Zum Inhaltsverzeichnis | Virtuelles Magazin 2000 |
Bilder aus Mecklenburg
Wenn Augen Hände hätten, wären dies die
geeigneten Organe zum Abtasten dieser Bilder. Es sind zunächst Fotografien.
Der Zerfall gibt aus dem Mauerwerk die innere Struktur, die nervöse
Oberfläche unter der Haut den tastenden Blicken preis. Hier spielen
tiefsitzende Kindheitsmuster aus den Trümmerspielstätten Thüringens
und des Ruhrgebiets hinein in die Findung der Bilder. Aus den Trümmern
der alten und der Erwachsenenwelt entwickelte sich das Abenteuer des eigenen
Lebens. Die Gutshäuser in Mecklenburg zerfallen als Symbole einer
verlorenen gesellschaftlichen Gruppe des feudalen Landlebens. Nur ihre
Umgestaltung, ihre Aufnahme in neue Funktionen und ihr Umgang mit abenteuernden
Menschengruppen, kulturellen Initiativen gibt ihnen eine Überlebenchance.
Die Bilder zeigen so etwas wie die Würde des Untergangs in den letzten
Jahren vor dem Zusammenstürzen oder dem neuen Leben. "Sterbende
Häuser" . Fotografien dazu waren zu sehn in der Ausstellung 4
Wirklichkeiten, Schlossgalerie Quedlinburg.
Das Land Mecklenburg : wenige Menschen und viel Raum für
Licht und Wetter, Pflanzen und Tiere, für den Blick zum durchwachsenen
Horizont, und immer wieder die ausgedehnten, durchfurchten Flächen
einer von Pflanzen bestimmten Erde. Die Bildstruktur in der Malerei entwickelt
sich wie ein biologischer Prozeß. Die Leinwand, selbst ein pflanzliches
Gesichts- und Arbeitsfeld, wird von Algenmaterialien und seinen Formen
überwuchert. Aus den wogenden Formen bilden sich neue Wesen, als wollte
sich die aus dem Wasser stammende Schöpfung unter den Händen
wiederholen. Aus Ton die ersten Menschen, aus Schlamm, aus wuchernden Teich-
und Wasserpflanzenformationen hier. Der Malvorgang wird zum genetischen
Prozeß, embryonal steigen die Formteile wie neue Organismen empor.
Das archaische Unbewußte antwortet mit urtümlichen Erinnerungen
und mythischen Träumen. Ausgeblendet bleibt der apparative Alltag
einer sekundären und tertiären Zivilisation. Hier spielt mehr
die Kunst der Höhlen und Grotten, der heimlichen und unheimlichen
Bildtriebe hinein, des Zeugens, Versinkens und Schwimmens im Strudel der
hingerissenen Selbstaufgabe, als die bisher ebenso fasziniert wahrgenommene
Oberfläche des technisch und organisch Gegebenen, weniger Arbeitswelt
als Lebenswelt und Entstehungsprozeß von Leben. Geburt der Vögel,
Urformen der Frauen, Landschaftsformen, die Menschenformen hervorbringen,
Riesinnen aus Traum und Tang, die ersten wandernden Tiere, Menschenpaare,
die sich im Boden verlieren und finden, Metamorphosen zwischen Sucht und
Sage, das Zurückverwandeln in die Pflanzenwelt wie bei Daphne, die
sich von dem Gott gejagt, ihm nicht öffnen wollte, aus der Tiefe des
Brunnens das krötenhafte Wassertier, das zur menschlichen Figur gerinnt.
Die Stiere sind unterwegs unter der Oberfläche, aus Erde und Pflanzengeschlinge
bauen sich tierische Häute und Glieder auf. Schon morgen beginnt ein
neuer Schöpfungstag im living theatre permanenter Malerei.
Aus dem Wasser und seinen Farben mischen sich verfliessend neue Formen, die der mecklenburger Landschaft abgesehen sind. Sie erscheinen wie Kopien, sind doch selbständig entstanden und wuchern weiter in den verfliessenden Horizonten, wo Farbverbindungen sich verzweigen wie Bäume und Verdünnungen sich wölben zu Wolkenformationen. Räume bilden sich durch langezogene, nasse horizontale Pinselspuren und Buschreihen durch dunkel getupfte Nässe. Da ich hier fast nur Landschaften sehe um mich, geraten sie zwnghaft auf die Bildflächen und breiten sich ungehemmt aus. |
||||||||||||||||
|
||||||||||||||||
Wenn Menschen auftauchen,
schauen sie misstrauisch und mürrisch auf mich und den Betrachter,
der sich rechtfertigen sollte, was er hier suche und betreibe.Auf den Leinwänden
und auf Papier entwickeln sich als Reflex auf das, was ich sehe, leere
Landschaften und nun doch noch ein etwas unangenehmes Bild von Menschen,
die den Betrachter wiederum mürrisch von oben betrachten. Fotostudien
vom Besuch Gerhard Schroeders in Waren liegen darunter oder davor. Sie
gucken, ob mein Leitbild stimmt, der immer etwas daneben lag und liegt.
Vielleicht liebe ich doch nicht die Menschen, jedenfalls die allerwenigsten.
Zum Glück habe ich dazu immer wieder welche gefunden.
Lansen, 9.7.2001 Jörg Boström
|
||||||||||||||||