Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Radikalitäten für den Kopf

"Kunst um 1968" ohne Pop noch Spontis: Der Bielefelder Sammler Egidio Marzona über die große Ausstellung seiner Sammlung (nicht nur) in der Bielefelder Kunsthalle. Interview: Niko Ewers

Bestimmt sind nicht wenige überrascht, eine solche Ausstellung unter dem Titel "Kunst um 1968" präsentiert zu bekommen. "1968" ist ja etwas Programmatisches und zugleich Symbolträchtiges, bei dem viele bestimmt anderes erwarten würden, etwas, was ihren eigenen Vorstellungen oder Erinnerungen an jene Zeit viel eher entspricht als das hier.

Es hat immer große Unterschiede in der Arbeit von Künstlern gegeben, selbst die, die "um 1968" entstanden ist. Wenn wir also über Kunst um 1968 reden, ist das, was hier zu sehen ist, natürlich nur ein Ausschnitt, nämlich die Vertreter der Konzeptuellen, der Arte Povera und der Minimal Art. Und das ist eben etwas völlig anderes als die Pop Art oder der Hyperrealismus und hat in der Tat wenig mit dem zu tun, was viele mit '68 verbinden - gerade nach den jüngsten Diskussion über Fischer und Trittin. Diese Kunst ist eine ziemlich nachdenkliche, heute unspektakulär wirkende Kunst, und viele Arbeiten insbesondere der hier vertretenen Amerikaner erscheinen noch viel komtemplativer als die von italienischen oder deutschen Künstlern jener Zeit. Und die ist eben recht anders, was ich auch selber damals in Düsseldorf gesehen habe, wo ich von Bielefeld aus dort eine Galerie betrieb, also die Aktionen in der Kunstakademie, "Kunst im Kaufhaus", Beuys, die sehr politische Liedel-Gruppe oder den Kreis um Sigmar Polke und Konrad Fischer.

Aber welche Gemeinsamkeiten?

Auch diese Kunst, die Sie jetzt sehen können, enthält etwas Radikales, Umstürzlerisches. Es war ja eine breite Bewegung in den 60ern Jahren: gegen das gemalte Bild, das Tafelbild, gegen das vorherrschende Verständnis von Kunst, das jetzt völlig neu interpretiert worden ist.

Beim Blättern im Katalog zur Parallelausstellung in der "Villa Manin" in Passariano kann man schon in der Art der Aufstellung oder Hängung in diesem Barockpalazzo noch etwas von der 68er Revolte verspüren...

Zumindest versteckt. Die Situation war ja, dass dieser Palast seit Anbeginn, also seit dem 17. Jahrhundert, immer unbewohnt war, ohne Spuren von Leben. Ein reines Monument für Macht und Reichtum. Aber was ich schön fand, war diese 'Agitation', das Gebäude mit völlig anderen sichtbaren Ideen ausgestattet oder konterkariert zu haben.

In diesem Ambiente wirken die viele Schrägheiten und Ver-rücktheiten immer noch etwas provokant oder subversiv.

Ja, das würde ich auch so sehen. Und eins kommt noch hinzu: man kann auch manchmal schmunzeln. Das ist ja recht selten in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.

In der Kunsthalle gibt's aber nichts zum Schmunzeln. Hier herrscht die totale Musealisierung, die gezielte Inszenierung von Ernsthaftigkeit und Bedeutungsschwere.

Die Ausstellung hier funktioniert auch anders als die in der "Villa Manin". Die für Bielefeld ausgewählten Arbeiten wirken ja ohnehin viel kühler, fast unterkühlt, bei denen es in der Tat nichts zum schmunzeln gibt. Aber wollen Sie deswegen sagen: schade?

Wäre das ein unmögliche Frage?

Nein, das nicht, aber sie ist nicht eigentlich wichtig. Wie gesagt: auch diese Kunst enthält etwas Radikales - einen nicht so aktionistischen, sondern mehr intellektuellen Radikalismus.

Viele Arbeiten in Ihrer Ausstellung wirken sogar ziemlich streng, diszipliniert, unglaublich affektbeherrscht. Beißt sich das nicht mit dem Anspruch oder Ziel maximaler Freiheit?

Das würde ich nicht sagen. Sehen Sie nur die Arbeiten von Laurence Weiner: völlig entmaterialisierte Arbeiten, die nur anspricht, was im Kopf passiert, die die Rolle des Künstlers selbst infragestellt und damit auch den Kunstmarkt auszuschalten versucht. Also eine denkbar große Freiheit künstlerischer Position.

Gleichwohl ist der Eindruck ziemlich disziplinierter Arbeiten, teilweise sogar quasi wissenschaftlich konzipiert.

Ja, dieser Eindruck ist in weiten Teilen vor allem der amerikanischen Künstler bestimmt richtig. Ich habe mir immer die Frage gestellt, wie Concept und Minimal Art gerade in Amerika entstehen konnte. Vielleicht liegt einer der Gründe in den damals aufkommenden asiatischen Philosophien bis hin zur Meditation, was sich auch oder vor allem in der Musik niedergeschlagen hat.

