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Treffen im Quartier Radewig
Mitschnitt und Montage: Annette Bültmann
Fotos: R. Hoffmann, J. Boström, A. Bültmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am 20.4.2002 fand ein erstes Treffen zur "Leere und Vision" in Herford im Stadtviertel Radewig, in der Kunstwelt am Gänsemarkt, statt.

Einer Führung durch das Viertel schlossen sich Vorträge zur geplanten Ausstellung und eine Diskussion der Möglichkeiten, und des bisherigen Standes der Planung des Projekts, durch Veranstalter und Gäste an. Es sprachen Hanns-Joachim Brinkmann, Manfred Bischoff und Prof. Jörg Boström.

Hanns-Joachim Brinkmann:
"
Mein Name ist Hanns-Joachim Brinkmann, ich bin Mitglied des Arbeitskreises, der Ihnen die Einladung geschickt hat zum heutigen Nachmittag, und gleichzeitig Vorsitzender der Gemeinschaft Radewig. Ich finde es ganz toll, dass Sie zu uns gekommen sind, zu dem Platz, an dem in Herford zum ersten Mal gehandelt wurde. Es gab jahrhunderte lang ein Fernwegekreuz zwischen Soest und Minden, und Hameln, Osnabrück, das war genau dieser Punkt hier, die Radewig. Ich hoffe, Sie haben in einem kleinen Rundgang etwas von unserem schönen Stadtteil kennen gelernt , wir sind ganz stolz auf unseren Stadtteil Radewig, die Radewiger haben schon immer gehandelt, und handeln wieder, und wir freuen uns, dass wir jetzt in dem Spannungsfeld zwischen MARTa und Daniel-Pöppelmann-Haus hier etwas auf den Weg bringen können.

Und an dem Projekt sind beteiligt ganz besonders unser Professor Jörg Boström, den Sie alle bestens kennen wahrscheinlich, dann Manfred Bischoff, der noch etwas sagen wird heute zum Projekt Spannungsfeld MARTa - Daniel Pöppelmann, und natürlich Hans Koch, Hans Koch steht da hinten, und wenn wir Namen nicht wissen, haben wir extra so kleine Schildchen, da können wir uns gegenseitig bekannt machen. Ganz besonders danken möchte ich eigentlich den heutigen Sponsoren, die für Getränke, Brot und Wein gesorgt haben."

Manfred Bischoff:
"Ihr habt gemerkt, mit welcher Begeisterung Herr Brinkmann Euch begrüßt hat, und diese Begeisterung hat auch mich angesteckt, mein Name ist Manfred Bischoff, und ich koordiniere die Öffentlichkeitsarbeit des Museums MARTa Herford im Auftrage der Pro Herford Marketing Gesellschaft, und in dieser Funktion bin ich auch heute hier, aber in Wirklichkeit, sag ich Euch, bin ich hier, weil es um die Kunst geht.
Egal, was auch immer, es geht hier um die Kunst, und es geht darum, dass Künstlerinnen und Künstler eingeladen wurden von uns, mit ihren Augen, mit ihren Händen und ihren Füssen, die Radewig zu begehen, anzufassen, anzuschauen und Visionen zu entwickeln, nämlich die Leere hat auch eine Chance.
Mit MARTa, dem Beschluss, das Museum MARTa, das Kommunikationszentrum MARTa, es ist ja mehr als ein Museum, es sind auch die Verbände der Holzindustrie und andere dort untergebracht, werden untergebracht werden, hat auch eine neue Zeitrechnung in Herford begonnen, ich glaube, das kann man so sagen; und die Tatsache, dass wir jetzt hier stehen gemeinsam, ist Ausdruck von MARTa.
Die Radewiger, Herr Brinkmann, Herr Koch, und andere, die jetzt hier sind, Geschäftsleute, die haben sehr schnell erkannt, das ist auch für uns eine Chance.
Wenn wir diese Chance nicht nutzen, diese Nähe zur MARTa, und diese Nähe zu den Menschen, die sich für Kunst interessieren, die aus ganz Deutschland kommen werden, Ende nächsten Jahres, um den Gehry-Bau zu bewundern, und um dem genialen Ausstellungsmacher Jan Hoet bei seiner Arbeit zuzuschauen, wenn es uns nicht gelingt, diese Menschen auch hier in die Radewig zu bekommen, dann haben wir eine Riesenchance vertan."

