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Publius Ovidius Naso
 
Metamorphoses
Liber VI, 313-381
Übersetzung von Johann Heinrich Voß, 1798
Verwandlungen - Die Frösche
 
Bilder: Annette Bültmann

Tum vero cuncti manifestam numinis iram
femina virque timent cultuque inpensius omnes
magna gemelliparae venerantur numina divae;
utque fit, a facto propiore priora renarrant.
e quibus unus ait: 'Lyciae quoque fertilis agris
non inpune deam veteres sprevere coloni.
res obscura quidem est ignobilitate virorum,
mira tamen: vidi praesens stagnumque locumque
prodigio notum. nam me iam grandior aevo
inpatiensque viae genitor deducere lectos
iusserat inde boves gentisque illius eunti
ipse ducem dederat, cum quo dum pascua lustro,
ecce lacu medio sacrorum nigra favilla
ara vetus stabat tremulis circumdata cannis.
restitit et pavido "faveas mihi!" murmure dixit
dux meus, et simili "faveas!" ego murmure dixi.
Naiadum Faunine foret tamen ara rogabam
indigenaene, dei, cum talia rettulit hospes:

Habet ihr Lust und Weile, so höret mich. Eine Geschichte
Weiß ich aus älterer Zeit: wie in Lycias fruchtbaren Äckern
Nicht ungestraft die Latona verachteten Bauern der Vorwelt.
Zwar ist dunkel die Tat, wie selbst die Männer; allein doch
Wunderbar. Ich sah in Person den sumpfigen Weiher,
Wo das Wunder geschah. Denn mein schon alternder Vater,
Schwach für weitere Wege, befahl mir, ihm die erlesnen
Rinder daher zu holen; und gab mir einen Geleiter
Mit aus dem Lyciervolk. Da zugleich wir die Triften umwandeln;
Denkt doch! mitten im See, von Opferasche geschwärzet,
Stand ein alter Altar, umgrünt von zitterndem Rohre.
Stehen blieb der Gefährt', und: Gnade mir! flüstert' er ängstlich
Gegen den See; und sogleich: o Gnade mir! flüstert' ich selber.
Ist der Altar der Najaden? so fraget' ich; oder des Faunus?
Oder des örtlichen Gottes? Zur Antwort sagte der Fremdling:

"non hac, o iuvenis, montanum numen in ara est;
illa suam vocat hanc, cui quondam regia coniunx
orbem interdixit, quam vix erratica Delos
orantem accepit tum, cum levis insula nabat;
illic incumbens cum Palladis arbore palmae
edidit invita geminos Latona noverca.
hinc quoque Iunonem fugisse puerpera fertur
inque suo portasse sinu, duo numina, natos.
iamque Chimaeriferae, cum sol gravis ureret arva,
finibus in Lyciae longo dea fessa labore
sidereo siccata sitim collegit ab aestu,
uberaque ebiberant avidi lactantia nati.

Nein, nicht wohnet, o Jüngling, ein Berggott hier im Altare.
Jene nennt ihn den ihren, der einst die Königin Juno
Ganz die Erde verbot, der kaum die irrende Delos
Gab die erbetene Ruh', als leicht noch die Insel umherschwamm.
Dort, an die Palme gelehnt, und den Baum der Pallas, genas sie,
Der Stiefmutter zum Trotz, von Zwillingen endlich, Latona.
Dort auch entfloh, wie man sagt, die Gebärerin ängstlich vor Juno,
Tragend im eigenen Busen die neugeborenen Götter.
Schon in das Land der Chimära, in Lycia kam sie, von langer
Arbeit matt, da die Sonne mit Glut anstrahlte die Fluren;
Und sie lechzte vor Durst in der dörrenden Flamme des Himmels;
Auch war die Brust ihr erschöpft von den gierig saugenden Kindern.

forte lacum mediocris aquae prospexit in imis
vallibus; agrestes illic fruticosa legebant
vimina cum iuncis gratamque paludibus ulvam;
accessit positoque genu Titania terram
pressit, ut hauriret gelidos potura liquores.
rustica turba vetat; dea sic adfata vetantis:

Jetzo traf sie den Teich von besserer Flut in des Tales
Niedrungen: wo Landleute sich staudende Reiser zum Flechten
Sammelten, Binsen zugleich, und klobige Schilfe des Sumpfes.
Näher ging die Titanin, und senkend das Knie auf die Erde,
Neigte sie sich, zu schöpfen den Trunk des kühlen Gewässers.
Aber der ländliche Haufen verbot. Drauf sagte die Göttin:

