Zum InhaltsverzeichnisVirtuelles Magazin 2000 

Jörg Boström

Vortrag am 26.11.2000 zur Eröffnung der Ausstellung

Lichtmalerei. Neue Arbeiten von Karl Martin Holzhäuser

in der Galerie PIN, Fröbelstrasse 86, 33602 Bielefeld

27.11.2000 - 15.1.2001

Als Karl Martin Holzhäuser seine Lehre als Fotograf begann - 1962-65, schien die Welt der Fotografie und der Kunst noch in alter Ordnung. Der Fotografie war die Erforschung und Darstellung des Sichtbaren vorbehalten, der Malerei die Entwicklung von Formen, Flächen und Strukturen. der Gegenstand sei nicht mehr tragfähig, behauptete Will Grohmann fuer die bildende Kunst. Der Gegenstand hatte sein Reservat in der Fotografie.

Kurz darauf begann der Umbruch, welcher auch das Werk von Holzhäuser bis heute prägte. Die Kunst wurde in zwei Richtungen aufs Neue befragt, demontiert und wieder zusammengefügt. Welche gesellschaftliche Funktion, wenn überhaupt, kann man ihr zumessen? Welche Wirkung haben ihre visuellen Mittel und wie sind sie verwendbar zur Gestaltung bis hinein in die gesellschaftlichen Prozesse?

Nicht nur in der Politik der späten 60er Jahre, auch in der Kunst begann das damals sogenannte "Hinterfragen", vom Konzept der Antikunst bis zur Konzeptkunst. Die Fotografie wurde auf der einen Seite zum Instrument der Analyse und der Einwirkung auf Realität. auf der anderen Seite wurden ihre technischen Grundlagen im chemischen und optischen Bereich neu erkundet, aufgebrochen und konstruktiv genutzt. Die apparative Seite der Fotografie, der Apparat selbst, wurde zum Objekt der Sektion. Es begannen Künstler wie Floris Neusüss, der noch Holzhäusers Mentor in der Fotolehre war, Oskar Holweck und Kilian Breier, bei welchen er 1966-69 studierte, und Gottfried Jäger, mit welchem er die Richtung der generativen Fotografie formte, sie alle begannen die bisherige einvernehmliche Arbeitsteilung zwischen Fotografie als Darstellung der sichtbaren Realität und der Kunst als Forschungsbereich formaler Zusammenhänge zu durchbrechen.

Der Schutzzaun um den Gegenstand, welchen die Kunsttheoretiker mit der Fotografie zu errichten versuchten, wurde abgewickelt. Fotografie ohne Kamera betrieb Floris Neusüss mit seinen direkten Körperbelichtungen auf Fotopapier. Oskar Holweck und Kilian Breier waren in ihrer Verbindung zur düsseldorfer Gruppe Zero an dem Neustart der Kunst vom punkte 0 - zero - direkt beteiligt, wo Heinz Mack seine Lichter und Spiegelstrukturen aufbaute, Otto Piene sein Lichtballet und seine Feuer- und Rauchbilder inszenierte und Günter Ücker seine Nagelwirbel hämmerte.

Vom Urprung ansetzen, Neubegin, weg mit dem mystischen Nebel einer expressiven, in Material und individueller Befindlichkeit ersaufenden Seelenkunst.

Hinzu kam ein neuer Glaube an die Realität der Mathematik, wie sie sich in der Informationsästhetik von Abraham Moles und Max Bense, dessen Vorlesungen der Student Karl Martin Holzhäuser an der hamburger Kunstakademie besuchte. Die Utopie vom ästhetischen Quotienten, die Möglichkeit, endgültig und objektiv, für alle verbindlich den Kunstwert zu messen, zu quantifizieren und numerisch zu bewerten trat auf in Hörsälen und Kongressen. Die Kunst schien be- und errechenbar, lange bevor Computerprogramme begannen, auch das tägliche Leben vom Videorecorder bis zur Waschmaschine zu steuern.