"Es gab vor Jahren schon mal Diskussionen, in leer stehenden Geschäften was zu machen, und zu gucken, was passiert dann, jetzt endlich sind die Geschäftsleute und die Inhaberinnen und Inhaber überzeugt, zu sagen, ja, wir wollen mit Euch Künstlerinnen und Künstlern etwas machen."

Jörg Boström:
"Wenn ich an dieses Projekt denke, dann fällt mir immer, und jetzt muss ich es loswerden, ein Schauspieler ein, ein Engländer, der heißt Alec Guiness, und der spielt so einen Künstler, in einem Film, dessen Namen ich vergessen habe; da geht er durch die Gegend, und sieht eine freie Fläche, und dann sagt er "A Wall!" Das heißt, alles Leere fasziniert, und diesen verrückten Künstler spielt er, und der Guiness ist nicht ganz so verrückt; ich bin nicht so ein guter Schauspieler, aber wenn ich durch die Gegend gehe hier in der Radewig, und ich sehe ein leeres Schaufenster, ich sehe leere Räume, ich sehe Menschen, die früher mal an Schuhgeschäften vorbeigingen, an allen möglichen Läden, und die Läden sind inzwischen leer, dann denke ich "Verdammt noch mal, wo bleibt die Kunst?"

Wir selber, jetzt sage ich mal "wir Künstler", können nicht leben ohne Kunst, wir brauchen sie; die meisten Bürger haben es aber noch nicht so recht begriffen, dass es ohne Kunst kein Leben gibt. So dass die Kunst in unserer Gesellschaft eine merkwürdige Situation vorfindet; es gibt reichlich Kunst, es gibt reichlich Künstler, es gibt sehr gute Künstler; es gibt einerseits die Mausoleen, so haben wir sie früher genannt, heute nennt man sie Museen, da atmet die Kunst dann vorsichtig still vor sich hin, für ein speziell ausgewähltes Publikum, und dann gibt es die Galerien, die Galerien auf der höchsten Ebene des Kunstmarkts, die fangen so an mit Preisen von 50.000 E aufwärts, die bewegen nur Leute, die in der Lage sind, soviel Geld auch wirklich auszugeben, also wiederum eine ganz andere Schiene; da gibt es die Literatur, da gibt es die Presse; aber es gibt nicht die aktuelle, junge, moderne Kunst, in der Szene, in der Stadt, im Entstehen. Die wenigen Galerien, die das versuchen, haben die größten Schwierigkeiten, weil die Kommunikation eben zwischen den aktuellen Künstlern und den Bürgern nicht so funktioniert, wie ich denke, wie man es organisieren sollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und jetzt kommt eben für Herford, aber auch für andere Städte (was wir hier treiben, ist Modell auch für andere Städte) die Situation, dass eine Leere entstanden ist, durch ein Übermaß an Konsum, ein Übermaß an Angebot. Wir wissen das alle, wie das ist, wenn man durch ein Kaufhaus geht, und man will eine Thermoskanne kaufen, und dann latscht man an 50 Thermoskannen vorbei und ist garantiert oder fast der einzige Kunde. Oder man sucht nach Kühlschränken oder Waschmaschinen, dann läuft man auch durch die großen Gänge und ist wiederum fast allein im Angebot.

