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Im Kunstverein Schloss Wrodow

bei Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern

Joseph-Beuys-Weg 1

 

Wo ich bin, ist Akademie

Hommage an Joseph Beuys zum 80. Geburtstag

15. September 2001

 

 

 

Stephan Büschel

Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Kreativität.

Beuys und Mozart im Schloss Wrodow

"...wollen uns hier zusammen eine Suppe einbrocken und sehen, wie wir sie auch gemeinsam wieder auslöffeln", eröffnete Sylvester Antony am Sonnabend auf Schloss Wrodow eine eigenwillige Folge von Veranstaltungen und Ausstellungen.

Das hier ist Kunst? Eine besondere Sorte Kunst. Man kann mitdenken.

Wenn man will.

Sylvester Antony, einer der Hausherren im Wrodower Schloss, hat Thesen an den inzwischen zur Ausstellungshalle gewandelten einstigen Bullenstall gehängt. Es sind keine 95 wie weiland Luthers, und sie haben einen Aufruhr schon hinter sich. 1972 war ihr Verfasser, Joseph Beuys, aus seiner Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie fristlos entlassen worden, nachdem er ab 1967 in rasanten Schritten versucht hatte, den sterilen Akademiebetrieb zu öffnen und damit besonders unter seinen Kollegen heftige Konfrontationen ausgelöst hatte.

 

Die Entscheidung des damals jungen Wissenschaftsministers Johannes Rau wurde 1978 per Gerichtsentscheid annulliert und endete in einem Kompromiss. Geblieben sind, neben Beuys´ eigenen Werken (die ihn schon zu Lebzeiten zu einem der reichsten Künstler gemacht haben), zahllose Geschichten über Beuys und seine Auffassungen von Kunst als einem wesentlich sozialen ästhetischen Prozess. Im Mai wäre der 1986 Gestorbene 80 Jahre alt geworden, am Sonnabend wurde in Wrodow mit einer umfassenden Beuys-Ehrung ein erneutes Nachdenken über seine Thesen eingeläutet.

Ist das alles richtig? Entspricht es Euren Sehnsüchten?

Nicht wirklich mit Glocken, natürlich, sondern mit den archaischen Klängen eines Alphorns, die Theo Vadersen (ein Pseudonym des in Neubrandenburg aufgewachsenen Schauspielers) nutzte, um die Neugierigen zur szenischen Lesung in den Kuhstall zu locken. "Joseph, was sitzt du so still", eine Collage von Beuys-Texten, war so mit "Erklärungen-was-ich-damit-meine" gespickt, dass auch die Frage "Joseph, ach Joseph, was bist Du so keusch..." gestimmt hätte. Aber die Chance des Publikums war ja das gemeinsame Auslöffeln der Suppe, die nicht nur symbolisch, sondern auch im mit Linsen gefüllten Topf köchelte und Zuspruch fand.

Kreativität gibt es nur da, wo Freiheit ist.

Als Beuys 1961 an die Düsseldorfer Akademie berufen wurde, hatte Jörg Boström dort gerade sein Studium beendet. Neben seiner späteren Arbeit als Kunsterzieher beschäftigte sich der junge Maler intensiv mit Fotografie, und als Beuys seinen offenen Akademiebetrieb inszenierte, war Jörg Boström mit einer kleinen Leica dabei. Aus der Faszination der Figur, die Beuys damals aus sich formte, und der Räume, die sich dabei öffneten und mit Leben füllten, entstanden hunderte Negative. Vor ein paar Jahren hat der heutige Professor, Maler und Fotograf Boström das Material neu gesichtet und für ein Zeitsprung-Projekt zu einer faszinierenden Ausstellung geordnet. Boström hat ohnehin für seine Fotografie ein eigenwilliges Verhältnis zu Licht und Dunkel, vielleicht rührt aus seiner Malergeschichte dazu noch eine besondere Neigung zu den stofflichen Qualitäten des Abgebildeten und zu den Spannungen, die Körper in einem Raum erzeugen. Die geradezu mit Wollust über die Körnigkeitsgrenze hinaus vergrösserten Bilder der Ausstellung in Wrodow strahlen nicht nur die Energie der Beuys´schen Aktionen aus, sondern auch Fassungslosigkeit und Faszination, die sich bis heute erhalten haben.

Auf den Wärmecharakter im Denken kommt es an. Das ist die neue Qualität des Willens.

Auf diese Faszination setzt Sylvester Antony, wenn er sagt, er erhoffe sich vor allem aus dem Osten Deutschlands ein gerechteres Gegenbild zur heutigen Gesellschaft. "Wrodow ist ein Ort, von dem aus eine neue biosoziale Skulptur als warme Plastik entstehen kann. Im Sinne Beuys´ ist da nichts Statisches gemeint, sondern etwas dynamisches, formbares von konvulsiver Schönheit".

 

Der Tag klang aus mit, na?

Mit Mozart. Don Giovanni. Auf italienisch. Reich mir die Hand... Wer hätte gedacht, dass das geht. Es war vortrefflich. (Berliner Mozart Ensemble mit einer Inszenierung von Sandra Leupold und lauter jungen tollen Sängern.) Und ein alter Bullenstall tut´s manchmal auch.

 

 

Fotografien : Jörg Boström