Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Ein maskenhaftes Pressebüro

Manfred Schnell im Haus der "Neuen Westfälischen" in Bielefeld

Schnells Werk ist so vielschichtig und perpektivenreich, dass es reizt, einige dieser Linien in dieser Maskenausstellung zu skizzieren.

Masken offenbaren Inhalte, indem sie diese verdecken. Dieses Spiel macht einen grossen Teil der Wirkung von Kunst aus und einen Teil des Versteckens eben dieser Wirkung. Der Körper ist das Instrument dieser Produktionen, die Hand, das Auge, aber auch Arme, Beine, Bauch und Kopf. Jeder Strich, jeder Farbauftag auf der Fläche, geh durch Nerven und Muskulatur.

So ist es nicht verwunderlich, dass der Körper, die Figur, die physische Empfindung des Selbst immer wieder zum Inhalt der Bilder werden, auch da, wo diese sich in freien Formen auf der Leinwand entwickeln. So etwa bei der Bilderserie "Sport", welche der WDR Bielefeld kürzlich zeigte, oder die makabre Folge von Schnells Bildern zum Missbrauch der Körper in eben diesen Räumen. Die Kunstpsychologie spricht von einer anthropomorphen Struktur unseres Sehens und Gestaltens. Wenn die Welterfahrung vom ersten Griff des kleinen Kindes an seinen Zeh bis zur Umarmung des anderen Menschen über den Körper läuft, durch ihn hindurch geht, so ist es begreiflich, dass dies sich in den Bildern niederschlägt. Eine erste Vision der Welt überfällt uns, wenn wir nach der Geburt zum ersten Mal die Augen öffnen, in Gestalt einer Maske. Es ist meist das Gesicht der Mutter, das wie eine kosmische Erscheinung über uns schwebt. Es ist die symmetrisch gegliederte Scheibe, das Oval, die Welt als schwebender Himmelskörper, der uns rätselhaft anstarrt.

Diese Urerfahrung des ersten Sehens prägt unsere weitere Sehweise so stark, dass wir für den Rest unseres Lebens Physiognomisches in allen unbestimmten Formen der Büsche, der Wolken, der Landschaften immer wieder entdecken.

Der Psychologe Leo Navratil spricht von der physiognomischen Struktur unseres Sehens, um diese universelle Erfahrung zu beschreiben:

"Der Ursprung alles Physiognomischen, das uns durch das Auge vermittelt wird, liegt im menschlichen Antlitz. Deshalb ist auch das Anmutungserleben des reifen Menschen noch mit dem Angeblicktwerden zu vergleichen."

Der Philosoph und Esayist Alfred Lichtenberg, dem der auch in die Gesichter - besonders aber in sein eigenes- vernarrte Zeichner Horst Janssen eine umfangreiche grafische Arbeit widmete, meint: "Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht"

Ausgerechnet der Teil des menschlichen Körpers, der mit zwei Augen zu sehen, mit einer Nase zu riechen, mit Gehör und Geschmacksorganen und den feinsten Nerven der Hautkontakte ausgestattet ist, hat sich auf Grund tiefer prähistorischer und psychischer Erfahrung zum Sinnbild der Verschlossenheit, der Unzugänglichkeit, des Magischen entwickelt. Tatsächlich können wir die Nähe des Gesichts, wie sie eine solche Kunst bietet, nur von dem Gesicht der Geliebten ertragen. In jedem anderen Falle entwickelt sich das Gefühl der Abstossung, der Zudringlichkeit, der Bedrohung und Dämonie. Mit dieser Reaktion arbeitet die Serie der Masken und Fratzen von Manfred Schnell.

Die Ausstellung macht diesen Zusammenhang zu ihrem Thema, sie stellt die menschliche Maske in immer neuen Varianten vor. Dadurch, dass der Kuenstler den Gesichtern Titel gibt, die aus den Kathegorien der Zeitung entlehnt sind, macht er die Sache nicht klarer. "Wissenschaft", "Feuilleton", "Kultur", "Sport" und "Lokale Kultur" starren, blinzeln, glotzen uns an, aus Beilhieben auf Holzplatten und Farbwischern amorph geformt. Sie scheinen sich aus dem Material hervorzuarbeiten wie Schlammfiguren, Moorleichen, die zu dumpfem Leben erwachen, Oetzi aus dem Eis.

