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Claudia Gabriele Philipp Rosen für Jörg Überlegungen angesichts von Dörte Eißfeldts 'Siegfried', der ersten Ausstellung im Forum Fotografie, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Lassen wir uns nicht 'hinters Licht führen', sondern ent-täuschen. Eines der Grundprobleme bei der Wahrnehmung des Mediums Fotografie in unserer Gesellschaft ist hauptsächlich die scheinbare Realität der Bilder, ihre Abbildhaftigkeit. An Stelle der gängigen Ausführungen über die Subjektivität des Objektivs eine kategorische Aussage: Fotografische Bilder sind (zum Glück) nicht identisch mit der Wirklichkeit, niemals bloße Abbilder, vielmehr eine andere Realität. Bekanntlich bewegt uns seit dem letzten Jahrhundert das künstlerische Problem des Realismus. Die Erfindung der Fotografie im selben Zeitraum rückte das Dilemma in ein schärferes Licht und provozierte die lästige Streitfrage nach dem Kunstcharakter menschlichen Bildschaffens. Zugleich befinden uns mitten in einer erkenntnistheoretischen Kontroverse, die bis in die Antike zurückreicht und in der Aufklärung einen Höhepunkt erfuhr. Um die Höhen und Tiefen des hier zu erwartenden philosophischen Diskurses zu umgehen, findet ein wissenschaftlich legitimierter Trick Anwendung, indem zum Ergötzen der delikate Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg (1742 -1799) zitiert sei: "Was würde aus unserem Verstand, wenn alle Dinge das wirklich wären, wofür wir sie halten." Solchermaßen gestärkt, können wir uns, ganz im Sinne der Aufklärung, an das Zerpflücken der Rose wagen. Entblättern wir 'Siegfried', schauen ihm über seine verwundbare Schulter und werfen einen emanzipierten Blick hinter die fotografische Rüstung des schönen Scheins. Als Wissenschaftlerin, sei es Kunst- oder gar Fotografiehistorikerin, ist frau zum analytischen Sezieren berufen. Es entspricht der universitären Ausbildung. Das bessere Verständnis stellt sich nach ExpertInnenmeinung durch ein mehr oder minder behutsames Zerlegen in die einzelnen Bestandteile des Untersuchungsgegenstandes her. Die Prägung geisteswissenschaftlicher Disziplinen durch naturwissenschaftliche Muster ist unverkennbar. Wie sehen die Fakten im Falle 'Siegfried' aus ? Frei nach Marcel Duchamp (der sich 1920 Pseudonym und Identität von R(r)ose Sélavy zulegte) - 'Gegeben seien:' 1. Ritterrüstung, 2. Rose, 3. Welle und 4. Haut. Greifen wir die Assoziationen der Autorin Utta C. Hoffmann auf: Im Mythos vereinen sich Schönheit und Schrecken, die Ambivalenz der Phänomene. Hier dämmert eine lebendige, pulsierende Nabelschnur zum positiven, auf dem Negativprozeß basierenden Bild, das wir in Schwarzweiß und Farbe sehen. Wesentliches Charakteristikum von Dörte Eißfeldts Arbeit ist der generative Umgang mit vorhandenem Material (Wirklichkeit als Ready-made): Gegenstände und Oberflächen, chemische Substanzen, Licht, Fotopapier, Filmnegative. In der Dunkelkammerarbeit, im direkten Umgang mit dem fotografischen Material entstehen Bilder - keineswegs Abbilder! -, die im Abzug die Spuren und kreativen Energien des jeweiligen Prozesses tragen und mit Gedankenbildern verbunden sind. Dörte Eißfeldt spricht vom 'Körper der Fotografie'. Oberfläche der Erscheinung und Tiefe der Erkenntnis erweisen sich als 'zwei Seiten einer Medaille', ôffnen und Verschließen ergänzen sich. Die eiserne Haut soll das verletzbare Fleisch schützen. Die durch ein Lindenblatt beim Bad im Drachenblut offengelassene Verwundbarkeit wird im Blick auf das Bild erkannt, vom Blick durchbohrt. Die von Dornen bewehrte, unberührbare Rose beinhaltet im Aufblühen und Vergehen zugleich Leben und Tod. Die Farbe Rot signalisiert Aggressivität und Verwundbarkeit. Doch Vorsicht ist geboten, denn wir bewegen uns beim bloßen Augenschein beständig im Widerspiegelungs-Dilemma. Wir müssen auf das Zeichen achten. Auf Siegfrieds Körper markiert es die zu schützende, verwundbare Stelle. Das Zeichen gemahnt an den schändlichen Vertrauensbruch Hagens und an den Verrat der Wirklichkeit durch die Fotografie. Memento mori: Vergänglichkeit von Freundschaft und Liebe, Vergänglichkeit menschlichen Strebens und Lebens überhaupt - kongenial von Roland Barthes in seinen "Bemerkungen zur Fotografie" (1) kurz vor dem eigenen Tode thematisiert. Die Überlegungen zum PUNCTUM der Fotografie durchstoßen die Vordergründigkeit unseres Abbildverlangens an der verwundbarsten Stelle. Das STUDIUM ist unserem Bewußtsein geläufig, es ist "jenes Feld kulturellen Interesses, welches dem Betrachter erlaubt, ein Bild zu entschlüsseln, welches ihn aufruft, sich für das Bild zu interessieren, an seiner Bedeutung Teil zu haben. [...] Das PUNCTUM [hingegen] beunruhigt, weil es nicht benannt werden kann, weil es einen blinden Fleck [...], ein subtiles Jenseits des Rahmens [...] darstellt, man könnte sagen, weil es sich der Erzählung widersetzt im gleichen Zuge, in dem es auf die Sterblichkeit verweist." (2) Deshalb bemühen wir uns ständig, Dinge zu begreifen, ihrer materiell habhaft zu werden oder Wirklichkeit zu verstehen und durch Reden zu analysieren. Zwischen diesen Polen pendelt die heutige Jagd nach dem Heiligen Gral. Auf der Suche nach Erfüllung werden sowohl Fotografin als auch Fotografiehistorikerin möglicherweise zu Sinn-Stifterinnen - vielleicht verwirren sie auch Sinne, um vorwitzige Interpretationen zu verhüten. Unsere ausufernde Sucht, die Dinge beim Namen zu nennen (bis hin zu den Bildunterschriften!), unser ständiges Bemühen, durch Bilder und Sprache Identitäten zu schaffen, signalisiert einen Realitätsverlust. Welchen Raum die Kunst an dieser Stelle ausfüllen kann, muß und kann sie stets aufs neue erweisen. Als Mann des literarischen Wortes und der semiotischen Wissenschaft sagte uns Umberto Eco (auf dem Höhepunkt der poststrukturalistischen, dekonstruktivisten oder wie auch immer genannten Woge) in seinem, von jedem Rezipienten glücklicherweise anders gelesenen Roman 'Der Name der Rose' durch die Blume: "Die Rose von einst steht nur noch als Name, uns bleiben nur nackte Namen. Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus. " (3) 1 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Übersetzt von Dietrich Leube, Frankfurt/Main 1985, (La chambre claire. Note sur la Photographie, Paris 1980). 2 Elisabeth Bronfen, Tod: Der Nabel des Bildes, in: Kritische Berichte, 21. Jg. Nr. 4, Marburg 1993, S. 84-90, S. 86-87. 3 Umberto Eco, Der Name der Rose, MÅnchen 1982 (2), S. 631. | ||