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Jörg-Heiko Bruns

"WIR. Fotografen sehen die BRD" - in der DDR

 

Im denkwürdigen Jahr 1989, als es in der zum Untergang bestimmten DDR im Frühjahr noch nicht unbedingt an der Oberfläche brodelte, wie später im Herbst, zeigte die städtische Erfurter Galerie am Fischmarkt , die sich lieber von Berlin aus wegen internationaler Möglichkeiten mitsteuern ließ, die Ausstellung "WIR. Fotografen sehen die Bundesrepublik", die Jörg Boström seherisch auch für die DDR initiiert hatte und zu der auch ein Bildband gleichen Titels zu haben war.

Boström hatte eine ganze Reihe kompetenter, sozialkritischer Künstler um sich versammelt und so ein Bild der Bundesrepublik entworfen, das Arme und Reiche zeigte, Berauschte und Rauschende mit ihren Feten und Festen, ihren sehr unterschiedlichen Darstellungsbedürfnissen in Häusern und Villen (oder praktikablerweise auf der Straße), dies alles als weniger vereinter Teil der Nation, denn als diametral entgegengesetzt. Man sah Ausländer in ihrer Bedrängnis, Fließbandarbeit und Verschmutzung durch Industrie, die Freizeit des "Kleinen Mannes" als Neuauflage der römischen "Brot und Spiele", Friedensdemonstrationen und Kirchenprozessionen und, und, und ... All das, von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe von Obdachlosigkeit und Brückenschläfern, was heute auch im Osten Deutschlands auf der Tagesordnung steht, wollten die leider fast ausschließlich, was den Westen Deutschlands betraf, nur fernseherprobten DDR-Bürger nicht wahrhaben: "Die - die Fotografen - wollen den Westen nur mies machen". Noch dachte man eher an die übliche DDR-Propaganda.

Die Ausstellung hatte zu diesem Zeitpunkt kaum Erfolg, denn das fernsehgeprägte Glimmerbild von der BRD mit den sinnbildlich gebratenen, in den aufgesperrten Mund fliegenden Tauben, sprich Reichtum für jedermann, wie auch Arbeit für jeden, der es nur wolle, wollten die Betrachter der befremdlichen Fotos nicht beschädigt wissen.

Nun aber, Jahre nach der Einheit, hat sich Boströms sozialkritische Vision für den Osten um ein vielfaches verschlimmert. Die Wahrheit seiner Bilder hat sich potenziert. Es bleiben wahre Bilder, die er einer kritischen Geschichtsschreibung an die Hand geben kann. Dafür ist ihm zu danken.

 

PS: Pünktlich vor dem 60. Geburtstag Boströms eröffnete die Galerie am Hauptmarkt in Gotha unweit von Erfurt die Ausstellung "Heiße Brühe - Armut, Obdachlosigkeit und Ausgrenzung in Deutschland". Wie sich die Bilder gleichen, nicht nur weil zwei aus Boströms Mannschaft von damals dabei sind! Was sich überhaupt nicht gleicht, sind die Besucherzahlen, die in Gotha sprunghaft anstiegen. Menschen, vor allem aus den sozial benachteiligten Gruppen debattieren, manchmal sogar mit Lokalpolitikern, vor den Fotos, die neuen Sparbeschlüsse der Reichen im Nacken.

Glückwunsch für Jörg Boström. Die Saat ist doch noch aufgegangen.