Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Hans Peter Schwarz

Vom Besucher zum User

Während in den meisten kulturhistorischen oder naturgeschichtlichen Museen die Erzeugnisse der neuen Medientechnologie, wenn auch zögerlich und repräsentiert durch mehr oder weniger geglückte Informationshilfen, weitgehend akzeptiert werden, halten sich die meisten Kunstmuseen eher bedeckt. Zwar nutzen zumindest die großen Häuser die PR-Effekte des Internet oder die Publikationsmöglichkeiten der CD-ROM durchaus, zwar sind die Micro-Galleries der Nationalmuseen in London und Washington ebenso Vorzeigeprojekte wie die Revue Virtuel des Pariser Centre Beaubourg, aber auch diese Projekte nehmen im Rahmen der Museumsarbeit eine eher marginale Rolle ein, obwohl sie vom Publikum außerordentlich begrüßt werden.

Vielleicht rührt die Abstinenz der Museologen den neuen Medientechnologien gegenüber aus dem dezidierten Unbehagen einer Reflexions- und Rezeptionsstruktur gegenüber, die durch die Potenz der neuen Medien zur Interaktivität, Telepräsenz und Virtualität zwar nicht begründet, aber doch neu belebt wurde, und die mit dem Schlagwort "Multimedia" leider etwas unglücklich ins Gerede gekommen ist.

Trotz der großartigen Versuche, thematisch ausgerichtete Bestandsaufnahmen der Kunst der Moderne zusammenzustellen, wie sie Ausstellungsmacher wie Harald Seemann mit seinen Versuchen über Junggesellenmaschinen oder Gesamtkunstwerke vor mehr als einem Jahrzehnt unternommen haben, regieren heute wieder fast doktrinäre Autonomievorstellungen die Szene. In jüngeren Umfragen unter Ausstellungsmachern kommt gut zum Ausdruck, daß sich deren Selbstverständnis wieder jenem spezialistischen Service-Medium für eng begrenzte Rezeptionsgruppierungen nähert, das die Ausstellungsszene schon in den fünfziger Jahren beherrschte.

Die in verschiedenen Anläufen durch das ganze zwanzigste Jahrhundert hindurch immer wieder bezweifelte Begründung für die Spartentrennung der Kunstmuseen und ihre Separierung von den anderen Bereichen der Kultur, die zuletzt im Pariser Musee d'Orsay, das von einem Museum des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Museum für die französische Kunst des neunzehnten Jahrhunderts re-traditionalisiert wurde, ihr letztes großartiges Scheitern erlebt haben, haben ja immer wieder die Fragwürdigkeit dargestellt, den von Habermas indizierten Eigen-Sinn der Subsysteme des Modernisierungsprozesses durch eine isolierte Präsenz vorgeblich autonomer Kunst museal manifest werden zu lassen.

Und genau in diese Wunde streuen die neuen Medien ihr virtuelles Salz. Ihre Tendenz zum vernetzten Denken und Rezipieren, ihre Möglichkeit zum verwirrenden Wechsel zwischen Realität und Fiktion und nicht zuletzt ihre Tendenz zur globalen Präsenz, die den Prozeßcharakter der Kunst betont, könnten die auf Isolationismus, Spartentrennung und Objektbetreuung fixierten Kunstmuseen tatsächlich in eine Krise stürzen, eine Krise allerdings, die, richtig verstanden, durchaus zur Heilung führen könnte. Es ist wohl durch eben jene isolationistische Borniertheit, der auch die museale Kunstgeschichte und Kunstkritik noch weitgehend verpflichtet ist, etwas in Vergessenheit geraten, daß die gestalterischen Möglichkeiten und letztlich auch viele technologische Konzepte, die die neuen Medien heute so attraktiv für geübte Museumsbesucher ebenso wie für die museumsfernen Kulturkonsumenten machen, ursprünglich aus der künstlerischen Avantgarde vor allem der sechziger Jahre selbst stammen, Fluxus und Zero, Happening und Expanded Cinema, John Cage und Nam June Paik waren die Pioniere der neuen Medien, und nicht die Entertainment-Ingenieure aus Disneyland oder Hollywood.

Dies erneut ins Bewußtsein zu rufen und daraus, auch was die Besucheraktzeptanz betrifft, Kapital zu schlagen, sind die Kunstmuseen aufgerufen.