Es ist später Holzhäuser wiederum, der in die rationalen Programme seiner bildnerischen Untersuchungen und Generationen das Momentane, Gestische, Subjekte und mithin Irrationale, nicht mehr so ganz Berechenbare wieder einfuehrt, bis hinein in seine letzten Arbeiten, die wie Recheninformationsstreifen auf den ersten Blick wirken und doch in ihrem äthetischen Kern das pulsierend Organische der individuellen Handschrift sichtbar machen. Zugleich erinnern diese letzten Bilder an wissenschaftliche Darstellungen genetischer Codes, die ja auch eine eindrucksvoolle Verbindung von mathematischer und biologisch wirksamer Information darstellen.

 

Der Betrachter wird durch fast nichts auf diesen Bildern an irgendetwas erinnert, das gemeinhin mit dem Begriff Fotografie verbunden ist. Es sind keine Abbildungen oder Interpretationen einer sichtbaren Aussenwelt durch den Fotoapparat, es sind reine Bewegungen farbigen Lichts. Und doch sind diese Arbeiten in einem ganz elementaren Sinne Foto-Grafien, vom griechischen Wort photo graphein abgeleitet, also vom Licht, mit Licht gezeichnete Bilder auf fotografischem Material, "Lichtmalereien".

Holzhäuser arbeitet nicht mit der Kamera, sondern mit verschiedenen für seine Zwecke geformten Lampen, Lichtgriffeln, Lichtpinseln. Anders als der Fotograf mit der Kamera, der das Licht, das seine Objekte ausstrahlen, mit der Kamera einfängt, Licht der Sonne oder das künstliche des Studios, der also im Licht arbeitet, finden Holzhäusers Gestaltungsprozesse im Dunklen statt. Er selbst, seine Hand, die Bewegung des Arms, des Zirkels, des ganzen Körpers gelegentlich, schaffen erst die Formen, welche nur der chemische Prozeß der Fotografie sichtbar machen kann.

Diese an Punktierungen, Vorhänge, Fahnen, Bänder, Wellen erinnernden Strukturen sind nicht die Gegenstände, als welche sie erscheinen, sie sind ausschließlich Ergebnisse eines fotografischen Prozesses, sie wären ohne den Künstler nicht existent. Sie stellen nichts weiter dar, als sich selbst. Hier spielen Elemente des Action painting ebenso hinein wie die serielle Kunst und die strukturbildenden Prozesse der generativen, das heißt, ihre Bildwelten erst erzeugenden Fotografie.

Bei aller vitalen Ausstrahlung haben diese Bilder immer ein durchgreifendes rationales Konzept. Sie unterliegen einem vorab entwickelten Kalkül. Bevor sie sich aus dem Fotopapier herausentwickeln lassen, haben sie ihre erste Existenz, gewissermaßen ihr Negativ, im Kopf des Künstlers. "Wenn ich in meinem Bild bin", sagte der Action Painter Jackson Pollock,"weiß ich nicht was ich tue". Pollock arbeitete instinktiv und bei hellem Tages- oder Atelierlicht. Holzhäuser arbeitet immer im Dunklen, erst in der Entwicklung der Colormaschine wird das Resultat sichtbar. Aber dieser Künstler weiß immer was er tut, er arbeitet geplant. Die Arbeiten folgen erdachten, rationalen Programmen. Sie haben eine in sich geschlossene Logik der Abfolge mit einer aus dem Programm sich ergebenden Anzahl, Farbe, Form usw.

Die Kunst unterwirft sich hier der Programmierbarkeit. Ohne sich direkt der Computertechnik zu bedienen, arbeitet sie im gedanklichen Umfeld der Programme, welche die erwartete Kunst aus der Maschine möglich machen - oder auch nicht.

