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Virtuelles Magazin - Ausgabe 2 - 2000

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Knastbilder - Bilderknast

Fotografien von Veit Mette

JVA Herford 2000
 
 

Sprache, die sich mit Fotografie beschäftigt, verrät viel von ihrer Eigenart, aber noch mehr von unserem Verständnis von ihr. 

Wenn die Fotografie in ihren technischen und ästhetischen Möglichkeiten in den Bildern sich widerspiegelt, entsteht eine visuelle Welt von starker Faszination, sie bekommt suggestive Qualitäten. Die Kamera, seit der Technik der Camera obscura so genannt, ist eine dunkle Zelle, ein Knast, in den nur für Sekundenbruchteile das Licht einfällt. Die Bilder werden durch einen Blendenring, oder einen Schlitz gejagt und eingefangen. Sie werden geschossen. Die Kamera beobachtet unauffällig ihre Objekte und Motive, sie beschattet. Die Menschen werden in möglichst unbewussten Momenten erwischt, bei ihren Handlungen ertappt und dann im Augenblick der Aufnahme festgehalten. In der Dunkelzelle des Labors werden sie entwickelt und dann fixiert. Die Bilder sind Dokumente, sichtbare Zeugnisse, man spricht gelegentlich auch von Beweisfotos. Der Raum, der in Fotografien abgebildet ist, wird in der Fotogeschichte, z. B. bei den Bildern von Atget, als Tatort bezeichnet. Der Fotograf selber ist in seiner Arbeit, in seiner Sehweise, gefangen. Um seine Bilder zunächst für sich selbst sichtbar zu machen, sperrt er sich ein in eine andere Camera obscura, eine Dunkelkammer, in der nur speziell getöntes, künstliches Licht herrscht. Der Film wird eingespult in eine Dose und bei vollständiger Dunkelheit geschüttelt, entwickelt und fixiert. Dann wird das Negativ zwischen Gläser gepresst in den Vergrösserungsapparat und auf ein ebenfalls im Vergrösserungsrahmen eingespanntes Papier belichtet. Erst wenn der Entwicklungs- und Fixierprozess vollständig abgeschlossen ist, kann normales elektrisches Licht oder auch Sonnenlicht eingelassen werden und der Fotograf wird aus der Enge des Labors, aus seinem Bilderknast, aus der konstruierten Dunkelhaft, entlassen für die nächste Bilderjagd und den neuerlichen Knastbesuch. 

Man sieht, zwischen der Existenz eines Fotografen und einem Knacki als Wiederholungstäter gibt es eine makabre Analogie. Viele der eingesperrten Jugendlichen kommen wieder, sind nicht etwa geheilt von ihrer Sucht, Gesetze zu übertreten, sondern oft eher noch geschult für weitere Varianten in der Anwendung ihrer bis dahin noch unentwickelten kriminellen Energie. Was die Bilder von Veit Mette aus dem Jugendgefängnis in Herford, der Jugendvollzugsanstalt, JVA, so eindrucksvoll macht, ist dieses Gestaltungsspiel mit den fotografischen Elementen, die unheimliche strukturelle Nähe zwischen Fotografie und Gefängnis und die bildnerischen Wirklichkeiten, die der Fotograf daraus gewinnt. Es ist Umgang mit der Absurdität des Wirklichen und seiner Abbilder und die Formung von Widersprüchen in Bildern. Es sind nicht nur die Räume, Menschen und Situationen, die wir betrachten, es ist ihre so enge Verbindung mit der fotografischen Optik. Wir sind beim Betrachten der Fotografien selbst gefangen in diesem Bilderknast. Man blickt wie ein Häftling durch unscharfe Stäbe, in einen Spiegel zum Rasieren, auf den Essteller aus Blech in unserer Hand, auf den Nacken des Mitgefangenen, um kalte, harte Mauerecken und in den Hof wie in einen Zwinger. Veit Mette musste aus Gründen des Schutzes der Personen auf Porträts verzichten und diese Einschränkung gibt den Bildern zusätzliche Suggestion. 

Wir können nicht mehr, wie in Aufnahmen der Dokumentarfotografie, abgebildete Menschen und Gegenstände betrachten, aus der Distanz und feststellend, so ist es dort, so sehen diese Leute aus, wir sind nicht dabei, aber wir registrieren die Tatsachen. Bei diesen Fotos von Veit Mette sind sind wir diejenigen selbst, welche in diesem Eingesperrtsein leben. Wir werden optisch eingebunden zur Teilnahme an der Jugendhaft. Da wo wir Menschen wahrnehmen, sind es Teile von ihnen als wären es Teile von uns selbst. Die Lebenswelt in ihrer irrealen Faktizität umgibt uns in den Bildern. Wir bauen sie der Fotoserie nach wie aus optischen Fetzen, die aus den direkten Blicken der Kamera abgerissen und zuletzt zu einem Käfig zusammengefügt sind. 