Da dieser Künstler selbst die Maske liebt, sie als seine persönliche Deckung oft verwendet, auf direkte Fragen zu seiner Arbeit oft in die Ironie und das Verwirrspiel der Metapher ausweicht, wird er auch dies wahrschscheinlich maskenhaft bestreiten und mir damit recht geben. Er tut dies, seit ich den Künstler kenne. Er beendete seine Existenz als Student der Werkkunstschule Bielefeld und des Fachbereichs Design, unterrichtet und angeregt von meinem verehrten und nun verstorbenen Kollegen Karl-Heinz Meyer, ein Semester, nachdem ich dort meine Lehrtätigkeit begonnen hatte. Wir hatten bereits damals Kontakt auch in einem gemeinsamen Projekt, das den Putsch in Chile ins Visier nahm. Seit dieser Zeit beobachte ich ihn und seine Arbeit, verstehe sie ein wenig und habe sie doch nie ganz begriffen. Eine Kunst, die diesen Namen zurecht trägt, behält nun einmal seine letzten Geheimnisse für sich, auch dem Künstler selbst bleibt sie im Kern verschlossen. Wie hinter Zeichen und Chiffren, hinter anscheinend erklärbaren und dann wieder rätselhaften Mythen verschwindet Manfred Schnell sanft und freundlich, um plötzlich bildhaft und buchstäblich mit der Axt in der Hand oder einer Kettensäge wieder aufzutauchen. Weder in der Kontinuität einer Technik oder eines ästhetischen Programms, noch in der Ablesbarkeit einer Bildbiograhie ist dieser Künstler zu fassen. Er entzieht sich der Einordnung. Man muss schon den Bogen der Sinnverbindungen sehr weit spannen, um in einer Art von bildhaftem aber beweglichem System einige Orientierungswege zu finden, die entstanden sind, weil er sie mehr als einmal begangen hat. Von Mythos und Medien, von Plastik und Politik, von Handwerk und Mystik, von Inszenierung und Bild. Kollektive und persönliche Mythen gehen anscheinend gleichmütig auseinander hervor, gegenwärtige gesellschaftliche und politische Bedrückungen erscheinen in archetypischer Gestaltung, tauchen auf und verbergen sich zugleich.

Historisches Zitat und künstlerische Aneignung gehen ineinander über, etwa wenn man in den Bielefelder Untergrund steigt und unvermittelt in einem kultischen, imaginären Kreta landet, das von zugespitzten Stadttypen belächelt wird, oder wenn man im Park der Spinnerei herausgesägte Ushebti (Grabbeilagen für den Pharao, die im Jenseits für ihn arbeiten) zerfallen sieht, die den Anstieg der Cheopspyramide um 51, 52° in den Himmel gezeichnet von Metallspitzen beobachten in alle Ewigkeit. Oder, wenn an den in dieser Gegend geisternden Wittekindmythos erinnernde Speere in Steine geworfen in einem rituellen Kreis, oder wie für die Ewigkeit gespannte Bogen in Dreiecksform zugeordnet, mit ihren Pfeilen ein imaginäres Ziel im Raum über ihnen immer wieder und wieder zu erreichen suchen. Schnells Installationen bauen Rätsel auf mit konkretem, auch historischem Material, auch die Skulptur Hephaistos.

Hier in diesem Presseraum beobachten Vater, Mutter, Kind aus Gips die Arbeit der Chefredakteure und ihrer Mitarbeiterinnen. Die plastischen Köpfe sind von grauweißer Farbe zugematscht, als hätten sie zu oft und zu lange in die Zeitung gestarrt, die ihnen nun pappmachéeartig die Schädel verklebt.

All dies sind Arbeiten eines Künstlers, der auch ein wissenschaftliches Studium der Kunstgeschichte mit seinen weit zurückreichenden Erinnerungen in seinem Gepäck führt und historische und mythologische Bildverbindungen in den geformten Materialien seiner Kunst hintersinnig verbirgt.

Betrachten Sie, verehrte Gäste der Redaktion, heute nur diese Gesichter an den Wänden. Sie werden immer Neues entdecken, aber starren Sie nicht zuviel, diese Masken sind dauerhafter als Ihr Gesicht, sie transportieren die Rätsel der Gesichter und Gesichte. Wie ihr eigenes werden Sie diese betrachten, ein wenig verstehen und doch nicht begreifen. Ich wünsche Ihnen dazu die rätselhafte Begegnung mit ihrem eigenen Gesicht, dem Sie trauen müssen, ob Sie wollen oder nicht, an das Sie geheftet sind und dem Sie nicht ausweichen können.

 

Überarbeitet in Lansen am 1.5.2001

Jörg Boström

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