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Gudrun Wessing Per aspera ad astra. Sechzig Sterne für Jörg Boström
Jörgs Geburtstag. Sechs Dekaden eines schöpferischen und vermittelnden Lebens. Was soll ich ihm dedizieren? Gedanken gleiten durch den Kopf, Bilder, die sich um seine Person ranken und imaginäre Blicke auf seine Werke, die sich mal auf der Leinwand verbreiten, mal auf zu belichtendem Material. Jörg Boströms stete Freundlichkeit läßt den Umgang mit ihm angenehmen sein, deutet aber gleichermaßen auf ein "Sich-auf-Abstand-Halten" hin. Im Lächeln sichert er sich gewissermaßen einen Freiraum für die Künstlerseele. Meine Assoziationskette - immer noch in der Überlegung des "che fare?" - streift eine Ausstellung, der er den Titel "Das Lächeln des Prometheus" gegeben hat. Langsame Annäherung. Zwei Wörter interessieren mich: das Lächeln als Ambivalenz von Entgegenkommen und Abschotten und natürlich Prometheus. Im Hinblick auf diesen gewinnt das Lächeln noch eine ganz andere Komponente, die man erst abschätzen kann, wenn einem die schillernde Figur des Titanensohnes wieder vor Augen steht: Prometheus, der Vorausdenkende, wagt den Spagat des Ungehorsams gegen die Götter im Wissen um seine Erlösung. Prometheus ist eigensinnig und listig: den Opferbetrug von Mekone an Zeus, dem er nur Teile des Tieres zugesteht, ahndet dieser mit dem Entzug des Feuers für die Menschen. Prometheus wird daraufhin zum Dieb. Er bringt, je nach Lesart, entweder vom Blitzstrahl des Zeus, von dessen vorbeirasendem Sonnenwagen, oder aus der Werkstatt des Hephaistos das Feuer zurück. Die Strafe für den Frevler ist bekannt und ungezähltes künstlerisches Motiv: an einen Felsen gefesselt hackt ihm ein Adler die ständig nachwachsende Leber aus, bis Herakles mit der Tötung des Adlers Erlösung bringt und ein Kentaur für ihn seine Unsterblichkeit hingibt. Es gibt noch weitere Deutungsarten, weshalb die Strafe verhängt wurde: die ungestüme Werbung um Athene soll der Auslöser gewesen sein, und auch Prometeus' Rolle in seiner Funktion als Menschenbildner, der nach der Schaffung zu vieler Tiere nicht genügend Material für die Menschen übrig gehabt habe, woraufhin auf Geheiß des Zeus die Tiere in Menschen umgebildet wurden. So also erklären sich die animalischen Seelen in menschlicher Verkleidung. Prometheus schuf seine Geschöpfe nach dem Ebenbild der Götter und lehrte sie, sich die Erde nutzbar zu machen. Er gilt als Symbol der unerlösten, der duldenden Menscheit, aber auch des sich aufbäumenden Genies, wie Goethe postuliert. Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum verwunderlich, daß Jörg Boströms Interesse sich auf diese Figur richtet. Prometheus taucht bei ihm mehrfach als Titel auf, steinern oder golden, und ist so vielschichtig, mehrdeutig und hintergründig, daß es einer ausführlichen Deutung bedürfte, sein Werk daraufhin eingehend zu untersuchen. Inwieweit ihm diese Figur bisweilen seelenverwandt erscheinen könnte, mag ich im Augenblick nicht deuten, gleichwohl erschiene es mir für einen späteren Zeitpunkt sehr lohnend. Der Bildermacher malt ein "Feuerwerk". Prometheus in Mischtechnik auf Leinwand. Ein Diptychon. Die Hand, nur knapp aus dem rechten Bildrand ragend, führt eine Art Zauberstab, der wie eine Wunderkerze aussieht, und verbreitet ein farbenfrohes Feuer flächenfüllend in den Bildraum. Es distribuiert die dunkle Erde in Lichtflüsse und -sprenkel ohne das keine Farbe möglich wäre. Der Lichtkegel erscheint wie vom Wind zerrissen und - Zufall oder hineininterpretiert - glaubt man im linken oberen Bildkompartiment unvermittelt eine kleine weiße Lichtgestalt zu erblicken, die eigenartigerweise an die Windsbraut von Kokoschka erinnert. Schimmern hier etwa die Sommerakademien in Salzburg durch? Es mag auch, wenn wir schon gerade beim Fabulieren sind, sich der Gedanke an den Göttlichen Funken von Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle einschleichen, genauer gesagt, jene szenische Darstellung, wo Gottvater dem Adam qua Berührung