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Zur Zeit

Die Deutsche Fotografische Akademie - DFA - trifft sich mit Bildern.

In der Städtischen Galerie Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen sind Arbeiten von Künstlern der zweiten Generation zu sehn - wenn man die Gruppe um Otto Steinert als erste Generation bezeichnen darf- DFA-Ausstellung "Zur Zeit" (27.4. bis 20.5.2001) mit Dieter Blum, Jörg Boström, Kilian Breier, Bernhardt Brill, Charles Compère, Jürgen Heinemann, Günter Hildenhagen, Siegfried Himmer, Gottfried Jäger, Manfred Kage, Lajos Keresztes, Harald Mante, Inge Osswald. Die Ausstellung verrät etwas über die Spannweite der fotografischen Bildkunst. Von der generativen Fotografie, der Auseinandersetzung mit ihrem technischen Ursprung über die wissenschaftlich-analytische Seite der Makro- und Mikrobildformung, von der poetischen Landschaftsgestaltung hin zur Inszenierung, vom engagierten Bildjournalismus bis zur Verbindung von Kamerafotografie und Laborgrafik. Die Akademie präsentiert sie zunächst für sich selbst, mit dem Blick nach Innen in die eigenen Möglichkeiten und gibt zugleich durch die Öffnung in der Filderhalle der Öffentlichkeit einen Einblick. Im Kern ist sie ein Diskussions- und Streitforum über die Chancen und Möglichkeiten des Mediums, das in unserer Zeit durch die digitalisierte Umformung und ihre Internetteilhabe eine neue Dimension erhält. Entsprechend diskussionsfreudig verlief die mit der Ausstellung verbundene jährliche Versammlung der Mitglieder. Wieder wurden die Grenzlinien und offenen Übergänge zur Kunstszene und ihren Präsentationsformen abgeschritten und verschoben, wurden die Möglichkeiten einer weiteren Darstellung in anderen Städten durch Ausstellungen und Tagungen in die Planung genommen und die Zusammenarbeit mit den Medien angesprochen. Eine Änderung und Neuwahl ergab sich im Vorstand, aus dem der seit 19 Jahren aktive Vizepräsident Charles Compère auf eigenen Wunsch ausschied. Neue Vizepräsidentin wurde Eva Mahn, Dozentin aus Halle/Saale und damit zum ersten Mal eine Künstlerin aus den "neuen Bundesländern", die damit auch ihrer Tradition und Bildkultur eine Stimme gibt. Der bisherige Vorstand mit dem Präsidenten Manfred Schmalriede, dem Geschäftsführer Günter Hildenhagen sowie Hansi Müller-Schorp und Wolfgang Zurborn wurde durch wiederwahl bestätigt. Noch geht aus der Untersuchung der Regionen hervor, dass nur drei Schwerpunkte von Standorten zu finden sind: in Bayern/ Baden-Würtemberg, in Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Wenig vertreten im Mitgliederverzeichnis sind noch die neuen Länder. Eine westdeutsche Fotoszene will aber die Akademie nicht sein. So werden weitere Aktivitäten einer neuen Vereinigung auch in der Fotografie geplant. Kern der Arbeit der DFA ist und bleibt die Bildpräsentation und Diskussion. Hier zeigen wie in jedem Jahr Mitglieder und geladene Gäste ihre Arbeiten und stellen sich und ihre Konzepte der Diskussion. Hier wird der Charakter der DFA als Akademie deutlich. Wie in einer Kunsthochschule, jedoch mit "studierten", aber niemals "fertigen" Teilnehmern, werden Möglichkeiten der Fotografie an persönliche Gestaltungsformen zur Sprache gebracht. Dies war und ist immer die besondere Qualität des Verbandes, der sich eben nicht als Gewerkschaft, sondern als Forum der Bildkunst und ihrer Analyse versteht und damit für seine Mitglieder und den Gäste das dichte, kritische Gesprächsforum bietet, das in dieser Form sonst nur noch von Hochschulen und nur für Studierende angeboten wird. Die Fotografische Akademie ist in diesem Selbstverständnis ein Institut lebenslanger Diskussion und lebenslanger Auseinandersetzung mit der Fotografie - und nicht nur der eigenen.