Schönheit im Sinne einer geschmackvollen, ansprechenden Farbigkeit ist nicht ihr Ziel. Holzhäuser ist kein Schönfärber Die offensichtlichen ästhetischen Reize seiner Bilder ergeben sich aus dem technischen Prozeß. Wenn hier der Begriff Schönheit noch verwendet werden kann, dann eher im Sinne der Schönheit einer mathematischen Formel oder auch einer technischen Perfektion. Die Farbigkeiten folgen eher der Logik der Spektralfarben des Regenbogens, der fotografischen Grundfarben red, yellow, cyan und magenta. Sie sind Resultat der gedanklichen Konzeption mehr als des individuellen Ausdrucksverlangens des Künstlers. Wenn sie gelegentlich expressiv wirken, beruht das auf der physiologischen Wirkung von Farbe auf den Betrachter. Holzhäuser ist kein Expressionist. Er ist ein Analytiker und Konstruktivist in dem Sinne, daß er die Möglichkeiten des fotografischen Materials in seine Bestandteile zerlegt und mit diesen Elementen komponiert. Näher als an der anteilnehmenden Abbildung oder der Darstellung von Gefühlen ist seine Kunst der konstruierenden, Klangfiguren fortentwickelnden seriellen Musik.

Die Arbeiten der letzten Jahre zeigen ein weiteres Kontrastprogramm, indem der strengen, kalkulierten Gesetzmäßigkeit der seriellen Bildproduktion ein kalkulierter Zufall in die Parade fährt und mit den rationalen Programmen ein neues, sinnliches Spiel treibt. So ist ein Kreis zwar sauber gezirkelt, aber seine Ränder brechen auf, so ist eine Wellenbewegung zwar geplant, aber die pulsierenden Nerven und der Takt des Pulses der bewegenden Hand schaffen organische Irritationen, die apparative Bilderzeugung wird ergänzt und immer stärker verdrängt durch die körperhafte Gestaltung, durch die Handschrift im Wortsinne, durch die Bewegungsspur. Damit wird der Körper des Künstlers selbst zum Instrument, analog aber nicht identisch der Pinselschrift des tachistischen Malers. Blitzartige Bewegungen einer neuen, willkürlichen Lust bringen im technischen Medium Organisches ins Spiel und einen Schuß Improvisation, vergleichbar der Kadenz in der klassischen Musik.

Karl Martin Holzhäuser, der selbst leidenschaftlich Trompete spielt, klassischen Jazz im New Orleans Stil, gerät in Bildern und Tönen immer mehr in die freie musikalische Bewegung des Free Jazz. Zwischen Rationalität, Konzept, Programm, zwischen Technik und Improvisation sind seine Bilder ein sinnlich anschaubares Gleichnis für die Behauptung und Entwicklung von Befreiungsbewegungen in den Zwängen, die uns umstellen. Es wird etwas sichtbar von der "Freiheit am Bande der Notwendigkeit", wenn es erlaubt ist, in Verbindung mit solchen Arbeiten einen Idealisten wie Friedrich Schiller zu zitieren.

Karl-Martin Holzhäuser denkt und gestaltet in und mit Programmen. Die Programmiersprache bestimmt in heute fast allen Bereichen der Technik und des täglichen Lebens Struktur und Inhalt, ohne dass wir es ins Bewusstsein nehmen. Die Kunst schien ein Bereich, in dem elektronische Technik und Informatik noch zugunsten eines am individuellen Erleben orientierten Gestaltens ausgesperrt waren.

Auch Holzhäusers neue Arbeiten durchlöchern wiederum diese Abschirmung. Wie in seinen frühen Serien der mechano-optischen Untersuchungen geht er wie mit mathematischer Reihenuntersuchung die möglichen Varianten einer Streifenkomposition durch, die an die ablesbare Information von Computerdaten erinnern, wie wir sie aus den Preisklebezetteln in Kaufhäusern kennen. Wir können sie nicht entziffern, wohl aber der Lazerstrahl in der Hand der Kassiererin.

Holzhäuser bringt die uns steuernde - um nicht zu sagen beherrschende - Struktur der Digitalisierung des Alltags in die Zone des Gestalterischen, des ästhetischen, des Sinnlichen. Dabei verbinden sich, wie bei fast allen seinen Arbeiten, die automatischen Abläufe technischer Prozesse mit den subjektiven, intuitiven Bewegungen von Hand und Arm. Es ist gerade diese Verbindung von subjektiver Handschrift und fotochemischem sowie rechnerisch kalkuliertem Prozess, welche seinem Werk die Spannung und unverwechselbare Ausstrahlung gibt.