beider Zeigefinger die Seele schenkt. (Abb. 1) Szenenwechsel. Blick auf Boströms Studenten. Jene bereits eingangs zitierte Ausstellung, wo der Lehrende sich mit seinen Schülern präsentiert hatte, zeigte an exponierter Stelle im Eingangsbereich des Museums eine große Arbeit von Christopher Gayk. Zu sehen ist darauf eben jener Göttliche Zeigefinger als Zitat, in der Variante, daß anstelle des Adam eine Babyhand zu sehen ist, welcher - ebenfalls in Abwandlung des Zitates - der Lebensspender ein Einwegfeuerzeug hinüberreicht. Dieses Bild hat meine Aufmerksamkeit erregt. Für meinen damals 5jährigen Sohn bedurfte es keiner besonderen Aufforderung, sich vor dieses Bild zu stellen und seine Version des Zeigegestus zu präsentieren. Als Laienknipser machte ich von diesem Szenario ein Foto. (Abb. 2) Die unendliche Reproduzierbarkeit eines Zitates in jeweils aktualisierter Form. Auch so schreibt man Historie. Noch ein Sprung. Die Assoziationen streifen ein Foto von Boströms Schüler Csaba Mester. Es zeigt Jörg Boström inmitten von Kollegen und Studenten. Soweit ist dies nichts besonderes. Was jedoch auffällt, ist die überdimensionierte 3-D-Brille über seiner normalen Brille. Sie nimmt beinahe ein Viertel seines Gesichtes ein. Warum erscheint mir dieses Foto als so erhellend für seinen Träger? Ein Blick in die Augen als Spiegel der Seele ist nicht möglich, und doch zeigt das Foto - das prometheische Lächeln ist abwesend - mehr von Jörg Boström als ein Gespräch mit ihm es vielleicht vermag. Die Brille, so scheint er zu glauben, schützt ihn vor einer Preisgabe seiner Emotionen gleichermaßen wie die Dunkelheit des Raumes. Csaba Mester hat ihn dieses Schutzes ein wenig beraubt. Aufschlußreich finde ich auch den Gestus der verschränkten Arme, die zwar in Relation zu den Gegebenheiten der Bank eines Hörsaales, worauf man sich durchaus stützen kann, stehen, aber, so wie er es macht, nämlich in übereinander gelegter Verklammerung der Unterarme, hat diese Haltung den Charakter eines Abwehrgestus. So weit ich sehe, hat keiner der übrigen Zuhörer eine ähnliche Haltung. (Abb. 3) Der Fotograf Boström sagt, daß Fotografen sich selbst sehr ungern fotografieren lassen. Das Protahere als Entblößung? Als Gefahr? Ist der alte Glaube der Hochkulturen - demzufolge das Bildnis Wesen und Kräfte des Abgebildeten an sich zieht - insgeheim noch virulent? Ist es nicht bemerkenswert, daß sich nur jeweils in der Spätstufe geschlossener Kulturkreise die Porträtkunst innerhalb der Malerei und auch der Skulptur herausgebildet hat? Sein eigener Fotografenblick ist oft entlarvend aus der Perpektive von unten nach oben gesehen. Er ist der Beobachter aus der Froschperspektive, ein kleiner Oskar Matzerath. Ignoriert Jörg Boström hier den Jahrhunderte alten Standpunkt Platons, der in seiner Ideenlehre und Mimesistheorie behauptet, daß allein den Ideen das eigentliche Sein zukommt, die im Vergleich zu dem, was der Mensch sieht, unvergänglich und wirklich sind gegenüber jeglicher Kunst? Das Abbilden in der Kunst von Dingen die wir sehen, so Platon, sei eine doppelte Täuschung. Und dies bezog sich nicht einmal auf die Fotografie, geschweige denn auf ein Schöpfen aus dem Pixelmeer. Sind wir heute wirklich weiter als die Menschen im Höhlengleichnis, die ihren Schattenbildern glauben? Manchmal fürchte ich, sind wir ihnen in unserer 'brave new world', der virtuellen, näher als unserem Mensch(lich)sein notwendig wäre. Manchmal, Jörg Boström, teilen wir in flüchtigen Gesprächen auf dem Flur der FH oder in der Cafeteria beide diese Angst. Abb. 2: Gudrun Wessing, Julian Wessing vor einer Arbeit von Christoph Gayk, 27.8.1995 in Herford Abb. 1: Michelangelo, Beseelung Adams. Vatikan, Sixtinische Kapelle, Repro Abb. 3: Czaba Mester,
Kurz-Biografie Geboren 1950 in Oberhausen. Staatsexamen in Philosophie und Germanistik; Promotion in Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FH Bielefeld, FB Design. Ab Frühjahr 1998 in Münster (an der Uni).
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