Die Papierarbeiten von Sol LeWitt erscheinen wirklich 'artverwandt' mit der seriellen Musik eines Steve Reich.

Rückblickend, also 30 oder 35 Jahre später, bekommt das natürlich einen ganz anderen Stellenwert, deswegen aber nicht eine kunstgeschichtlich geringere Bedeutung. Eher im Gegenteil. Im letzten Jahr hatte ich eine große Ausstellung in Rom, wo bestimmt 25 Jahre lang keine größere Ausstellung über derlei Kunst stattgefunden hat. Und was mich dabei erstaunte, dass unter den rund 3000 Leuten, die zur Eröffnung kamen (so 'was hab ich bisher nie erlebt), unglaublich viele jüngere Künstler waren, die sehr interessiert und neugierig das Werk sozusagen ihrer künstlerischen 'Väter' betrachteten, selbst wenn es mittlerweile zahlreiche Publikationen über Kunst um 68 gibt.

Nicht wenige der beteiligten Künstler erfreuen sich nicht gerade einer großen Bekanntheit.

Viele dieser Künstler, insbesondere die Amerikaner, haben auf dem Kunstmarkt nie so recht Fuß fassen können, und einige verschwanden dann sogar in der Versenkung. Ich habe jahrelang recherchiert, was aus denen eigentlich geworden ist, und nach Material über sie gesucht. Zum Beispiel dieser Bill Bollinger, der damals viel in Deutschland gemacht hat und zu dieser Zeit viel bedeutsamer als etwa Bruce Naumann gewesen ist. Bollinger ist früh gestorben, hatte große Alkohol- und Drogenprobleme. So 'was gab es bei einer ganzen Reihe von Künstler... Ich mein, all diese Künstler habe ich ja kennengelernt, wir sind die gleiche Generation, sprechen ungefähr die gleiche Sprache, und bei vielen habe ich deren künstlerischen Weg bis heute verfolgt. Wobei es natürlich recht unterschiedliche Entwicklungen gibt: die einen, die ihre seriellen Prinzipien konsequent weiterverfolgen, andere dagegen machen heute etwas völlig anderes. Zum Beispiel Bruce Nauman oder Gerhard Richter.

Arbeiten von Beuys findet man in Ihrer Sammlung nicht. Warum eigentlich?

Beuys war immer eine Ausnahmeerscheinung. Nicht weil ich ihn verschmäht habe, ganz im Gegenteil. Aber für mich war er immer eine mythische Figur und zugleich eine theoretische Herausforderung; was er gesagt, getan und angestoßen hat, war für mich viel, viel bedeutender und wichtiger als das, was er dann tatsächlich produzierte und was man auch erwerben konnte. Seine maßgeblichen Sachen waren ja sowieso mehr die größeren Aktionen und Installationen, die später dann, rausgerissen aus dem jeweiligen Zusammenhang, oft entwertet sind, geradezu zweckentfremdet. Diese Dilemma hatte ich damals schon verspürt. Also, wie gesagt, kein Verschmähen, eher Respekt oder Hochachtung vor dem Werk von Beuys.

Heißt das, dass im Gegensatz dazu viele andere Arbeiten nicht so der zeitgeschlichtlichen Einbettung "um 1968" bedürfen, um sie später ausstellen zu können?

Zweifellos. Viele Arbeiten können sich auch in völlig anderen zeitlichen und örtlichen Zusammenhängen behaupten. Viele sind sogar geradezu zu 'Markenzeichen' einer Kunst, Fixpunkte von späteren Generationen von Künstlern geworden.

Ist es für einen Sammler wie Sie eigentlich viel einfacher, 'Linie' zu halten, als die Künstler selbst in ihren eigenen Entwicklungen, vielleicht auch persönlichen Brüchen?

Schon wahr, ich registriere dies natürlich. Als Sammler habe ich ja auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Künstlern.

Zu der mitlerweile abgelaufenen Ausstellung "Art Works - Sammlung Marzona" in der Bielefelder Kunsthalle und in der Villa Manin in Passarino (Italien) ist ein zweibändiger und relativ preiswerter Katalog im Verlag Cantz erschienen.

 

Mario Merz, Che fare? - Was tun? 1968, Neon, 25x45 cm

Donald Judd, Untitled, Steel, 300x50x25 cm

Joseph Kosuth, Blank, 1967, 125x125

Sol Lewitt, Open Cube, 1968, 105x105x105

Walter De Maria, Bronze Shaft, 1966, 38,5x46x8,5 cm

Giovanni Anselmo, Dissolvenza, 1970, Stahl, Dia und Projektor, 34x24x17 cm

Dan Flavin, Ohne Titel ( To the people of the french revolution) 1989, Neon, 140x62x10 cm