Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Datum:
Sun, 5 May 2002 14:18:51 +0200 (MEST)
Von:
joerg bostroem <jbostroem@gmx.de>
An:
virtual-museum@gmx.de

 

 

Gestern - Samstag 4.5.2002 bei MARTa

Ein schwarzes Loch
Sie treffen zuerst die Kunst - die Maßnahmen zur Wiederherstellung der "alten" Ordnung. Durch das gezielte, massenhafte Töten von Lehrern in Erfurt aus den Fugen geraten, schlägt gesellschaftliche Macht auf alles ein, was sich mit dem Töten beschäftigt, - mit Ausnahme des Militärs, der Jagd- und Schützenvereine, der Waffentechnologie, des Waffenhandels und der Waffenexports, der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, dem Pistolenkult in Fernsehserien - übrig bleibt fast nur noch die Kunst, nichts wie drauf - Gewalt und Gegengewalt. In einer Gesellschaft, die eine römische Folterszene aus dem Jahre 30 zur Andachtsikone erkoren hat, welche in Klassenzimmern, Gerichtssälen und an den Hälsen junger Frauen hängt, wird das Werk eines Künstlers verhängt, der Folter, Satanismus, Selbstverstümmelung und rituellen Mord heute, genauer gestern in Herford im MARTa zur Anschauung bringt, und das mit den modernen Mitteln, der Medienmontage - Bjarne Melgaard, seine schwarze Kunst wurde geschwärzt, angeschwärzt. Auf Druck der Staatsanwaltschaft und der Polizei haben die Ausstellungsorganisatoren der Museums GmbH die Eröffnung seiner Ausstellung BLACK LOW abgesagt. Kunst soll in Schönheit schweigen, das Grausen der Fakten findet in der Presse statt, und im TV. Der Paragraph 131 des StGB droht mit Bestrafung von "Verherrlichung oder Verharmlosung" von Gewalt, nicht aber "wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient".
Die Arbeiten von Melgaard aber lehren uns das Grausen, wenn es uns noch nicht schon vorher gepackt haben sollte. Beim Betrachten seiner Montagen aus Internetszenen erwürgter, geschlitzter, durchschnittener Körper, im Erstickungs- und Foltertod verzerrter Gesichter und Leiber, seiner wie in Eingeweiden wühlenden Farbbahnen und Linien, die sich zu qualvollen Figurationen formen, wird die schwarze Tiefe dessen deutlich, was Menschen mit Menschen anstellen, wenn man es ihnen erlaubt, im Krieg von Bosnien und im Kosovo, in Gefängnissen, außerhalb öffentlicher Kontrollen, in den Löchern sozialer Ketten satanistischer Rituale. Solche Bilder über Folterszenen in staatlichen Gefängnissen fehlen uns in der Berichterstattung z.B. von Amnesty International, wir lesen nur bedrückt ihre Zahlen und sehen die verheilten Wunden. Vom Entsetzlichen der schwarzen Szene ist gelegentlich die Rede, man sieht die geschminkten Figuren im Gerichtssaal, bei Melgaard ist diese Unwelt Bild geworden. Bilder greifen an und der Bürger duckt sich, schickt nach vorn die Polizei. Zuletzt kann die Kunst offenbar doch etwas bewegen, und sei es "nur" den Menschen, der sich auf sie einlässt, aber auch den, der zurückzuckt. Davor will die Macht der Verwaltung bürgerlicher Idylle in Herford uns bewahren. "Die Vorschrift", heißt es im Kommentar, "schützt den öffentlichen Frieden." Nur keine Auseinandersetzungen, keine Diskussion - Stille - der Frieden wird hier aufgefasst als eine Art von geistigem Tod zu Lebzeiten.

Herford, 2002-05-05
Jörg Boström

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