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Zur Eröffnung der Mode-Werkschau des Fachbereichs Gestaltung in der Kunsthalle Bielefeld am 13. Mai 1995 sprach ich über die

Kunst auf der Haut

Mit der Kunst der Verkleidung feiern wir uns selbst. Aus unseren in dieser Kunstform ewig jungen Körpern wachsen Formen und Farben wie Blüten, wie schmiegsame Architektur, wie fantastische Landschaften hervor. In der Bewegung entsteht das Theater der Selbstdarsstellung, der Selbstverliebtheit, der ewigleichen Wiederkehr der Verführung. So ist die Kunst der Kleidung Erotik pur. Wenn Sie, verehrte Freunde und Freundinnen der Verhüllung des Körpers, durch diese Ausstellung gehen und ihre Vorführungen und Verführungen erleben, werden Sie am eigenen Leib erfahren, wie dieser sich seiner bewußt wird, wie der Schritt sich strafft, wie Schultern in neuer Bewußtheit sich aufstellen, Beine sich voreinandersetzen, Arme sich winkeln, pendeln, verschränken, öffnen. Sie haben es hier mit einer Kunstform zu tun, die Sie ganz persönlich angeht mit ästhetischen Appellen, gegen die Sie bald jeden Widerstand aufgeben. Diese Kunst der Kleidung geht auch auf Ihre Haut, aber in schmeichelnder Weise. Es sind nicht nur die Farben und Strukturen, die Sie auch in den anderen Bildkünsten wiederfinden können, es ist in diesem besonderen Bereich der Kleidung die unmittelbare Berührung mit der zärtlichen Materialität verschiedener Stoffe, die sich mit Ihrer Haut zu einer neuen, von Künstlern der Gestik und des Materials geschaffenen Empfindung verbinden. So betrachtet, ist Modekunst Ausdruck der Lebensfreude, des Selbstgenusses, präsentiert als Modell für die Anderen, für die Zuschauer, Geliebten, Kritiker, Händler zuletzt und Käufer. Wenn irgendeine Branche mit der Technik der körperlichen Verführung arbeitet zum eigenen Gewinn, dann ist es die Mode, diese schillerndste, in der Flüchtigkeit der Erscheinung unverschämteste, alle möglichen Wirkungen und unsere Empfindungen am unverblümtesten auswertende, ohne Einschränkung auf Fantasie, Genuß und Faszination setzende, die am direktesten um uns werbende aller Künste. Wir können die Schauspiele, die sie bietet, genießen ohne Skrupel und Tiefsinn. Wenn wir zu tief boren, haben wir schnell die Stoffe durchlöchert und der Zauber ist dahin. Diese Kunst ist zart, flirrend, flüchtig und vielfarbig wie eine Wolke von Schmetterlingen, die sich auf unsere Welt niederlassen, die sich jedes Jahr etwas anderes einfallen lassen wie um gefräßige Vögel zu täuschen und zu hypnotisieren.

Wie die Göttinnen und Götter der griechischen Sagenwelt spielt die Mode mit dem Mythos ewiger Jugend. Immer neu wandert die weibliche und männliche Menschengestalt in immer wieder veränderte Farben und Tücher gehüllt über die Stege, welche die große Welt bedeuten sollen, jugendlich, schmal, gelassen, selbstbewußt, in sich gekehrt und mit sich zufrieden, ein Ausdruck olympischer Selbstvergessenheit. Die Mode, die Flüchtigste aller Künste, welche gerade die Vergänglichkeit, den schnellen Wechsel zu ihrem Prinzip erhoben hat, demonstriert bei ihren Zeremonien ihr besonderes Ritual ewiger Jugend. Als riesige Spieluhr erscheint die schmale Bühne des Steges. Sie bietet kein Drama, sie zeigt wandernde Kunstwerke, gestaltgewordenen Bilder der Unsterblichkeit menschlicher Schönheit. Wie in allen Künsten, aber deutlicher in dieser Kunst der Verhüllung, werden ihre Schöpfungen zu Projektionen unserer Sehnsüchte und Träume.

Die diesjährige Werkschau Modedesign aus unserem Haus polt den Laufsteg um. Nicht Modells schreiten schmal über die Bretter, welche den schicken Teil der Gesellschaft bedeuten sondern im Gewitter der Blitzlampen das Publikum. Die Präsentation in der Kunsthalle hat sich einer neuen Erotik verschrieben. Muß man nicht sagen, daß dies das elementare Thema aller Schöpfungen der Mode ist? Mit der Erkenntnis erotischer Wirkungen und ihrer Folgen beginnt schon im Mythos der biblischen Schöpfungsgeschichte die Verhüllung des menschlichen Körpers. Ist nicht die Mode die Kunstform von Verhüllung und Transparenz., das Spiel mit den Reizen des Versteckens und Vorzeigens in einem immer wieder überraschenden Wechsel?