So begann die Bildpräsentation gleich mit einer kontroversen Diskussion über die aufwendig inszenierten, grossformatigen "Standfotos" von Thomas Brenner. Sie wirken wie Resultate einer theatralischen Performance, die allerdings ausschliesslich zum Zwecke der Bildfindung vom Künstler organisiert wurde. Die Szenenfolge ist an der Maginotlinie aufgebaut, die durch ihren historischen Kontext einen symbolhaften Rahmen setzt. Vieldeutig bleiben die Symbole, dies wohl auch gewollt, die brennenden Stühle, die wie Verwundete umwickelten, kriechenden Menschen, die wie zu einer Parade aufgestellten Figuren, "geteert und gefedert", vor dem Hintergrund rauchender Kühltürme ein brennder Kreis und hinter Fässern brennende Menschen, die mit hochgestellten Flammen wie Feuerengel wirken. Der Autor will die Offenheit der Deutungsmöglichkeiten, er spielt mit auch inhaltlich belasteten Symbolen und geniesst die Ratlosigkeit der Diskutierenden. "Wir suchen in jeder Fotografie die Erkenntlichkeit des Gegenstandes, sind zufrieden, wenn wir wiedererkennen und deuten - sind irritiert, wenn wir erkennen und nicht deuten können."

Eine weitere, in zarten Tönen und Strukturen montierte Bildfolge, die in ihrer ersten Anmutung einen freundlichen und zugleich rätselhaften Eindruck machten in ihrer verschachtelten Verbindung von kleinen Fotoportäts en face und tapetenartigen Strukturfächen, die mit Stempel wie lagalisiert wirkten, zeigten sich bei näherer Betrachtung als eine Folge von zusammengefügten Stücken von Reisepassen. Luzia Simons, welche diese Arbeit unter dem Titel "transit" präsentierte, ist selbst als brasilianische und deutsche Staatbürgerin mit Doppelpässen versehen über viele Grenzen gereist und hat diese staatsbürgerliche Selbstvergewisserung zum Bildthema in digitaler Verarbeitung gemacht. Identität - dieses Thema zog sich durch viele Arbeiten. Zum wiederholten Male tauchte die Frage auf, ob hier das Medium der Fotografie noch eine Rolle spiele, gerade hier im Passbereich, wo doch der Fotografie eine existentielle Bedeutung zukommt als Kopfbild zur Indentifikation, als Reproduktionsmedium von Stempeln, Unterschriften und Daten, als Dokumentar-, besser als Dokumentenfotografie im politischen Sinne. Diese Arbeit wurde von der Autorin mit grosser Leichtigkeit vorgestellt, sodass hier der kuriose, fast irreale Charakter der beglaubigten Grenzübertritte und der Beweise, dass man staatlich anerkannt existiert eher zum Ausdruck kam als der sonst mit einfacher, falscher, doppelter oder bestrittener Staatsbürgerschaft belastete Bereich der multikulturellen Diskussionen.

Subtile, mit beklemmenden Wechselbeziehungen versehene Bilder von Mensch und Tier zeigte der Gast Armin el Dip, den Klaus Elle vorstellte. Zwei Wesen wie Hund und Mann, Katze und Frau, Papagei und Dame zeigen sich strenger, quadratischer Komposition. Sie signalisieren psychische Zustände, von welchen der Autor sagt: " Ich suche Bilder für innere Zusatände von mir". Immer wieder wird besonders bei der neuen Generation von Fotografen deutlich, dass ein Interesse an den eigenen Befindlichkeiten die Anteilnahme an der Aussenwelt überformt.

Eib Eibelshäuser zeigte grossformatige Schwarz-Weiss-Fotografien von Köpfen en face, die den Betrachter anstarren. Die Köpfe sind zudem zu Bildpaaren montiert, sodass ein leerer aber sehr enger Zwischenraum den Blick von Kopf zu Kopf pendeln lässt und die Frage nach den Beziehungen die Disskussion beherrschte., der Beziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem, der fotografierten Bildpaare zueinander un der zwischen den nicht ausgedeuteten Fotobildern und dem Betrachter. Wieder wurde der Trend deutlich, diese Fragen offen zu lassen und den Betrachter mit seinen Gedanken auf sich selbstzurückzuwerfen. Die Ratlosigkeit als psychischer Grundbefindlichkeit wächst sich aus zur fotografischen Methode. Die Zumutung, von zwei grossen, nah gesehen Gesichter aus der Nähe und Fremde gleichzeitig angestarrt zu werden, hinterlässt den Eindruck einer unerwünschten Nähe und erzeugt eine Befremdung, die vielleicht gewollt ist, aber die der Autor auch nicht als Lösung anbieten will.