Auch Sprache, die sich im Knast entwickelt, verrät viel von ihrer Herkunft und über sie. Sie hat etwas von einer exclusiven, das heisst, ausschliessenden, oder besser einschliessenden Subkultur, eine zwinkernde, schulterzuckende, zähnezeigende, Verständigung zugleich suchende und verweigernde Form des Umgangs. Umgang auch im doppelten Sinn. Die Linguistin Gabrielle Klocke spricht in ihrer Forschungsarbeit von einem "Geschlossenen Sprachvollzug". Man geht miteinander um - umgeht sich aber auch. "Schäfchen" sind die neuen, naiven Häftlinge, die gerade "eingefahren" sind. Ein "Ölauge" ist ein südländisch wirkender Mensch. Man kann den anderen "einkochen" - am Verlassen eines Raumes hindern - und wenn nötig "durchlassen", also verprügeln. Oft verstecken die Worte ihre Bedeutung, wie man die Häftlinge versteckt vor der Öffentlichkeit, wodurch sie selbst so etwas bilden wie eine gefährliche und gefährdete Gemeinschaft, einen Geheimbund. Eine "Dogge" ist kein Hund, sondern eine Spritze, auch eine "Pumpe" ist was zum fixen, oder ein "Eisen" und zwar in "Metern", in Dosierungen von Methadon. Wer "in der Dusche fällt" ist verprügelt worden, musste was "rauslassen", weinen und hat dann vielleicht die "Hütte kommen lassen", den eigenen Haftraum zerschlagen. Wer sich zuletzt "wegmacht", ist nicht geflohen sondern hat sich umgebracht. Ein "Händegebunden", ein Sozialarbeiter, kann in diesem "Bunker", in dieser "Kiste", in diesem Knast wenig bewegen oder aufhalten. 

Der Herforder Knast sieht nicht aus wie eine moderne Jugendstrafanstalt - eher wie eine Burg. Oft bin ich darum herumgegangen, mir vorstellend, wie es sein könnte, hinter den Mauern zu sein. Nun seh ich sie von innen auf den Fotografien. Wenn man Gefängnisse wie Burgen baut mit Ziegelmauern und Ecktürmen, wie dies vor hundert Jahren häufig gemacht wurde, will man Macht ausstrahlen, Macht, die von den Mauern ausgeht- uneinnehmbare Festung, Fluchtburg, hier aber in umgekehrtem Sinn. Man flieht die Burg, wenn man kann, man verteidigt sich uneinnehmbar vor den Eingesperrten hinter der Mauer. 

Was sollen die Fotografien in diesem Bunker?

Veit Mette sperrt sie ebenfalls ein. Sie werden zuerst im Knast zu sehen sein, von den Inhaftierten, von denen einige "nen Affen schieben", auf Entzug sind, von denen andere von "der alten Schule sind", sie kennen die alten Ganovenregeln und befolgen sie, andere sind gerade "durchgelassen" worden und haben blaue Augen und weniger Zähne, andere sind gezeichnet von der "Maschine", einem für die Tätowierung umgebauten Rasierapparat, sie haben also selbst Bilder - auf dem Körper. Vielleicht hoffen sie auf eine "Leitplanke", auf Bewährungshilfe, wenn sie beim Abgrasen der Bilder einen guten Eindruck machen. Vielleicht denkt der eine oder andere nach über seine und die von der Gesellschaft ihm aufgezwungene Lage, in die er selbstverschuldet "eingefahren" wurde. Kann man sich seiner selbst bewusster werden, wenn man sich im Spiegel der Fotografie verändert, verzerrt, von aussen noch einmal wiederentdeckt, und sei es wie hier in persönlichen, stark vergrösserten Stücken? Der "Bunker" scheint so anregend zu sein, dass der grösste Teil der Inhaftierten ihn immer wieder aufsucht. Sie können es auch hier, was immer das im einzelnen sein mag, nicht lassen. 

Veit Mette kann es auch nicht lassen, seine Fotografie des Abseitigen, ein wenig Chancenlosen, Deprimierenden. An Strassenbahnen angeheftet schickte er noch vor einem Jahr seine Bilder von Behinderten durch den Bielefelder Verkehr, in Harlem, New York, fotografierte er das, was nach Reiseauskunft der Besucher meiden sollte, das schwarze Leben im schwärzesten Stadtteil der ersten Welt. Daraus entstand ein Buch. In der Kinderpsychiatrie in Bielefeld entstehen Bilder von lebenvoller Nähe und in Menschlichkeit verwandeltem Entsetzen. Vieles in seiner Arbeit findet statt in der "Dritten Welt" und da nicht bei den Reichen und Schönen, die es dort auch gibt. Ist er ein politisch motivierter und engagierter Fotograf? Er weiss es nicht. Viel verändern und bewegen durch Fotografie lässt sich seiner Meinung nach nicht. Aber wenigstens die Möglichkeit, sich "einzumischen", will er nutzen. Seine Medienkompetenz einsetzen für die, welche sie nicht haben. Wie schon die Sprachform verrät, sehen die Inhaftierten ihre Kommunikationsmöglichkeiten nur intern, nach innen gerichtet. Sie bauen sich selbst ihren zweiten Sprachknast. Diese gestörte Verständigung an einer Stelle wenigstens aufzubrechen, reizt den Fotografen.

Die Eingesperrten werden von der Gesellschaft abgetrennt. An diesem Ausschluss will sich Veit Mette nicht beteiligen. Er will ihn vielmehr stören - mit seinen stummen, visuell starken Mitteln. Das genaue Hinsehen, der Inhaftierten auf ihre Lage, und der Aussenstehenden auf das Weggesperrte, das führt vielleicht zu Fragen, zur Kommunikation kreuz und quer, nicht in eine Richtung. Was machen wir mit den Leuten, die uns und unsere Regeln verletzen, immer wieder, und warum tun sie das? Auf der anderen Seite Fragen an die Knackis - warum ist es hier drin so und warum bin ich hier gelandet und wie komme ich wieder heraus, ohne abzuhauen oder "mich wegzumachen"? Ohne wieder "einzufahren" für den Rest?

Lansen, im Juli 2000

Jörg Boström 

 

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