Die bildenden Künste, eigentliche Sachwalterinnen einer subtilen Bildkultur in unserer Gesellschaft, haben sich der bewegten Bilder nur sehr zögerlich angenommen. Zwar gab es in den diversen Avantgarden zu Anfang dieses Jahrhunderts Interdependenzen zwischen Malerei und Film, und die Fluxusbewegung hat nach der Mitte des Jahrhunderts das Bewußtsein geschärft für die Einbeziehung neuer Kommunikationstechnologien in das Konzept Kunst. Aber auch die ersten als Medienkunst in unserem Sinne zu bezeichnenden Auseinandersetzungen mit dem bewegten Bild, Nam June Paiks Zen-TV etwa, der das Fernsehprogramm auf einen einen Zentimeter schmalen senkrechten Bildstreifen komprimierte, oder Vostells bei laufendem Programm vergrabener TV-Monitor zeugen vorwiegend von einer Widerständigkeit, die sich in den verzwicktesten Versuchen äußerte, die Bewegung der Bilder zum Stehen zu bringen. Das galt übrigens auch weitgehend für die gesamte Frühphase der sogenannten Videokunst. Ein eigenes Verhältnis zum bewegten Bild entsteht erst seit den achtziger Jahren, als brauchbare Computer und interaktive Trägermaterialien zur Verfügung standen. Jetzt konnten ganz neue, von den Massenmedien weitgehend unabhängige Strategien des bewegten Bildes entwickelt werden ­ allerdings: weitgehend unter Ausschluß der Kunst-Öffentlichkeit.

Denn ­ das für das Verhalten der Kunst den bewegten Bildern gegenüber Gesagte gilt in noch verstärktem Maße für das Verhalten der Institutionen, deren traditionelle Aufgabe es ist, Kunst unters Kunst-Volk zu bringen ­ für Ausstellungen, Museen und Galerien.

Erst der kuratorische Kunstgriff, gewisse Video-Arbeiten zu Video-Skulpturen zu erklären, hat die Kunstausstellungen und Kunstausstellungshäuser wenigstens einen Spaltbreit für die Medienkunst geöffnet ­ für die Video-Kunst wenigstens ­, denn die avantgardistische Variante der Medienkunst, die sogenannte interaktive Medienkunst, ist mit wenigen Ausnahmen noch immer auf eher kunstferne Institutionen angewiesen ­ eine Verweigerungshaltung, die im übrigen in einem krassen Mißverhältnis zum Publikumsinteresse steht, wie erst jüngst wieder die Biennalen von Venedig und Lyon gezeigt haben.

Die Distanz der Kuratoren und Ausstellungsma-cherInnen gegenüber den diversen Spielarten der Medienkunst resultiert aber ­ neben mehr oder weniger begründeten ästhetischen Vorbehalten ­ nicht zuletzt auch aus einer scheinbar notwendigen Begleiterscheinung der massenmedialen Herkunft des bewegten Bildes: Ich meine den ungeheuren technologischen Aufwand, dessen die Medienkunstwerke bedürfen, um ihre Botschaft überhaupt erst einmal loszuwerden. Film und Fernsehen haben dafür im Laufe ihrer Geschichte ein außerordentlich differenziertes und entsprechend kostspieliges Produktionsinstrumentarium entwickelt. Für das Kunstausstellungswesen trifft dies nicht zu.

Zwar haben wir AusstellungsmacherInnen in den achtziger Jahren gelernt, einen ähnlich großen Teil unserer schmalen Budgets für die Ausstellungsarchitektur einzusetzen, wie das große Opernhäuser schon seit langem tun, zwar haben wir inzwischen Spezialisten für Licht-Design und Public-Relations. Aber ­ wer ist schon wirklich auf die Versorgungsbedingungen einer Reality Engine2 vorbereitet oder das richtige Anlegen von head-mounted Displays oder Ganzkörpersuits? Wer weiß, welche Stärke ein Glasfiberkabel haben muß, um die dem Kunstwerk angemessene Menge von Bildinformation zu transportieren oder welcher LCD-Projektor leistungsstark genug ist, um bei einer humanen Raumhelligkeit die vom Kunstwerk geforderte Bildbrillanz zu bringen? Ganz zu schweigen von dem kaum lösbaren Problem der schmerzhaft konkurrierenden Soundtracks und Wärmestrahlungsmengen.

Andererseits sind dies aber auch keine unlösbaren Probleme, und es wäre vielleicht gerade für kleinere Museen von großem Wert, wenn es mehr Beratungsstellen gäbe, die nicht aus privatwirtschaftlichem Interesse teure und oft unausgereifte Multimediakonzepte verkaufen, sondern dem Museums-alltag angemessene Lösungsvorschläge entwickeln könnten.

Denn nur wenn nicht bloß von der Multimediaindustrie entwickelte gebrauchsfertige "Medienpakete" eingekauft werden, sondern wenn museumsspezifische Konzepte für die Präsentation interaktiver Medienkunstwerke oder interaktiver Informationssysteme entwickelt werden, könnte es gelingen, den Besucher nicht zum bloßen User verkommen zu lassen, sondern ihn ­ was einige unter uns Museumsleuten ja schon immer wollten ­ zum aktiven Mitgestalter des spezifischen Mediums "Museum" werden zu lassen.