Mit dem Beginn des Bewußtseins beginnt startet auch die Kunst des Einkleidens und Verkleidens ihr anscheinend unerschöpfliches Programm, lange vor der Musik, der Malerei oder gar des Industriedesign. Wie Sie, verehrte Gäste, heute erfahren können, hat diese Kleiderkunst etwas mit dem Theater zu tun, mit dem Auftritt, der Inszenierung, mit der Wirkung in unmittelbarer Gegenwart und, worum wir natürlich bitten, mit derjenigen spontanen Resonanz, die sich im Applaus ihren Ausdruck verschafft. In der Fantasie und im sinnlichen Ertasten der Stoffe und Materialien bilden sich die Formen heraus, welche sich um den Körper schmiegen. Sie entwickeln sich auf Bildern und Figuren, sie wachsen mit künstlicher Gewalt wie ein fantastischer Garten, welcher durch die elektrische Energie schöpferischen Denkens hochgetrieben wird.

Take a Look at Yourself - Im Spiegel der Mode auch wir, als Figuren und Vorwand für farbige Umhüllung.

Diese Ausstellung zeigt auch - ebenfalls wie in einem Spiegel, wie Mode entsteht, wie sie in Bielefeld studiert und gelehrt wird. Sie macht deutlich, daß ein Kleidungsstück gestalterischer Ausdruck ist, mehr sein kann, als nur ein praktischer Schutz vor Blick und Kälte. Fächer wie Modellgestaltung, Modegrafik, Modedesign werden durch Inszenierung und Performance vorgestellt.

Vom Verhüllen und Verdecken spricht die neue Form der Erotik. Wir werden durch fließende rote Stoffbahnen in ihren Raum geführt. Sie ist nicht plumpe Provokation eines artistischen Rotlichtbezirks, sondern sinnliches Entdecken und Erahnen. Das Auge spielt mit Form, Farbe, Material und Körper. Dies signalisiert eine eher introvertierte Haltung in der Erotik heute, ich darf hinzufügen, eine sehr weibliche, auf den eigenen Körper bezogene Form dieses "berühmten Gefühls", wie Rilke es genannt hat. Im Raum der neuen Erotik erleben Sie das Spiel mit transparenten Stoffen, die Wechsel von Verhüllen und Zeigen. Sie spüren das Streicheln von Federn und Perlen auf Ihrer Haut. Erotik stellt sich dar als Erfahrung auch des eigenen Körpers. Es geht zudem um das Erfühlen des Stoffes, gewissermaßen um eine Erotik von Innen, die man sieht, fühlt, riecht, hört, schmeckt.

 

Mode wendet sich nicht nur an den Schönheitssinn im vertrauten Verständnis. Sie reizt, provoziert, erweitert ihn. Sie spielt oft wild und mutwillig auf dem Klavier unseres eingeübten, ästhetischen Kanons. Auch ein Kleidungsstück kann auf dem Weg unserer Sinne "Über-Sinn-liches" , das heißt hier, die Sinne Übergreifendes wahrgenommen werden kann, durch Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen. Das führt Claudia Noldt vor unsere Augen.

 

Arne Kaminsky präsentiert uns "BAD GIRLS AND LOVELY BOYS". Diese Modegrafikerin kehrt den Spieß um. Die Frauen werden zu grellen, aggressiven Vögeln im Großstadtdschungel, die Männer sollen bitte hüsch und sanft sein. wenigstens auf diesen Bildern, die durch die Größe, die Perspektive und durch die grellen, komplementär eingesetzten Farben dem Betrachter in die Augen stechen.

 

Sich einmal im Spiegel der Mode zu bewegen, durch die Vielzahl der einzelnen Arbeiten angeregt, sich über einen tieferen Sinn Gedanken zu machen und unverstandene Dinge nicht als verrückt oder auch im wortsinn als untragbar anzusehen, ist ein weiteres Ziel dieser Ausstellung.

Durch die verschiedenen Inszenierungen soll der Besucher nicht nur Betrachter, sondern Teilhaber des Geschehens sein. Take a look at yourself - Blick in den Spiegel, das bedeutet auch: achte auf dich. Dieses Konzept begleitet den Zuschauer durch alle Räume.