Entsprechend der fotografischen Technik im Labor, wo Farben und Formen entstehen aufgrund von Lichteinwirkungen, die einen chemischen Prozess auslösen, müssen diese Bildserien einem Plan folgen. Die Resultate entwickeln sich zeitlich getrennt von der manuellen und technischen Arbeit. Die Bilder erscheinen immer als Ergebnis einer kalkulierten Programmierung. Bei den in dieser Ausstellung vorliegenden Bildserien wird ein System vertikaler Streifen zugrunde gelegt, das in seiner Abfolge numerischen Vorgaben folgt. Diese bilden das rationale Gerüst, welches den Bildfolgen ihre programmatische Struktur gibt.

Die Streifen in ihrer Folge jedoch werden nun mit von Hand in persönlicher Diktion geführten Farbabstufungen moduliert, mit dem von Holzhäuser entwickelten und auch vorher vielfach verwendetem Lichtpinsel. Hier ist er ganz Maler in der ursprünglichen, handwerklichen Bedeutung des Wortes. Das Wechselspiel an den Schnittstellen der Bildstreifen wiederum erzeugt den Eindruck einer mathematisierten Natur - wie umgekehrt im Werk Holzhäusers von einer subjektiven, organischen Aneignung des rationalen, digitalisierten Wesens unserer Zivilisation gesprochen werden kann. Es entstehen individuelle und zugleich geometrische Figurationen, die an einen Strichcode erinnern, ein Code allerdingsmit einer zuletzt tief persönlichen, nicht mehr digital entschlüsselbaren Botschaft. Es findet hier im Bereich der bildenden Kunst wiederum eine Aneignung der Realität statt, eine Aneignung von Abläufen und Programmieungen aus der Welt der Informationstechnologie. Auffallend sind die den vertikalen Streifengittern horizontal entgegenströmenden organisch wirkenden Wellenbewegungen. Es sind dies die von freien Handbewegungen rhytmisierten Tonfolgen.

So liegt dem senkrecht stehenden, nach mathematischen, rationalen Vorgaben gegliedertem Kunstrukt die horizontal schwingende, gewissermassen frei musikalisch improvisierende Bildgeneration zugrunde. Sie durchdringt die starre Formation und lässt sie vibrieren. Bei einer weiteren Serie von Bildern - es sind alles Unikate - aufgrund ihres singulären, in dieser Form nicht wiederholbaren Arbeitsprozesses - , liegen handbemalte Negativstrukturen zugrunde, die wiederum mit der geometrisch-numerischen Vertikalstruktur ihr Wellenspiel treiben. Bei einigen seiner bisher letzten Arbeiten im September-Oktober 2000 greift Holzhäuser zudem zurück auf die klassische grafische Wirkung von schwarz und weiss in seinen Abstufungen. Wieder ist es sein Lichtpinsel, welcher hier auf Fotopapier schwarz-weiss modellierend einwirkt - im subjektiven Duktus der Hand. Dabei geraten durch numerisch kalkulierte Verschiebung der Streifenfolge die Hell-dunkel-Nuancen wie Wellen aneinander, als hätte man ein Meer zunächst zum Stillstand gebracht, mit der Kettensäge in schmale Streifen zerschnitten und diese wiederum präzise aneinandergefügt.

Wieder ist es die Spannung zwischen organischen Abläufen und technischen, eben wieder mechano-optischen Montagen, welche diese Bildserie auszeichnet. Die grossen Bildformate tragen nun weiterhin dazu bei, auch diese Arbeit weniger dem intimen Bereich von Fotografik als dem sich an Wänden präsentierenden Umfeld der bildenden Kunst zuzuordnen. Karl Martin Holzhäuser bleibt auch hier der Maler mit Licht.