'quid prohibetis aquis? usus communis aquarum est.
nec solem proprium natura nec aera fecit
nec tenues undas: ad publica munera veni;
quae tamen ut detis, supplex peto. non ego nostros
abluere hic artus lassataque membra parabam,
sed relevare sitim. caret os umore loquentis,
et fauces arent, vixque est via vocis in illis.
haustus aquae mihi nectar erit, vitamque fatebor
accepisse simul: vitam dederitis in unda.
hi quoque vos moveant, qui nostro bracchia tendunt
parva sinu,' et casu tendebant bracchia nati.

Warum Wasser verwehrt? Zu aller Gebrauch ist das Wasser!
Eigen erschuf nicht Luft die Natur, noch eigen die Sonne,
Oder die lautere Flut! Am Gemeingut nehm' ich nur Anteil!
Dennoch erfleh' ich solches zur Gabe mir! Nicht ja gedacht' ich
Hier zu baden den Leib, und die abgematteten Glieder;
Sondern den Durst zu kühlen! Mit fehlt schon Feuchte zum Reden;
Trocken ist Zung' und Kehle; ja kaum noch lautet die Stimme!
Wassertrunk wird Nektar mir sein! Ja, das Leben verdank' ich
Euch mit dem Trunke zugleich; ihr gewährt mir Leben im Wasser!
Werdet durch diese gerührt, die hier im Busen die Händchen
Strecken nach euch! Und es traf sich, die Kindelein streckten die Hände.

quem non blanda deae potuissent verba movere?
hi tamen orantem perstant prohibere minasque,
ni procul abscedat, conviciaque insuper addunt.
nec satis est, ipsos etiam pedibusque manuque
turbavere lacus imoque e gurgite mollem
huc illuc limum saltu movere maligno.

Wen nicht hätten gerührt die schmeichelnden Worte der Göttin?
Dennoch bestehn sie zu hemmen die Bittende; Drohungen endlich,
Wo nicht fern sie entweiche, mit schmähender Lästerung fügt man.
Noch nicht genug: ihn selber umher mit Händen und Füßen
Machen sie trübe den Teich; und tief aufwühlend vom Grunde,
Regen sie weichen Morast ringsum mit neidischen Sprüngen.

distulit ira sitim; neque enim iam filia Coei
supplicat indignis nec dicere sustinet ultra
verba minora dea tollensque ad sidera palmas
'aeternum stagno' dixit 'vivatis in isto!'

Unmut täubte den Durst; nicht mag die Tochter des Cöus
Noch Unwürdigen flehn; es verdrießt, noch länger zu reden
Worte, der Göttin zu klein; und die Händ' aufhebend zum Himmel:
Lebt denn, sagte sie, ewig hinfort in jenem Gesümpfe!

eveniunt optata deae: iuvat esse sub undis
et modo tota cava submergere membra palude,
nunc proferre caput, summo modo gurgite nare,
saepe super ripam stagni consistere, saepe
in gelidos resilire lacus, sed nunc quoque turpes
litibus exercent linguas pulsoque pudore,
quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant.
vox quoque iam rauca est, inflataque colla tumescunt,
ipsaque dilatant patulos convicia rictus;
terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,
limosoque novae saliunt in gurgite ranae."'

Schnell war Tat, was die Göttin gewünscht. In die Fluten zu springen,
Freut sie und bald ganz unter den Pfuhl zu tauchen die Glieder,
Bald zu erheben das Haupt, und bald auf der Fläche zu schwimmen;
Oft sich über dem Bord zu sonnen am Sumpf, und hinab dann
Wieder zu plumpen in kühlende Flut. Noch jetzo beständig
Gellt von Zank die schmähliche Zung'; und der Schande nicht achtend,
Ob sie die Flut auch bedeckt, auch bedeckt noch schimpfen sie kecklich.
Selber der Ruf tönt rauh, und es schwillt der geblähete Hals auf,
Und viel weiter noch sperrt den gedehneten Rachen die Schmähung.
Schulter und Haupt sind gesellt, und scheinen den Hals zu verdrängen,
Grünlich gefärbt ist der Rücken, der groß vorragende Bauch weiß.
Jugendlich hüpfen herum im morastigen Sumpfe die Fröschlein.