasser, Pflanzen und Tieren, mit klimatischen Veränderungen und Rhythmen, wie sie sich in der Lebensweise und der Kunst der Aborigines ausdrückt.

Ein organisches und selbstverständliches Leben mit der Kunst, das eine Einheit von Kunst und Leben darstellt.

Wayne Quilliam hat den Dialog der Kulturen begonnen, Fotograf und Lehrer, in Vorträgen, Ausstellungen, Seminaren. Er stellt er sich als Aborigin dem Gespräch und der wechselseitigen Ansprache mit dem einen neuen und technischen Auge, dem dritten Auge, der Fotografie.

Deutlich in seiner Bildwelt von ist die besondere Zeichenhaftigkeit der Bildsprache, ihre überformte Farbigkeit auch in den Schwarz-Weis-Bildern, in denen die Kontraste gesteigert sind, die Verbindung von Farbformen, Körper- und Landformen, die Weiterentwicklung aus der Körpermalerei in eine chemische, fotografische Malerei, die Verbindung von Körperkunst im Tanz mit der grafischen Kunst der Fläche, das Aufgehen der Körper in Erde und Staub. In der Körpermalerei taucht oft weiße Erde und Asche auf , welche die Haut in Erde zurückverwandelt, verbunden mit roter Erde, Tierhaaren und Federn. Eine starke Ornamentik entsteht. Die in einzelnen Flächen feinkörnige, punktierte Körpermalerei findet ihre Entsprechung in der neueren Malerei der Aborigines, der Tier und Naturdarstellung in enger Verschränkung. Handspuren in dichten Griffen immer wieder auf der Haut wie ein Gewebe, Kalk und Asche verdecken Gesichter, machen den Kopf zur Maske, verwandeln ihn zurück zur Erde, aus der er gekommen ist und mit der er immer wieder die Verbindung sucht im Tanz und im Bild.

Wayne Quilliams Fotografie kommt wie er selbst aus der Welt und der Kultur der Aborigines. Als künstlerisch geborener Mensch hat er sich die fotografische Technik in eigenwilliger Weise angeeignet. Dabei verwendet er die Schwarz-Weiß-Töne wie Farben, wie weiße Farbe auf schwarzen Körpern. Seine Farbfotografie wird eine oft monochrome und oft grelle kontrastreiche Körpermalerei, zuweilen verschoben durch Solarisation und chemisch-organische Überformung.

Nur auf den ersten Blick sind seine Bilder nur das, was sie zu sein scheinen, Köpfe, Figuren, Landschaften, Tänze, sie folgen darüber hinaus in einer zweiten Sinnschicht der sehr alten Kultur einer Bildsprache, die urtümlich Geschichten erzählt, der in einer Kultur, welche die Schrift nie gekannt hat, die statt mit der Schrift in Bildern berichtet, die in Zeichen und Symbolen immer neu und Neues über die Verbindung von Mensch und Tier, von Landschaft und Figur, von Gestein und organischem Leben berichtet, die Räume ausmisst und darstellt in ihrer Musik und Geschichte für Generationen festhält in Liedern. So macht auch der Fotograf Quilliam Schöpfung und Geschichte immer wieder zum Thema seiner Bilder.

So wie in der Bemalung der Körper sich Erde, Wasser, Kalk und Sand mit Haut, Haar und Schweiß mischen, so verbinden sich in vielen Bildern Körper und Figuren mit Land, Fels und Boden.

Das im westlichen Denken fast vergessene Gefühl der Verschränkung von Natur und Mensch wird in der fotografischen Kunst von Quilliam zum immer wieder variierten Thema. Baumstücke ragen in den Himmel wie Reste von Menschen, die sich neu erheben, Körper verschwimmen in Schlamm und rissigem Boden, als wollte sie zurück in die zerrissene Erde - oder auch,als würden sie neu aus Schlamm geformt und zum Leben erweckt, wie in der biblischen Schöpfung oder der sündigen Kreation des Prometheus, der Zeus zum Ärger die Menschen formte, Geschichten, die im Mythos der Aborigines in ihrer mehr als 50 000 jährigen Eigenständigkeit nicht vorkommen können und doch in unergründlichen Bewusstseinstiefen parallel mit unseren Schöpfungsmythen geformt wurden.

Wie scharf und hell umrandete Tätowierungen erscheinen einige solarisierte Farbbilder, welche die dargestellte Figur verwandeln in Maske und Kontur.

Eine breiten Raum und viele Flächen in der Arbeit des Fotografen nimmt die Übersetzung von bewegten Tanzszenen in grafische Formen ein. Der Tanz der Aborigines ist eine Kunst der ständigen Verbindung von Mensch und Natur in Zeit, Ton und Raum. Die Erde legt sich auf die Körper und die Körper bringen die Erde zum Zittern, im Staub der Wüste verwischen sich menschliche Figuren, welche sich zugleich Tierformen anverwandeln, mit Erdwolken, Sand und Dunst.

Didg-Garo-doo, das lang gezogene Rohr, aus dem die Töne quellen wie Stimmen aus der Tiefe der Erde und den Geistern der Tiere, dieses Musikwesen wird auf den Bildern zum Teil der menschlichen Körper, der aus dem Munde wächst, zum dritten Arm und Bein sich streckt und Ur Töne hervorbringt.

Es ist diese Welt von der anderen Seite der Erde, die uns lehren kann, dass es mehr und andere Zugänge zur Natur und zur Welt gibt als Wissenschaft und Technik, und dass wir gemeinsam überleben können im ständigen Gespräch, im Lernen von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk und über die Grenzen und Kontinente hinweg.

 

 

 

Bilder von Wayne Quiliam:

http://www.aboriginalphotogallery.com/index3.html

vertreten durch:

http://www.brits-art.com/start.html

 

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