Dezent verhüllt in Gestaltungen neuer Erotik oder direkt konfrontiert ist der Zusachauer Teil der Inszenierung. Mode wird zum Spiegel unserer Gesellschaft, unserer selbst.

 

Die Suche auf der Straße nach Strömungen und Veränderungen bildet eine Inspirationsquelle der Studierenden. Auch mit ihnen hat ein neuer Beruf sich aufgetan, der des Trendwatchers. Aus dem Untergrund der Discos und Jugendtreffs steigen die ästhetischen Innovationen auf, bis sie unter den Händen der Gestaltenden geformt, die Modeszene erreichen. Trends werden beobachtet und visualisiert.

Die Mode ist eine lebende Sprache, dessen Vokabular immer neu sich bildet, immer neu erlernt werden muß

 

Ein anderer Raum ist Yohji Yammamoto gewidmet. "Ich dachte, Zeit zu entwerfen, das müßte herrlich sein," sagt er in einem eindrucksvollen Film von Wim Wenders. Die meditative, ernste, sparsame Gestaltung des japanischen Modekünstlers spiegelt sich wieder in den Arbeiten der Studierenden, reduzierte Farbe und Form, Introvertiertheit, eine besondere Form west-östlichen Diwans. Entstanden sind experimentelle Zeichnungen und Collagen mit Stiften, Mullbinde, Sand, Wasserfarben und Kreiden. Es ist eine Umsetzung von Gedanken eher als eine Darstellung von Kleidung.

 

"Dornröschen im 3 / 4 Takt", zum Spiel mit dem Kitsch fordert Britta Stövesand auf. Das witzige, heitere Spiel mit den bunten Bildern, welche sonst die Designer schrecken.

 

"Plörren", Klamotten von Straßenmärkten verarbeitet Tina Klömpken, ein modeerneuerndes Recyclingprojekt. Das Alte wird zu Neuem umgedreht, das Innere nach Außen gestülpt. Nähte tanzen im Zick-Zack und im Steppschritt über das verblüffte Tuch.

 

Anja Herden wiederum weckt die Lust an der Sinnlichkeit in schwarz, weiß, rot. Kleidung wird zum Teil eines Schaupiels, Anziehen als Theater.

 

Mit gefundenen Dingen ,Objects trouvées, arbeitet Petra Majora. Sie montiert verschiedene Materialien zu androgyner Kleidung, welcher sie taschenähnliche Einsätze verpaßt, in die ihre Fundstücke wie Diebesgut geschoben werden. Diese Klamotten sind für eine fortdauernde Verwandlung besimmt.

Silke Sporr geht ein in die Welt des Theaters, ihr Sommernachtstraum formt Puppen, Prototypen Figurinen, die Vision einer Kollektion ensteht aus dem Duft einer imaginären Bühne.

 

Dies und vieles weitere bietet dieser Einblick in die Ideenküch der Mode, welche von Professorin Wilhelmina Hoenderken und Professor Eric van den Kleijenberg unter Feuer gehalten wird. Ich möchte an dieser Stelle auch dem erkrankten Kollegen Professor Edmondus Sugiarto unsere herzlichen Grüße und Genesungswünsche übermitteln. Ihnen, den engagierten Studierenden und der Leitung der Bielefelder Kunsthalle möchte ich an dieser Stelle danken.

Nicht naturwüchsig wie eine Landschaft, sondern kunstwüchsig wie eine Vision schwebt die Modekunst vor uns wie eine riesige, sich permannent verändernde Seifenblase, die niemals platzt. Der in der übrigen Kunstszene mühsam genug eingeführte Begriff Performance hat im Kunstbereich der Mode schon immer seinen festen Platz. Mode präsentiert sich als show. An dieser Vorführung elementarer bewegter Formen an den Körpern ewig, wie sie uns suggerieren will, junger Körper wünsche ich Ihnen das durch Ihre Neugier, Ihre Freude an der Farbe und der Bewegung wohlverdiente Vergnügen.

 

Herford, 12.5.1995

 

Jörg Boström

 

 

 

 

Silke Sporr Mein Traum ist es Zeit zu zeichnen

Silke Sporr Ein Sommernachtstraum

Anja Brendes Erotische Momente

Claudia Nold Neue Erotik

Arne Kaminsky Bad girls Lovely boys

Britta Stövesand Dornröschen im 3/4 Takt

Tina Klömpken Plörren

Barbara Schwalm Mein Traum ist es Zeit zu zeichnen