Also, die Sache ist so, dass wir in unserer Gesellschaft einen Konsum haben, der zu hoch gefahren ist, und das rächt sich natürlich; inzwischen fahren die Geschäfte ihre Angebote zurück, aus Kommunikations- und vor allen Dingen aus Kommerzgründen. Ich will nicht sagen, dass jetzt der Künstler in diese Bresche springen muss, aber ich will sagen, dass diese Isolation der Künstler durch diese Leere aufzubrechen ist. Und was wir heute erleben, ist ja so etwas ähnliches, dass Leute, die sich lange nicht gesehen haben, miteinander reden, und es gibt natürlich diese Vorstellung - mir schwebt vor, diese Radewig für einen Herbst, aber nicht nur einen, sondern den nächsten und den übernächsten und wiederum den übernächsten, zu einer Kunstbühne zu machen, und diese Möglichkeit besteht aufgrund der veränderten Stadtstruktur und aufgrund der künstlerischen Energie, die, im wesentlichen unausgeschöpft, in den einzelnen Ateliers arbeitet, aber auch in der Isolation, vergleichbar der Isolation der großen Museen und der Galerien.

Also, dieser Zwischenraum bringt uns in eine neue Situation.

Lokal äußert sich das hier ganz deutlich: wir haben den Kunstverein, wir haben ein Pöppelmann-Haus. Der Kunstverein hat ein klassisches modernes Konzept, d.h. alle Künstler, die der Kunstverein bisher ausgestellt hat, die kenne ich aus meiner Studentenzeit, da war ich ganz begeistert von Schumacher, Vasarely usw. usw., das Programm ist im Grunde eine Wunscherfüllung der gebildeten Leute, die sich gewissermaßen mit Bildung weiter umgeben, und wer nicht da ist, das sind die Künstler der Szene. Die MARTa, ich will das nicht vorwegnehmen, aber eindeutig ist MARTa ein auf internationale Kunst konzentriertes Unternehmen, das muss auch wohl so sein, aber wieder entsteht zwischen der klassischen Moderne des Kunstvereins und dem international orientierten Konzept der MARTa, dieses Vakuum, und das, denke ich, könnten wir mit den hier lebenden, aber auch mit den überregionalen Künstlern in ihrer Intensität füllen.

Ich gehe mal davon aus, wenn ich das ein bisschen auf die Spitze treiben kann, dass der Gänsemarkt für kurze Zeit mal auch ein Kunstmarkt werden könnte, und der Höker, das ist die alte Bezeichnung für den Händler, könnte mal vielleicht dazu übergehen, auch Kunst zu verhökern."

"Wir wollen aber jetzt schon einen Schritt weitergehen, und nicht allgemein über Konzepte reden, sondern wir wollen die auch wirklich festklopfen. Um es kurz zu machen: Ein Katalog ist geplant, das hatten Herr Bischoff und Herr Brinkmann ja schon gesagt, das bedeutet aber auch, dass man den auch ganz schnell machen muss, damit er zum Herbst fertig wird. Es kann nicht so gehen, dass wir, wenn die Aktion im Herbst läuft, anfangen Material zu sammeln, um dann um dann einen Katalog zu machen, der kommt dann auf den Weihnachtsmarkt. Der kommt natürlich zu spät. Sondern wir müssen das konzeptionelle dieses Verfahrens durch den Katalog bereits artikulieren."

"Nun würde ich sagen, wir sollten jetzt nicht mehr weiterhin per Einbahnstrassen Kommunikation verfahren, sondern wir sollten vielleicht schon Stellung nehmen und ich würde Euch bitten, mal vielleicht was dazu zu sagen, was funktioniert, welche Vorstellungen da sind; das, was ich jetzt erzählt habe, sind meine Phantasien. So nach dem Motto: der Prophet geht zum Berg, wenn der Berg nicht kommt."

Frage aus dem Publikum:
"Also, zuerst sollte für diejenigen, die nicht direkt hier von Herford kommen, sollte vielleicht noch einmal gesagt werden, wie viele Geschäfte denn jetzt meinetwegen als Schaufenster zur Verfügung stehen?"

