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Virtuelles Magazin - Ausgabe 4 - 2000
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Virtuelles Magazin - Ausgabe 4 - 2000

Doch Boström und Koenig waren nicht nur Zeugen, sondern als Vertreter der Gruppe PSR auch Anreger von kulturpolitischen Manifestationen. Die Formel der Demokratisierung machte auch vor dem Kulturbereich nicht halt und hatte zur Folge, daß in Düsseldorf PSR mit einem basisdemokratischen Kulturverständnis an die Kunsthalle herantrat. Die Kunsthalle war erst im April 1967 eingeweiht worden und zeichnete sich dadurch aus, daß sie ausschließlich für Wechselausstellungen mit Schwerpunkt moderne und zeitgenössische Kunst konzipiert war. Die massive Kritik von PSR zielte vor allem auf die Organisationsstruktur der Kunsthalle. Da man jeder Form von Hierarchie und Autorität im Kunstsystem mißtraute und als "Diktatur der Kenner" brandmarkte, bemängelte PSR die fehlende Mitbestimmung von außen auf das Geschehen in der Kunsthalle und wertete die Programmfestlegung durch eine Kunsthallenleitung abschätzig als Bevormundung der Bürger. PSR nahm für sich in Anspruch, die Mehrheit der Bürger zu vertreten und forderte deshalb resolut, die Kunsthalle zu einem "exterritorialen Gebiet" zu erklären, in dem jedem kreativ Handelnden Ausstellungsfläche zugebilligt würde. Als am 17. Januar 1969 die erste deutsche Übersichtsschau zur Minimal Art in der Düsseldorfer Kunsthalle eröffnet wurde, nahm PSR die Gelegenheit wahr, um publikumswirksam in Opposition zur Kunsthalle zu treten und für ihre Vorstellung einer autonomen Kunsthalle zu streiten. Dem Aufruf von PSR zur Protestaktion war eine größere Schar von Sympathisanten gefolgt, die den Programmablauf der Vernissage erstmal lahmlegten, Flugblätter verteilten und eine Diskussion mit dem Kunsthallendirektor Karl Ruhrberg erzwangen. Es entlud sich ein fast einstündiges Rededuell, mal argumentierend und mal polemisierend, über den Begriff der Freiheit in der Kunst.Während Boström und Koenig das im Grundgesetz verankerte Recht auf "Freiheit der Kunst" erst dann realisiert sahen, wenn Museumsleute, Ausstellungsmacher und Kritiker ihr Privileg des Jurierens niederlegten oder wie es im 68er Jargon hieß, "die Macht der Kunstpäpste" gebrochen sei, hielt Ruhrberg ihnen entgegen, daß die Entscheidungen der Experten kein Alleingang sei, sondern meist durch das Publikum bestätigt würden, so zum Beispiel an jenem Eröffnungsabend, an dem nahezu 2000 Besucher ihr Interesse an der Minimal Art bekundeten. Zwar ging es in der Debatte um prinzipielle Fragestellungen über Definition, Inhalt und Vermittlung von Kunst, aber es war auch kein Zufall, daß gerade die Minimal Art-Ausstellung zum Demonstrieren ausgewählt worden war. Schon ein Jahr zuvor auf der documenta 4 hatte diese amerikanische Kunstrichtung in ideologischen Kreisen Ablehnung hervorgerufen, weil man ihre apolitische Haltung absurderweise als Indiz amerikanischer Politik und Verschleierungstaktik deuten wollte. Gerade die Aussageneutralität der Minimal Art, ihre Konzentration auf das Objekt und seinen Umraum sowie ihre bedingungslose Abkopplung von der Kunst-tradition lösten anfangs sehr unterschiedliche Reaktionen bei der deutschen Kunstkritik aus. PSR ließ mit ihrem Pamphlet, das auf der Vernissage verteilt wurde und ironisch mit "Einführung in die Minimal Art" überschrieben war, keinen Zweifel daran, daß die Minimal Art konträr zur gesellschaftsorientierten Kunstdefinition von PSR stand. Sie war für PSR ein willkommendes Beispiel, um eine selbstreferentielle "elitäre" Kunst anzuprangern, die sich über die Interessen und Bedürfnisse der breiten Masse hinwegsetzte: eine "Demonstration der Bildlosigkeit - Selbstgespräch der Ästhetik - eine Flucht in die Form".
 
 

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