Um Identitätund ihre Fragwürdigkeit geht es auch bei der Bildpräsentation von Mark Volk, den Stephan Erfurt vorstellte. Hier werden nicht Gesichter wie auf Verbrecherfotos, sondern Fingerabdrücke angeboten, ihre eigentümlichen, unendlich variantenreichen und gerade deshalb identifizierbaren Lininienlabyrinthe, identifizierbar jedoch nur von speziellen, elektronischen Werkzeugen und als wolle der Autor dies bekräftigen, zeigte er in einer zweiten Bildfolge Makrobilder in starkem Ausschnitt von telefonischen Chips, die in ihrer durch starken Gebrauch zerkratzten Oberfläche zu den geometrischen Linien den feinen Leiter in wirksamem Kontrast stehen. Auch Volk geht es um Bedeutungsvielfalt und Offenheit, ganz wesentlich, wie er sagt, um "nichtsprachliche Kommunikation", auch bei den Modulen um Identität, die gleichzeitg den Kriminologen, den Handleser und den elektronischen Analytiker anspricht und vor der der unbewaffnete Betrachter steht wie vor abstrakten Strukturen einer kontrollierten Malerei, die im Gespräch denn auch wiederholt als Bezugspunkt genannt wurde.

Manfred Kage beschloss die Bildpräsentation des Tages mit einer Bildfolge von, wie er das nannte, "Porträts von lebenden Substanzen". Aus Kristallen, in Wasser aufgelöst und auf einer Platte aufgetragen, lässt der Künstler Landschaften entstehen, die durch Licht-, Form-, und Farbsteuerung eine zugleich objektive Seite - sie sind Naturabbildungen - und eine subjektive Seite haben. Kage steuert subtil die Form- und Farbgebubng sowie die Komposition auf der Bildfläche. Hier werden wissenschaftliche Methodik und künstlerische Darstellung verknüpft. Auf die Frage, welche viele "fotografischen Akademiker" beschaftigt, ob diese und andere Umgangsformen zwischen Fotobild und Realtät Kunst seien oder nicht und ob Manfred Kage nicht offenlassen könne, ob seine Arbeit Kunst sei oder nicht, entgegnet er ruhig und unverdrossen: "Niemals".

Bildpräsentationen zeigten auch die DFA-Mitglieder Thomas Brenner, Klaus Elle, Edgar Lissel, Luzia Simons und Wolfgang Zurborn sowie als Gäste Amin El Dib, Eib Eibelshäuser, Andreas Gefeller, Nikolaus Geyer, Kai-Olaf Hesse, Zoltän Jäkay, Johannes Kayenberg / Klaus Reinelt, Thomas Kellner, Steffen Mähle, Marc Räder, Christoph Valentin, Marc Volk, Jan Wenzel und Thomas Zika.

Präsentation und Diskussion gingen immer wieder an die Grenzen des Selbstverständlichen, des Selbstverständnisses von Fotografen und Fotografie und darüber hinaus. Verstärkt wird diese demonstrative und analytische Szene durch die Teilnahme von Medien- und Kunstwisssenschaftlern. So beschloss den Eröffnungsabend der Ausstellung ein umfassender Vortrag von Klaus Honnef zur Beziehung der Kunstmuseen zum fotografischen Medium seit der fruhen Entwicklung in Amerika bis hin zur Dokumenta und den Instituten, Galerien und Sammlern in Deutschland. Am nächsten Tag referierte Lambert Wiesing, Universität Jena, über Bilder als Resultate sichtbar gemachten Denkens. Das Denken wurde von ihm beschrieben als abhängig von der Steuerung durch unseren Willen. So stellte er die Verantwortung des Bildermachens und damit der Bildautoren zugleich in den historischen Kontext: "Was heute logisch erscheint, muss mich morgen nicht mehr überzeugen:"

Herford, 7.5 2001

Jörg Boström

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