Hanns-Joachim Brinkmann:
"Vielleicht kann ich da was sagen, also wir gehen zur Zeit von etwa einem Dutzend aus, aber, ein Ziel ist ja klar, wir hier auf der Radewig freuen uns über jedes Geschäft, das nicht leer steht, das heißt also, das ist das Spannende eigentlich an der Aktion, letzte Woche haben wir uns noch Geschäfte angeguckt, heute wissen wir, dass eins von den Geschäften vermietet wird, und, total interessanterweise, zum Bereich Künstlerbedarf.
Das heißt also, ein Geschäft weniger, das leer steht, das ist für uns schon ein Erfolg. D.h., anders herum, es kann uns passieren, dass im Oktober, wenn wir das machen, das Projekt Leere und Vision durchführen, dass alle Radewiger Geschäfte vermietet sind, und dann werden wir wahrscheinlich einen Radewiger Verdienstorden bekommen."

Jörg Boström:
"Das darf auf keinen Fall bedeuten, dann wäre ja die Idee im Grunde nichts weiter als eine Promotion Idee für die Vermietung von Geschäften, das darf nicht bedeuten, dass dann dieses Projekt nicht verwirklicht wird, "der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen", sondern diese Geschäfte werden, da gehe ich von aus, diese Kommunikation, die ja so nützlich war, weiterhin betreiben. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass Bilder nur für sich alleine in einem leer stehenden Raum hängen und vor sich hin stöhnen, sondern sie können auch in Verbindung treten mit der Atmosphäre eines Cafés, mit der Atmosphäre eines Textilladens, mit der Atmosphäre eines Schuhgeschäfts, mit der Atmosphäre usw. Und wenn es ein Künstlerartikelladen in dem Falle ist, könnte ich mir vorstellen, dass es vielleicht interessanter ist, in einen Laden zu gehen, in dem man nicht nur Pinsel und Farben sieht, sondern auch Produkte die mit solchen Materialien gestaltet werden."

Gerd Fleischmann:

"Wenn ich mir vorstelle, dass Künstler Ende Mai Material abgeben, dann hat das im Oktober soo einen Bart, und ist grau bis zum Geht-nicht-mehr. Warum will man die Dualität des Titels nicht benutzen, jetzt ein Prozess-Objekt zu machen, das die Leere zeigt, die Möglichkeiten zeigt, und als Ergebnis die Vision.
Und wenn das Projekt, die Aktion, im Herbst zwei Wochen dauert, dann kann man sich doch anstrengen, innerhalb dieser zwei Wochen die Dokumentation vom ersten Tag bis zum letzten fertig zu haben, gedruckt, gebunden und im Internet.
Es würde mich schrecklich langweilen, im Herbst ein Objekt kaufen zu müssen, oder gar geschenkt zu bekommen, das Leute Ende Mai gemacht haben, während sich hier das Leben bewegt hat. Ich erinnere nur an die Kunstgeschichte. Das Ganze hat auch etwas von Performance, von Happening."

Jörg Boström:
"Ich wollte mal gerne klatschen, weil ich weiß, Gerd, dass Du jemand bist, der dazu in der Lage ist, diese Sachen spontan zu gestalten."

Sabine Hoppe:
"Wir haben ja diesen Rundgang gemacht, und ich bin nicht aus Herford, komme aus
Braunschweig hierher, habe mir das erstmal angesehen, und habe ein paar leerstehende Häuser gesehen, oder leerstehende Läden; wer zuerst kommt, malt zuerst? Kann man sagen, ich würde gerne da und dort ausstellen, was ist mit dem öffentlichen Raum? Ist das auch möglich, in dem öffentlichen Raum, in der Fußgängerzone selber, auszustellen?"

Jörg Boström:
"Es gibt für die Bildhauerei im öffentlichen Raum natürlich das Dilemma, dass das eine kostenintensive und
an einen Auftrag gebundene Sache ist. Was aber nicht ausschließt, dass man Vorschläge macht."

Hanns-Joachim Brinkmann:
"Es geht ja nicht nur um Schaufenster, es geht nicht nur um Präsentation in den Läden, sondern es geht uns auch um Präsentation im öffentlichen Raum; wir haben sehr viel Wände gesehen- es geht um eine Kunstinstallation im gesamten Quartier."